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26.11.05 / Aufbruch / Mädchen wartet auf Spätheimkehrervater

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

Aufbruch
Mädchen wartet auf Spätheimkehrervater

Ein wenig "Muffensausen" hat die zehnjährige Monika schon, als sie im Herbst 1954 eine Woche zum Test zur Oberschule soll. Ob die kleine Hamburger Deern wohl schlau genug ist für die höhere Schule? Sie wäre die erste in ihrer Familie. Ihre junge Mutter hat keine Zweifel an dem Können der Tochter, doch ihre Oma, die Mutter ihres seit 1945 im Krieg vermißten Vaters, hält das ganze für "Tünkram". Was soll ein Mädchen so lange zur Schule gehen?

Monika besteht den Test, doch der Schulwechsel ist nicht das einzige, was das Mädchen in dem Jahr 1955 zu bewältigen hat. Ihre Mutter stellt ihr und der Großmutter ihren neuen Freund vor. Obwohl ihre Mutter ganz sensibel vorgeht, sorgt es für Mißstimmung in der kleinen Frauenwohngemeinschaft, denn schließlich will Monis Oma nicht einsehen, daß ihr Sohn nicht wiederkommt. Monika hat ihren Vater nie kennengelernt, für sie ist er nur "der Junge mit der Locke auf dem Foto oben auf dem Küchenschrank", für die Großmutter des Mädchens ist er doch ihr einziger Sohn. Als die durch den Krieg auch schon zur Witwe gewordene Frau erfährt, daß Adenauer die in der Sowjetunion verbliebenen Gefangenen endlich nach Hause holt, muß Monika helfen, ein Schild zu basteln, damit der heimkehrende unbekannte Vater seine Mutter in Friedland sofort erspähen kann.

Eindrucksvoll schildert die Kinderbuchautorin Kirsten Boie in "Monis Jahr" die Gefühle des Mädchens, das hin- und hergerissen ist, zwischen der Loyalität zu ihrer Mutter und deren neuen Freund, der Liebe zur Oma und der Pflicht zu ihrem unbekannten Vater zu stehen. Aber nicht nur die Frage, ob ihr Vater wieder heimkehrt, auch die Veränderung ihrer Umwelt prallt auf das Mädchen. Obwohl es der kleinen Familie finanziell immer besser geht - die Mutter arbeitet in der Fabrik, die Oma putzt im Krankenhaus -, wird es auf der Oberschule offenbar, daß Monika aus bescheidenen Verhältnissen stammt. Richtig wohl fühlt sie sich nur bei ihrem Freund Harald, dessen Familie 1955 noch in Nissenhütten wohnt, in Stolp aber einen eigenen Betrieb hatte. ",Im Osten hatten sie alle einen eigenen Betrieb!' hat Oma gesagt, als Moni ihr davon erzählte. ,Was sag ich, ein Rittergut hatten sie da alle! Meine Güte, was muß das da voll gewesen sein mit Rittergütern!'" Da viele Hamburger so denken wie Monikas Oma, entschließt sich Haralds Vater mit seiner Familie nach Australien auszuwandern, womit das Mädchen seinen besten Freund verliert.

Das Bemerkenswerteste an Kirsten Boies kurzem Roman ist die Schilderung des Alltagslebens und der Entwicklungen in den 50er Jahren. Überall spürt man, wie die Menschen noch zehn Jahre nach Kriegsende von den Geschehnissen traumatisiert und in ihrer Lebensführung eingeschränkt sind, gleichzeitig ist die Aufbruchstimmung spürbar. Kleine Details wie eigene Rollschuhe, Monikas erstes Fernseherlebnis, selbstgenähte Kleidung und beengte Wohnverhältnisse sind nur äußere Zeichen des Wandels.

"Monis Jahr" ist eine außerordentlich liebevolle Schilderung der 50er Jahre, die durch viele kleine Details überzeugt. R. Bellano

Kirsten Boie: "Monis Jahr", dtv, München 2005, broschiert, 255 Seiten, 8,50 Euro


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