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10.12.05 / Die brennenden Autos mahnen Europa / Was uns die Unruhen in den Banlieus zeigen – Dringend

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Die brennenden Autos mahnen Europa
Was uns die Unruhen in den Banlieus zeigen – Dringend vonnöten: Eine Debatte um eine europäische Leitkultur
von Jürgen Liminski

Die Europäer, gerade die Franzosen, waren gewarnt. Schon vor drei Jahren und seither immer wieder weist der geopolitische Krisenbericht des amerikanischen Geheimdienstes CIA unter dem Titel Global Trends auf bevorstehende Unruhen und gewalttätige soziale Konflikte bei den Verbündeten in Europa hin. Die Studie, die mit Hilfe von 15 großen politischen Stiftungen und Institutionen erstellt wird, warnt vor dem Mittel der massiven Einwanderung zur Lösung von Problemen auf dem Arbeitsmarkt und zum Ausgleich des demographischen Defizits. Überhaupt führt sie die Demographie als einen entscheidenden strategischen Faktor für die Macht- und Wirtschaftsverhältnisse in der nächsten Dekade und auch schon in der laufenden an.

Man hört jetzt zwar nicht mehr viel, aber immer noch brennen Autos in den Vorstädten. Innenminister Sarkozy will sich damit nicht abfinden. Der Aufstand und seine Reaktion darauf haben ihm sagenhafte Popularitätswerte beschert. Jetzt läßt er Razzien durchführen, und was man findet, ist alles andere als beruhigend: Kokain, Heroin, Waffen fast allen Kalibers. Der Aufstand ist noch keineswegs beendet, nur die Medien halten sich stärker zurück.

Ein französischer Autor, Michel Gurfinkiel, hat nun vor dem Hintergrund der anhaltenden Unruhen in französischen Städten folgende Rechnung aufgemacht: Von den rund 60 Millionen Einwohnern in Kontinentalfrankreich plus den zwei Millionen in den Überseegebieten seien etwa 20 Millionen weiß, christlich und über 50 Jahre alt. Von den übrigen 40 Millionen gehörten zehn zu ethnischen Minderheiten (nordafrikanische Muslime, türkischstämmige Muslime, schwarzafrikanische Muslime, westindische oder afrikanische Christen). Wenn man sich nun die Alterskohorten anschaue, erkenne man, daß 35 Prozent aller französischen Einwohner unter 20 Jahren diesen Minderheiten angehören und daß deren Anteil in den größeren Städten sogar auf 50 Prozent gestiegen ist. Die Muslime allein machten schon 30 beziehungsweise 45 Prozent aus. Gurfinkiel folgert: „Da Kriegführen hauptsächlich eine Sache jüngerer Altersgruppen ist, steht es beim Kampf Mann gegen Mann in einer ethnischen Auseinandersetzung eins zu eins“.

Natürlich fragt sich Gurfinkiel auch, inwieweit die jüngsten Unruhen ethnische oder religiöse Ursachen haben. Selbst wenn man der Meinung der überwiegend linksliberalen Medien in Frankreich und dem Ausland zuneige und ähnlich wie Premierminister de Villepin davon ausgehe, daß Armut und Arbeitslosigkeit die treibenden Kräfte der Rebellion seien, so bleibe doch das Faktum, daß es Jugendliche aus diesen ethnischen Minderheiten seien, die die Gewalt ausübten, daß die meisten von ihnen sich ausdrücklich auf den Islam berufen, daß ihr Schlachtruf Allahu Akbar sei und daß ihre Vorbilder und Helden Islamisten wie Osama bin Laden oder radikale Prediger in den Vorstädten seien. Eine weitere Tatsache sei, daß nur „weiße“ Autos abgefackelt würden. Auffallend sei auch, daß diese jungen Leute vorwiegend Rappermusik hörten, in denen das „weiße Frankreich“ in geradezu obsessiver Weise als sexuelle Beute besungen werde.

Gurfinkiel mutmaßt, daß diese Ereignisse die Ablehnung der Einwanderung bei den Bürgern in Frankreich bestärken wird, auch bei den von Ausländern abstammenden, aber voll integrierten Franzosen. Auch eine stärkere Ablehnung der Türkei hält er nicht für ausgeschlossen. Das mag sein. Aber die Medien in Frankreich halten in ihrer Berichterstattung dagegen. Sie vermeiden ostentativ, einen Zusammenhang zwischen Islamisten und Aufrührern herzustellen. Normalerweise wird bei Festgenommenen der Vornahme genannt. Mehr als 2000 Gewalttäter wurden festgenommen, Namen werden vermieden. Sonst würde man lesen, daß es sich um Abdel, Ali oder Hafez handelt. Man findet auch Reportagen mit Jugendlichen in den Banlieus. Aus ihnen geht dann hervor, wie schlimm die soziale Lage ist. Aber Innenminister Sarkozy, derzeit vermutlich der meistgehaßte Mann in den Vorstädten, nennt die Dinge beim Namen, wenn er in der Nationalversammlung sagt: „In den Banlieus unter menschunwürdigen Umständen zu leben berechtigt nicht dazu, Autos anzuzünden.“

Sarkozys Wortwahl war sicher nicht immer glücklich und seine Drohung, die Vorstädte mit dem Hochdruckreiniger zu säubern hat viele zu recht empört. Aber mehr als zwei Drittel aller Franzosen geben seiner Aussage im Parlament recht. Sein Gegenspieler de Villepin, unterstützt vom arabophilen Staatspräsidenten Chirac, hat lange gezögert, etwas gegen die Unruhen zu unternehmen, in der Hoffnung, Sarkozy werde diese Schlacht verlieren und damit im Rennen um das Elysee zurückfallen. Verloren hat letztlich de Villepin selbst. Seine Analyse der Lage als soziale Unruhen wird von vielen Franzosen als einäugig erkannt. Die meisten ahnen, daß hier grundlegende Entwicklungen sich Bahn brechen. Mit Sozialmaßnahmen – Hausbau, Betreuung, staatlich geförderten Arbeitsstellen – wird man das Problem nicht in den Griff bekommen. Hier geht es um das, was man in Deutschland zaghaft als „Leitkulturdebatte“ aufgreift. Die brennenden Autos sind Mahnmale.

Für Frankreich wie für andere Länder in Europa gilt: Man rief Arbeitskräfte und es kamen Menschen mit ihren Kulturen im Gepäck. Im Fall Frankreich und Großbritannien kommt noch die koloniale Vergangenheit hinzu. Während die Franzosen aufgrund der revolutionären Vergangenheit ein voluntaristisches Nationalbewußtsein pflegen – Franzose ist oder wird, wer Franzose sein will –, haben die Angelsachsen ein ziemlich unbekümmertes, wenn auch nicht immer korrektes Verhältnis zu Ausländern. Sie sind zugleich weltoffen und zugeknöpft. Ihre Gesetze zur Einwanderung sind eher restriktiv und vor allem pragmatisch. Naturalisierungsverfahren in Großbritannien waren schon immer teuer und langwierig und es ist daher, von den britischen Einwanderern aus den ehemaligen Kolonien mal abgesehen, auch nicht verwunderlich, daß Großbritannien im Vergleich zu den anderen großen EU-Staaten wie Frankreich und Deutschland sehr viel weniger Ausländer aufgenommen hat.

Das mag ein Erbe nicht nur der nationalsozialistischen Rassenideologie, sondern auch der Französischen Revolution sein. In einer in New York und Oxford erschienenen Studie über „Bürger und Fremde“ kommt der Autor, Andreas Fahrmeir, zu dem Schluß: „Die Ideen der Französischen Revolution, welche die Ära des modernen, auf der Gleichheit aller Bürger beruhenden Nationalstaats einleiteten, haben viel dazu getan, die vielfältigen sozialen Unterschiede des Ancien Regime einzuebnen. Das Problem aber, das sie uns hinterlassen haben, besteht in der fortdauernden Ungleichheit zwischen Bürgern und Fremden.“

Diese Ungleichheit ist auch unabhängig vom staatlich steuerbaren Paßwesen ein Faktum. Wer wollte leugnen, daß auch „muslimische Mitbürger“ anders sind, daß sie anders denken, sich anders verhalten, anders miteinander umgehen. Darin liegt noch keine Wertung, aber ein Problem insofern, als Muslims, insbesondere Türken in Deutschland, sich zum größten Teil nicht integrieren wollen. Das haben Umfragen der letzten Jahrzehnte konstant ergeben. Auch dieser Wille sei ihnen unbenommen. Die Europäer und hier besonders die Deutschen sollten sich aber fragen, ob der mangelnde Integrationswille kein Hindernis dafür sein könnte, vom deutschen Sozialsystem zu leben. Es geht ja nicht nur um den Paß und eine bunte Multikulti-Atmosphäre, sondern in zunehmendem Maße eben auch um die Zukunftsfähigkeit unserer Systeme. Die läßt sich mit ideologischen Vorgaben nicht sichern. Erst recht nicht, wenn zivilisatorische Unterschiede (die Stellung der Frau oder die Definition von Familie) die Belastbarkeit der Systeme zu überfordern drohen. Auch das ist eine Form des von Huntington prophezeiten „Clash of civilisations“. Hier kann die prinzipielle Gleichheit der Menschen (vor Gott) nicht mehr das einzige Kriterium sein. Es muß ergänzt werden, um die Ungleichheiten der Zivilisationen auszugleichen oder ein Mindestmaß an Chancengleichheit zu schaffen. Ideologie alleine programmiert Konflikte.

Zu der Ideologie kommt hinzu, was der Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid den „harten Faktor“ nennt, die Demographie. Nach einem UN-Bericht müßten bis 2025 rund 188 Millionen Menschen in die EU einwandern, wenn man die Veralterung nur aufhalten will, auf Deutschland entfiele dabei fast ein Drittel. Das sind, so rechnete mal die CSU vor, jedes Jahr 3,4 Millionen. Das wäre ein anderes Land, wenn all diese Menschen kämen. Und es ist zweifelhaft, ob diese Menschen die Beiträge leisten können und wollen, damit die Deutschen ihre Rente bekommen.

Zuwanderung allein löst also das Problem nicht. Man kann „die Sache mit den Kindern“ nicht nur den Ausländern überlassen. Der demographische Faktor berührt die gesamte Gesellschaftspolitik. Andre Glucksmann hat in seinem neuen Buch „Haß“ die Rückkehr der Gewalt in unsere moderne Zivilisation beschrieben. Der Kern des Hasses und der Zerstörungswut sei nicht eine Religion, sagt er, sondern der Nihilismus. Er ist der neue Ideologieersatz. Das gilt sicher für viele europäische Medienleute. Gilt es auch für Islamisten? Kaum. Ihr Haß ist religiös begründet und deshalb noch gefährlicher. Am gefährlichsten ist allerdings die Kombination von religiösem Fanatismus und Nihilismus. Der bretonische Schriftsteller Ernst Hello hat vor 150 Jahren in seinem Buch „Welt ohne Gott“ geschrieben, der Nihilismus sei eine „Leidenschaft, die das Nichts zum Gegenstand hat. Hat sie einen Sinn? Nein. Aber diese Leidenschaft enthält ein Geheimnis: Die Liebe zum Nichts ist der Haß gegen das Sein.“ Für die Kombination von Islamismus und Nihilismus muß man sagen: Es ist der Haß gegen das christliche Sein. Darum aber geht es bei der Debatte: um die europäische Leitkultur.

Die Debatte um die Zuwanderung greift zu kurz, wenn sie sich nur bei Quoten und Qualitäten der Zuwanderer aufhält. Ohne einen Beitrag zur geistigen Standortbestimmng wird das Problem nicht in den Griff zu bekommen sein. Sonst werden die Deutschen und Franzosen und mit und unter ihnen die Christen in ein paar Jahren eine Minderheit im eigenen Land sein. Für manche ist das vielleicht die Erfüllung des Multikultiideals. Für Deutschland wäre es das Ende. In jedem Fall ist die Zuwanderungsfrage und die Frage nach einer Leitkultur in Europa eine Frage nach der Zukunft und Zukunftsfähigkeit nicht nur der Deutschen.

Ihre Vorbilder sind Islamisten wie Osama bin Laden

Der Nihilismus als Kern der modernen Gewalt

Sarkozy greift durch: Das französische Satire-Blatt „Charlie Hebdo“ scherzte schon, daß mit jedem zerstörten Auto seine Popularität steige.


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