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10.12.05 / Ringen um Wahrheit / London zeigt Selbstporträts von der Renaissance bis heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

Ringen um Wahrheit
London zeigt Selbstporträts von der Renaissance bis heute
von Silke Osman

Schon Plinius der Ältere berichtet in seiner „Historia naturalis“ von einer Frau, die mit Hilfe eines Spiegels ein Selbstbildnis gemalt habe. Seit jeher haben sich die Künstler auch mit dem eigenen Gesicht beschäftigt. In der Renaissance galt es sogar als schick, Künstlerporträts zu sammeln. So legte Leopoldo de’ Medici Mitte der 1660er Jahre eine ausschließlich mit Selbstbildnissen bestückte Sammlung an. Künstler tauschten ihre Porträts untereinander aus, um sich gegenseitiger Wertschätzung zu versichern. Andere entstanden als Auftragsarbeiten oder um selbst Werbung für sich zu machen. „Seht her, so male ich.“ Oft genug aber dienen Selbstporträts auch als Übungsstücke. Posen, Stimmungen, Stilarten und Techniken kann der Maler am besten am eigenen Porträt ausprobieren, zum anderen ist das Modell jederzeit zur Stelle. Selbstbildnisse sind nicht zuletzt auch gemalte Autobiographien, ein Mittel, mit dem die Künstler der Öffentlichkeit etwas von sich erzählen können. Wie stellen sie sich dar, welche Attribute haben sie gewählt, um ihre Aussage noch zu unterstreichen? Wirken die Selbstporträts von Frauen anders als die von Männern? Gewiß ist, daß Selbstporträts nie allein das Spiegelbild wiedergeben, sondern stets eine Aussage kundtun, die dem Künstler wichtig ist. Das Selbstbildnis gilt nicht von ungefähr als „die vielschichtigste aller Bildgattungen“ (Uwe M. Schneede). Nicht nur das Äußere des Dargestellten will gezeigt sein, sondern auch das Innere, das Ringen um das Wahre in der Kunst. Vielfach bedienen sich die Künstler gewagter Experimente mit Form und Farben, um dieses Ringen deutlich zu machen. Das eigene Bildnis ist da geeigneter als das eines Fremden, womöglich zahlenden Kunden, der auf der Leinwand am Ende einfach nur „schön“ aussehen möchte. So sind Selbstbildnisse auch „Berichte über den Stand der eigenen Malerei und deren Weiterentwicklung, aktuelle Berichte aus dem Atelier als Experimentallabor“ (Schneede).

Die National Portrait Gallery in London präsentiert derzeit eine Ausstellung mit Selbstbildnissen aus fünf Jahrhunderten. 60 Ölgemälde von 55 Künstlern sind in dieser Ausstellung versammelt, die in Zusammenarbeit mit der Art Gallery of New South Wales, Australien, entstand. Die Leihgaben kommen aus aller Welt, so auch aus den Uffizien in Florenz, dem Prado in Madrid, dem MoMA in New York oder dem Museé d’Orsay in Paris. Namen wie Rembrandt, Vélazques, Cézanne sprechen für sich. Unter den Künstlern sind erstaunlich viele Frauen (14) zu finden, so die Deutschen Anna Dorothea Therbusch-Lisiew, Sabine Lepsius und Paula Modersohn-Becker. Neben dem Schwarzwälder Hans Thoma, neben Christian Schad und Victor Emil Janssen ist auch der Ostpreuße Lovis Corinth mit seinem „Selbstbildnis mit Rückenakt“ aus dem Jahr 1903 in der Ausstellung vertreten.

Dagmar Lott-Reschke hat dieses Bild einmal mit dem 1910 entstandenen „Der Sieger“ verglichen, in dem Corinth ebenfalls mit seiner Frau Charlotte posierte, die mit ihrer Nacktheit selbstbewußt die Konventionen brach. „Wie Rubens und Ingres zuvor benutzte Corinth den Rücken der Frau als Schauplatz der Malerei. Die Haut wird zur Metapher für die Flächigkeit des Bildes. Corinth zeigte sich hier als Schöpfer eines Kunstwerkes und spielte damit auf den Mythos Pygmalions an. Wie der antike Bildhauer verwarf auch er das Alte und setzte neue Schöpfungen an dessen Stelle. Wieder steht die Nacktheit des Modells für die Wahrheit, die der Künstler mit schützender Geste für sich in Anspruch nimmt.“ „Der Sieger“ gelte als das kämpferische Pendant zu diesem Bildnis, in beiden Werken aber sei der programmatische Anspruch zu erkennen: „Corinth ist Schöpfer, Erneuerer und Kämpfer – in seinen Händen liegt die Verteidigung von Wahrheit und Freiheit.“

Die Ausstellung „Self-Portrait: Renaissance to Contemporary“ ist bis zum 29. Januar in der National Portrait Gallery, St. Martin’s Place, London, zu sehen; montags, dienstags, mittwochs und am Wochen-ende von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 10 bis 21 Uhr; Eintritt 8 Pfund.

Lovis Corinth: Selbstbildnis mit Rückenakt (1903; im Besitz des Kunsthauses Zürich) Foto: Museum


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