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10.12.05 / … und die Arbeit wandert aus / Während Wowereit und Co. in aller Welt um neue Investoren werben, ziehen die vorhandenen ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

… und die Arbeit wandert aus
Während Wowereit und Co. in aller Welt um neue Investoren werben, ziehen die vorhandenen ab

Die Passanten reagierten überwiegend genervt, als letzte Woche hupende Fahrzeuge unweit des Berliner Regierungsviertels die Straßen blockierten. Was zunächst wie eine „Türkenhochzeit“ aussah, entpuppte sich als IG-Metall-Demo. „Heute bist du Deutschland – und morgen arbeitslos“, stand auf einem Transparent.

Die Mitarbeiter der Firma JVC demonstrierten mit einer Autokorso gegen die Schließung ihres Werkes. Solche Spektakel erlebt Berlin fast täglich. Bei Samsung und seinen Zulieferern (siehe PAZ Nr. 48), bei Visteon, Reemtsma, Daimler, Siemens, der Deutschen Telekom – überall stehen Entlassungen und Werksverlagerungen oder -schließungen an.

In Berlin gehen Firmenstandorte und damit massenhaft Arbeitsplätze verloren. Da drängt sich die Frage auf: Wie sieht eigentlich eine Wirtschaftspolitik aus, die so etwas mit zu verantworten hat? Nach dem in letzter Minute (vorerst?) gestoppten Umzug der Zentrale der Deutschen Bahn nach Hamburg, rieb sich weit über Berlin hinaus die deutsche Öffentlichkeit die Augen: Warum bekam der Berliner Senat keinen Wind davon, daß die Hansestadt und die Bahn monatelang diskret über den Ortswechsel verhandelten?

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) hatten das Werben für den Standort eigentlich zum Topthema gemacht. „Wowereit und Wolf tingeln durch die ganze Welt, auf der Suche nach neuen Investoren“, jubelete erst kürzlich noch der Landes- und Fraktionschef der SPD, Michael Müller, auf einer Podiumsdiskussion.

Spürbare Erfolge sind der gepriesenen „Tingelei“ kaum zuteil geworden. 30 Millionen zahlte das Land Berlin an Subventionen an den Röhrenhersteller Samsung. Zum Dank verlassen die Koreaner jetzt die Stadt, um ihr Werk in Ungarn wieder aufzubauen.

Ist es überhaupt wirklich so, daß Wirtschaftssenator Wolf um die Welt jettet, um Firmen in Berlin anzusiedeln? Zweifel sind angebracht: Der Diplom-Politologe und Gysi-Nachfolger erweckt selbst nämlich eher den Eindruck, eine ruhige Kugel zu schieben, als sich aufzureiben. In seinem öffentlichen Internet-Terminkalender fand sich vergangenen Sonntagabend für den Dezember kein einziger Eintrag.

Und der Regierende Bürgermeister? Er hat sich der Medienbranche verschrieben. In der Regierungserklärung Wowereits 2002 hieß es: „Mein Ziel ist es, daß die Region zu wirtschaftlichem Erfolg findet und ein prosperierender Standort der Medienwirtschaft wird, in dem moderne Arbeitsplätze entstehen.“ Seine eigene Rolle definierte der frisch Gewählte damals so: „Wir wollen, daß Investoren in einigen Jahren sagen: Öffentliche Dienstleistungen in Berlin sind vorbildlich. Für Investoren wird der rote Teppich ausgerollt.“ Fast vier Jahre später kann die rot-rote Landesregierung nur eine gemischte Bilanz vorlegen. Zwar wechselte der Musiksender „MTV“ von München an die Spree. Dafür wanderte der in Berlin gegründete Nachrichtenkanal „n-tv“ aber stillschweigend nach Köln ab. Gibt es den roten Teppich nur für Neuankömmlinge und werden Alteingesessene darüber vergessen?

Die Wirtschaftsförderung wird in Berlin von mehreren Institutionen betrieben. So zum Beispiel vom „Business Location Center“, das indes selber kritisiert, durch die ungünstigen Bedingungen in der Stadt würden „immer mehr Unternehmen dazu getrieben, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern“.

Daneben gibt es für komplexe In-vestitionsvorhaben eine „Zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle“ (ZAK). „Gemeinsam mit den Genehmigungsbehörden in den zwölf Berliner Bezirken und den Berliner Senatsverwaltungen möchten wir so unseren Beitrag zu einem unternehmerfreundlichen Standort leisten“, lautet die Selbstdarstellung dieser Behörde des Wirtschaftssenators.

Klingt gut – wer jedoch zwischen den Zeilen liest, erkennt, daß die Berliner Bürokratie offenbar so wirtschaftsfeindlich eingestellt ist, daß der Senator diese neue Behörde nur ihretwegen, sprich: gegen sie ins Leben rufen mußte: „Sie moderiert in festgefahrenen Situationen zwischen Unternehmen und Behörden“, heißt es zu den Aufgaben der ZAK. Also: Statt die Macht der Bürokraten auf das notwendige Minimum zu reduzieren, hat das Land Berlin einfach eine weitere Behörde geschaffen, um der anderen auf die Finger zu schauen. So beschäftigt sich Bürokratie selbst.

Es gibt allerdings auch Unternehmen, die sich zufrieden über Berlin äußern. Einer der größten Arbeitgeber, die Schering AG, hat gute Kontakte zum Senat – offizielle wie inoffizielle. Schering-Pressesprecher Oliver Renner freute sich gegenüber der Preußischen Allgemeinen Zeitung: „Wir haben die Kontakte, die uns als einem der größten Arbeitgeber zukommen.“ Schnell fügt er noch hinzu: „Wir fühlen uns wohl in Berlin.“

Noch eine andere Erfolgsmeldung aus Wowereits Lieblingsbranche hatte der Berliner Senat dieser Tage zu verkünden: Der Medienriese Sony geht den entgegengesetzten Weg von „n-tv“ und verlegt seinen Sitz von Köln nach Berlin. Plus 650 Arbeitsplätze. Und BASF hat angekündigt, bis Ende 2007 über 500 neue Stellen an der Spree zu schaffen.

Trotzdem übersteigt die Zahl der abwandernden (oder sterbenden) Jobs die derjenigen, die neu geschaffen werden. Die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin sinkt: von knapp 1,6 Millionen Menschen 1995 auf 1,4 Millionen Ende 2003 – nicht einmal mehr jeder zweite Berliner ist erwerbstätig. Tendenz weiter abnehmend. H. F.

Im Jahr 2005 überwogen die Negativmeldungen auf dem Arbeitsmarkt:

Schon im Mai kämpften die Mitarbeiter von Bosch / Siemens in Berlin um ihren Arbeitsplatz. Es folgten Mitarbeiter von Samsung, JVC und der Deutschen Telekom. Foto: Bachmeier


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