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26.11.05 / Deutsche Geschichte nacherleben / Fernsehsender entdecken wieder, daß die Vergangenheit dieses Landes Stoff für hohe Einschaltquoten bietet

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. November 2005

Deutsche Geschichte nacherleben
Fernsehsender entdecken wieder, daß die Vergangenheit dieses Landes Stoff für hohe Einschaltquoten bietet
von Rebecca Bellano

Überdimensional fegen sie über die deutschen Fernsehbildschirme - die Rosinenbomber. Schon Wochen vor dem Sendetermin, dem 27. und 28. November, warb Sat.1 für den Spielfilm "Die Luftbrücke - Nur der Himmel war frei". Doch Sat.1 nahm sich keineswegs allein des Themas an, auch das ZDF sendete am 1. November eine Dokumentation über die von dem US-General Lucius Clay gegen alle Widerstände gestartete Rettungsaktion der von der Sowjetunion eingeschlossenen West-Berliner 1948 bis 1949.

Wer jetzt auf den Kalender schaut, mag sich natürlich irritiert fragen, warum das Thema im Winter 2005 plötzlich relevant ist. Ein Grund mag sein, daß die Fernsehproduzenten, noch so im Rausch von 60 Jahre Kriegsende, einfach alles mitnahmen, was hierzu im weitesten Sinne paßt, schließlich handelt es sich ja um eine Folge der Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein weiterer Grund ist, daß es die Fernsehanstalten mit den Jahreszahlen nicht ganz so genau nehmen. So sendet beispielsweise das ZDF erst im Frühjahr 2006 einen pompösen Spielfilm um die Ereignisse der

Bombardierung Dresdens vom 14. Februar 1945. (Die Internetseite www.dresden-der-film.de  vermittelt schon einen Eindruck davon, daß das ZDF sich zumindest die visuelle Umsetzung des Themas hat etwas kosten lassen.)

In der reißerischen Vorschau versucht Sat.1 bei seinem "TV-Event des Jahres" über die Berliner Luftbrücke Ähnlichkeiten mit dem Hollywood-Film "Pearl Harbour" zu erzeugen. Hier wie da bestimmen Flugzeuge das Bild. Bei der Sat.1-Produktion kam sogar eines zum Einsatz, das 47 Jahre zuvor schon einmal auf dem Flughafen Tempelhof, dem Herzstück der damaligen Aktion und auch Drehort des Spielfilms, landete. Die DC-3 wurde 1944 von der Douglas Aircraft Company gebaut. Sie wurde an die Royal Air Force übergeben und nahm unter der Kennung KN 442 an den Versorgungsflügen der westlichen Alliierten für die in West-Berlin eingeschlossenen zwei Millionen Menschen teil.

Aber Flugzeug und Flugplatz sind nicht die einzigen, die die im Film geschilderten Ereignisse schon miterlebt haben. So stellte die 30jährige Bettina Zimmermann, welche die weibliche Hauptrolle spielt, verwundert fest, daß sich unter den Komparsen einige Darsteller befanden, die noch aus dem eigenen Erleben berichten konnten.

Heino Ferch, der im Film als General Turner dem Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone, Lucius D. Clay, bei der Umsetzung der logistischen Meisterleistung unterstützt, lobt, daß der Film etwas fürs Herz ist und zugleich Geschichte erzählt. Er selbst ist mit dem Thema durchaus vertraut. Sein Wohnsitz ist in Berlin-Dahlem ganz in der Nähe der Clayallee. Trotzdem war er zuvor nie im Alliierten-Museum der Stadt. Hier machte er sich als Vorbereitung für den Film mit den genauen Lebensumständen der eingeschlossenen West-Berliner vertraut. Bei der Vorstellung, daß die offizielle Kohle-Ration pro Person für den gesamten Winter 1948/49 zwölf Kilogramm betrug, was maximal für zwei Tage reicht, wurde ihm klar, warum die Menschen davon abgehalten werden mußten, die gesamte Stadt abzuholzen.

"Für mich ist der außergewöhnliche Aspekt einmal mehr die Geschichte Berlins, die, wie ich finde, fast unerschöpflich ist. Sich damit zu beschäftigen finde ich immer spannend", so Ferch.

Aber auch die in dem Film enthaltene, in der Umsetzung seichte Liebesgeschichte zwischen Luise Kielberg und dem US-General Turner wird von einem in der Nachkriegszeit nicht seltenem Problem überschattet: Luises als vermißt gemeldeter Ehemann (Ulrich Noethen) kommt aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück.

Aber nicht nur die Dreiecksge-schichte, sondern auch lauter kleinere Nebenhandlungen geben dem Zuschauer einen Eindruck von den Problemen der Nachkriegszeit. Hier gelingt es den Filmemachern einfühlsam, auch in leisen Worten und mit ruhigen Bildern, deutsche Geschichte auf leichte Weise dem Publikum nahe zu bringen.

Im Anschluß an den Spielfilm sendet Sat.1 auch eine Dokumentation. In "Die Luftbrücke - Berlin gibt nicht auf" kommen verschiedene Zeitzeugen zu Wort, deren Informationen auch zu den Recherchen für den Spielfilm berücksichtigt wurden.

So erzählt der Schriftsteller und Soziologieprofessor Horst Bosetzky, wie er als Zehnjähriger in Berlin-Neukölln die Ereignisse erlebt hat. "Es war eine schreckliche Welt. Ich brauche mir heute gar keine Horrorfilme anschauen, der Blockade-Winter war eine Horrorzeit." Auch die Sängerin Katja Ebstein, die in Reinickendorf lebte, der 1948 in Tempelhof wohnende Egon Bahr und der US-Pilot und Flieger eines Rosinenbombers Gail Halverson erzählen von ihren Erinnerungen.

Der Sender Sat.1 war gut beraten, das Thema Blockade West-Berlins der Öffentlichkeit nahezubringen, denn jetzt leben noch viele Zeitzeugen.

Ähnliches gilt übrigens auch für die Heimatvertriebenen, die mit ihren Erinnerungen so manches Material für abendfüllende Spielfilme beisteuern könnten und dies auch gern tun würden, damit auch Menschen, die sich nicht für Dokumentationen interessieren, von ihrem Schicksal erfahren. Spielfilme zur eigenen Geschichte sind auch immer ein Stück Kulturgeschichte.


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