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10.12.05 / Kein Ersatz fürs "Zentrum" / Bonner Haus der Geschichte zeigt Ausstellung "Flucht – Vertreibung – Integration"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Kein Ersatz fürs "Zentrum"
Bonner Haus der Geschichte zeigt Ausstellung "Flucht – Vertreibung – Integration"
von Markus Patzke

Nein, so hatten sich der erste Kulturstaatsminister unserer Republik, Bernd Naumann, und sein Ministerialdirektor Knut Nevermann die Sache nicht gedacht. Mit der am vergangenen Freitag im Bonner Haus der Geschichte eröffneten Ausstellung „Flucht – Vertreibung – Integration“ sollte das Vorhaben eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ des Bundes der Vertriebenen vom Tisch gewischt werden. Mit der Ausstellung wäre das Thema nach dem Wunsch der beiden Herren dann erledigt gewesen, „ausgebremst“, wie es BdV-Präsidentin Erika Steinbach nannte. Die Wirklichkeit am vergangenen Freitag sah anders aus.

Während die Ausstellung in Anwesenheit des Bundespräsidenten Horst Köhler in Bonn eröffnet wurde, warb Bundeskanzlerin Angela Merkel in Warschau für das „Zentrum gegen Vertreibungen“ und damit für das im Koalitionsvertrag festgeschriebene „sichtbare Zeichen“ zur Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung in Berlin. Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses „sichtbare Zeichen“ ist die Bonner Schau nicht, nicht einmal, wenn sie im Mai 2006 für vier Monate nach Berlin weiter zieht, sie kann es auch gar nicht sein.

„Flucht – Vertreibung – Integration“, wer aus dem Titel schließt, daß ihn eine wenigstens annähernd gleiche Gewichtung der Geschehnisse erwartet, wird enttäuscht. Flucht und Vertreibung bilden keineswegs den Schwerpunkt der Ausstellung, der vielmehr auf der Integration liegt. Auf 650 Quadratmetern werden mit annähernd 1500 Exponaten in acht Räumen unterschiedliche Aspekte des Schicksals der Ost-, Südost- und Sudetendeutschen gezeigt. Aber nur einer der Ausstellungsräume widmet sich der Massenflucht und anschließenden Vertreibung der deutschen Bevölkerung.

Der erste Raum beschäftigt sich mit dem „Jahrhundert der Vertreibungen“, er zeigt schlaglichtartig ähnliche Schicksale anderer Völker, etwa der Armenier, oder beleuchtet das griechisch-türkische Problem. In den zweiten Raum, der dann ausschließlich dem Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen gewidmet ist, gelangt man durch einen Tunnel, der die Besatzungsherrschaft der Nationalsozialisten im Osten darstellt. Das auch von namhaften Historikern stark angezweifelte, weil viel zu sehr vereinfachende Ursache-Wirkung-Schema wird leider kritiklos in die Ausstellung integriert. Die NS-Verbrechen seien „unmittelbarer Anlaß für die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten“ gewesen, sagte folgerichtig der Präsident des Hauses der Geschichte, Prof. Hermann Schäfer, bei der Eröffnung. Er vergaß allerdings nicht zu erwähnen, daß die Deutschen, die aus ihrer Heimat fliehen mußten oder vertrieben wurden, Opfer waren. Die Darstellung von Flucht und Vertreibung ist auf dem vorhandenen Platz aber beeindruckend gelungen. Dazu tragen nicht zuletzt

die vielen Audio- und Videobeispiele bei, die anhand von Einzelschicksalen das Geschehen lebendig werden lassen. Die Präsentation einzelner Lebensschicksale gehört überhaupt zu den Stärken der Ausstellung. Die Aussagen von 15 Zeitzeugen können an einzelnen Videoschirmen abgerufen werden. Jeder Besucher kann am Eingang eine Chipkarte mit einem aus 160 Lebensschicksalen zufällig ausgewählten Namen ziehen und diesen realen Lebensweg an verschiedenen Stationen weiter verfolgen. Die Präsentation dieser Einzelschicksale macht das Vertreibungsgeschehen gerade für die jüngere Generation in besonderer Weise erlebbar und nachvollziehbar. Beeindruckend sind auch die Exponate dieses Ausstellungsteils, etwa der originale Handkarren oder auch das Modell des von sowjetischen Torpedos versenkten Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“. Eine vollständige Darstellung der Vertreibung in allen ihren Facetten war auf dem zur Verfügung stehenden Raum, selbst wenn der Schwerpunkt der Ausstellung auf dem Vertreibungsgeschehen gelegen hätte, nicht zu erwarten. So fehlen etwa die Deportation und Internierung fast vollständig, so wird die Deportation der Deutschen aus Rußland nur am Rande erwähnt.

Anlaß zur Kritik kann das nicht sein. Das Bonner Haus der Geschichte ist das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Es beginnt mit seinen Darstellungen in aller Regel daher mit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen, Schlesien, Pommern, dem Sudetenland und den deutschen Siedlungsgebieten in Südosteuropa fallen aber in die Jahre 1945–1948. Sie können daher nicht originär Thema des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik sein. Es ist eine legitime Entscheidung der Ausstellungsmacher gewesen, den Schwerpunkt auf die Integration der Vertriebenen zu legen. Es ist daher auch dieser Abschnitt der Schau, der ihre eigentliche Stärke ausmacht und der auch dazu geeignet ist, manchen Mythos über die freundliche Aufnahme und rasche Eingliederung in der jungen Bundesrepublik zu zerstören. Denn beschönigt wird nichts, wie die Darstellung einer Demonstration aus dem Jahr 1949 zeigt: „Badens schrecklichster Schreck – der neue Flüchtlingstreck!“

Eindrucksvoll ist auch die Darstellung des Lagerlebens, so ist das größte Exponat eine Hütte aus dem Flüchtlingsdurchgangslager Furth im Wald, die im Zentrum der Ausstellungsfläche steht. Sie bringt das Flüchtlingsschicksal durch einprägsame Beispiele nah an den Besucher heran. Das aus Mullbinden zusammengenähte Kommunionkleid – wen sollte das nicht beeindrucken? Die ökonomische Eingliederung, der Lastenausgleich, aber auch die „Umsiedler-Politik“ in der Sowjetischen Besatzungszone, alles das sind weitere Themen, die in den einzelnen Räumen aufgearbeitet werden. Dazu gehört auch das Wiederaufleben der Diskussion um Flucht und Vertreibung, die Rücksinnung auf diesen Teil der Geschichte der Gesamtnation im kulturellen Leben, in der Literatur und den Medien. Sehr nah führt die Ausstellung den Besucher dabei an die Gegenwart heran.

Auch der Arbeit der Verbände und Organisationen der Vertriebenen ist ein eigener Raum gewidmet. Hier finden sich etwa das Original der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, aber auch andere wichtige Dokumente und die bedeutendsten Zeitungen aus dem landsmannschaftlichen Bereich. Auf einem Videoschirm kann der Besucher unter verschiedenen Filmen wählen und sich das Heimkehrversprechen Adenauers an 200000 Schlesier 1953 vor dem Kölner Dom anhören. Markante Punkte in der Geschichte der Vertriebenenverbände, wie zum Beispiel das Ringen um die Brandtsche Ostpolitik, werden sachlich dargestellt. Ein mißbilligender Unterton wird nicht erkennbar.

Die ausgezeichnete Ausstellung ist wichtig und sie ist unbedingt sehenswert. Ihre eigentliche Stärke, nämlich die Darstellung der Integration der Vertriebenen, macht zugleich deutlich, daß sie das „Zentrum gegen Vertreibungen“ nicht ersetzen kann. Im „Zentrum gegen Vertreibungen“ sollen die Vertreibungen der Völker Europas im vergangenen Jahrhundert, exemplarisch dargestellt am Beispiel der größten Vertreibung des 20. Jahrhunderts, thematisiert und aufgearbeitet werden. Das „Zentrum gegen Vertreibungen“ will mahnen und warnen, es will auch auf die Ächtung von Vertreibungen hinwirken und Vertreibungen vermeiden helfen. Die Darstellung der Integration von Vertriebenen in eine Gesellschaft ist etwas anderes und dient kaum diesen Zielen.

Es war die zufällige Parallelität der Ereignisse, die Bundeskanzlerin Merkel nach Warschau und Bundespräsident Köhler in das Haus der Geschichte führte, die der Ausstellungseröffnung besondere Brisanz verlieh. Diese Brisanz mag auch der Grund dafür gewesen sein, daß der Bundespräsident zwar an der Eröffnung teilnahm, sich aber in Zurückhaltung übte und schwieg. Es wäre besser gewesen, er hätte nicht geschwiegen.

Haus der Geschichte, Bonn, bis 17. April 2006. Deutsches Historisches Museum, Berlin, Mitte Mai bis Mitte August 2006. Zeitgeschichtliches Forum, Leipzig, 1. Dezember 2006 bis 15. April 2007

Bei der Eröffnungsveranstaltung: Bundespräsident Horst Köhler (v.l.), der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte Professor Dr. Herrmann Schäfer, Kulturstaatsminister Bernd Neumann sowie der tschechische Schriftsteller Pavel Kohout. Das untergegangene Flüchtlingsschiff „Wilhelm Gustloff“ (Foto l. unten) steht für die Dramatik von Flucht und Vertreibung. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch auf der Integration der Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik (siehe Foto r.). Foto: Patzke


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