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03.12.05 / Kein Ende des Reformstaus in Sicht / Ehemalige Streithähne einigen sich auf unangenehme Sparmaßnahmen für die Bürger und schieben sich Posten zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Dezember 2005

Kein Ende des Reformstaus in Sicht
Ehemalige Streithähne einigen sich auf unangenehme Sparmaßnahmen für die Bürger und schieben sich Posten zu
von Karl Feldmeyer

Seit zwei Wochen hat Deutschland nun eine neue Regierung. Nach langen Koalitionsverhandlungen verlief der Wechsel von der Regierung Schröder zur Regierung Merkel denkbar unspektakulär. Auf große Worte verzichteten die Beteiligten, allen voran die Kanzlerin selbst. Die Zahl der Stimmen, die Merkel in geheimer Wahl erhielt, lag zwar um 51 unter der Zahl von 448 Abgeordneten, über die CDU, CSU und SPD gemeinsam im Bundestag verfügen, aber weit über dem erforderlichen Quorum - und darauf kam es an. Merkels Wahl und Vereidigung am Vormittag des 22. November folgten am Nachmittag die Ernennung der Minister und am Abend die erste Kabinettssitzung. Der Tag darauf war schon Regierungsalltag, an dem das Kabinett erste Sparmaßnahmen beschloß. Durch Gesetzesänderung wurden Abschreibungsmöglichkeiten für Großverdiener - sogenannte Steuerschlupflöcher - geschlossen. Auch außenpolitisch wurde die neue Regierung noch am selben Tag aktiv. Mit Kurzvisiten zuerst in Paris bei Präsident Chirac, dann in Brüssel bei EU und Nato setzte Merkel erste Akzente. Erst danach flog sie zu Premierminister Blair nach London.

Das vorrangige Interesse der Öffentlichkeit aber richtet sich derzeit nicht auf die Außen-, sondern auf die Innenpolitik, konkret auf die Frage, ob die Bundesregierung ihren Haushalt in Ordnung bringen und damit eine wichtige Voraussetzung für die Senkung der Arbeitslosigkeit schaffen wird. Dabei geht es nicht nur um Fakten und Zahlen, sondern auch um Psychologie. Denn diejenigen, die den Gürtel enger schnallen sollen, werden dies nur dann akzeptieren, wenn sie den Eindruck gewinnen, daß es beim Sparen und Verzichten gerecht zugeht. Es besteht somit ein enger Zusammenhang zwischen den Erfolgschancen der beabsichtigten Einsparungen, die die Bevölkerung betreffen, und der Frage, wie sich die Regierenden selbst verhalten.

Das gibt der Entscheidung der neuen Regierung, die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre um vier auf nunmehr 30 zu erhöhen ihren politischen Rang. Allein schon die Tatsache, daß durch diese Entscheidung das öffentliche Augenmerk auf die Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre gerichtet wurde, ist für die Regierung, ja für das ganze politische System schädlich, denn sie sind ein Mißstand. Geschaffen wurde dieses Amt für Bundestagsabgeordnete vor 40 Jahren von der ersten großen Koalition unter Kiesinger und Brandt. Damals lautete die Begründung, man wolle für junge vielversprechende Abgeordnete Funktionen schaffen, in denen sie sich als künftige Minister erproben könnten. Das hatte mit der Wirklichkeit nie etwas zu tun. Tatsächlich wird dieses Amt wie eine Pfründe verliehen; sei es an Abgeordnete, auf deren Loyalität man angewiesen, aber deren man nicht sicher ist und die so als Unterstützer der Regierung gewonnen - deutlicher gesagt, gekauft - werden; sei es, um sich für erwiesene Unterstützung zu bedanken. Die Aufgaben, die ein "Parlamentarischer" zu erledigen hat, sind vage und werden ihm vom Minister zugewiesen - oder eben nicht. Akten bekommt ein Parlamentarischer nur dann auf den Tisch, wenn der Minister oder in seinem Auftrag der beamtete - der "richtige" - Staatssekretär dies angewiesen hat. Um so attraktiver sind seine Bezüge und Privilegien. Dazu gehören ein eigenes Büro mit zwei Sekretärinnen, einem persönlichen Referenten und einem Sachbearbeiter sowie ein Dienstwagen mit Fahrer. Diesem Status entsprechen die Bezüge. Die "Bild"-Zeitung rechnete ihren Lesern genau vor, was Parlamentarische Staatssekretäre erhalten. Zu ihren (reduzierten) Bezügen als Abgeordnete von 4054 Euro kommt ein Amtsgehalt von 9850 Euro, eine Dienstaufwandsentschädigung von 2760 Euro und eine Kostenpauschale von 2691,75 Euro, letztere steuerfrei. Das sind im Monat 19355,75 Euro, zuzüglich eines Weihnachtsgeldes von 5910 Euro. Und all das dafür, daß "der Parlamentarische" in der Fragestunde des Bundestages den Minister vertritt oder an seiner statt Termine wahrnimmt, für die der Minister keine Zeit hat. Der FDP-Vorsitzende Westerwelle nannte die Vermehrung dieser Stellen "dreist und frech".

Angesichts der Milliardenlöcher im Bundeshaushalt mag man es als unerheblich bewerten, ob nun 30 oder 26 Parlamentarische Staatssekretäre ihr Pfründe genießen. Aus der Sicht der Steuerzahler geht es aber nicht nur ums Geld, sondern darum, wie impertinent ihm die Regierenden zeigen, daß ihre Sparbeschlüsse nur für ihre Wähler gelten, nicht für sie selbst. Das kann die Neigung sie zu wählen nicht fördern. Bleibt abzuwarten, ob und wie sich die Oppositionsparteien nun dieses Themas im Bundestag annehmen. Für FDP und Grüne ist es kein unproblematisches Thema, denn sie selbst haben nur zu gern die Annehmlichkeiten dieses Amtes genutzt, so lange sie mitregierten.

Wichtiger als dies sind die schon in der ersten Woche bekannt gewordenen Details zu den Sparplänen, mit denen die Regierung der Verschuldung entgegenwirken will. Um es kurz zu machen: Es bleibt alles beim alten. So wie es Eichel vorgemacht hat, versucht man das strukturelle Defizit nicht durch Kürzungen, sondern entweder durch Steuererhöhungen (drei Prozent Mehrwertsteuer) oder durch den Verkauf von Staatsvermögen in den Griff zu bekommen. 54 Milliarden Euro an Staatsvermögen sollen in vier Jahren veräußert werden. Angesichts dieser Therapie (deren Mißerfolg der Regierung Schröder zum Verhängnis wurde) fragt man sich, warum Eichel nicht im Amt des Finanzministers bleiben durfte. Steuerreform, Gesundheitsreform, Rentenreform - all das, was die Voraussetzung für eine wirkliche Sanierung der Staatsfinanzen wäre, ist auf später verschoben worden. Der hessische Ministerpräsident Koch, der bei den Koalitionsverhandlungen eine entscheidende Rolle spielte, hat einen Tag nach der

Vereidigung Merkels zur Bundeskanzlerin seine Partei mit der öffentlichen Feststellung überrascht, die große Koalition sei zu umfassenden Reformen unfähig, weil SPD und Union in ihrer Programmatik "diametral entgegengesetzt" seien. Große Reformen seien nicht möglich, dennoch sei das Bündnis das derzeit bestmögliche, was zu haben sei. Alles wozu sie fähig sei, sei das Land vor Schaden zu bewahren. Daß in der Union über diese Äußerung des Mannes, der für sie bei den Koalitionsverhandlungen für die Finanz- und Haushaltsfragen zuständig war, und somit wissen muß, wovon er spricht, peinliches Schweigen herrscht, wundert nicht. Was das aber für die Zukunft des Sanierungsfalles Deutschland heißt, ist auch klar: Die Sanierung ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Sanierungen beginnen immer mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme, die die Ursachen für die entstandene Misere aufzeigt, die Fehlerquellen lokalisiert und auf dieser Basis Vorschläge dafür macht, wie die Fehlentwicklung gestoppt und ein positiver Kurs eingeschlagen werden kann. All das fehlt bislang. Schade für Deutschland.

Nach außen hin wirkt Angela Merkels Kabinett erschreckend harmonisch: Brigitte Zypries (SPD), Annette Schavan (CDU), Heidemarie Wiezcorek-Zeul (SPD), Horst Seehofer (CSU), Peer Steinbrück (SPD), Ulla Schmidt (SPD), Wolfgang Tiefensee (SPD), Thomas de Mazieré (CDU), Wolfgang Schäuble (CDU), Sigmar Gabriel (SPD), Frank-Walter Steinmeier (SPD), Michael Glos (CSU), Ursula von der Leyen (CDU), Franz Josef Jung (CDU), Franz Müntefering (SPD) und Angela Merkel (v. l.) Foto: vario-press


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