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10.12.05 / "Die Waffen nieder, sagt es allen!" / Vor 100 Jahren erhielt die Pazifistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis

© Preußische Allgemeine Zeitung / 10. Dezember 2005

"Die Waffen nieder, sagt es allen!"
Vor 100 Jahren erhielt die Pazifistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner als erste Frau den Friedensnobelpreis
von Manuel Ruoff

Die Waffen nieder!“ – dieses Anliegen war Deutschlands wohl bekanntesten Pazifistin nicht in die Wiege gelegt. Ihr Vater war General, und er starb nicht den Kriegertod, sondern eines natürlichen Todes. Immerhin stand Franz Joseph Graf Kinsky da schon im 75. Lebensjahr. Seine Tochter Bertha war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf der Welt. Das ist möglich, weil zwischen Vater und Mutter, Ehemann und Ehefrau ein halbes Jahrhundert Altersunterschied bestand.

Bertha Gräfin Kinsky kam somit am 7. Juni 1843 im gleichnamigen Palais der Familie in Prag als Halbwaise zur Welt. Sie las enorm viel, erlernte diverse Fremdsprachen und zeigte großes Interesse an den Naturwissenschaften. Nichtsdestoweniger verliefen ihre ersten Lebensjahrzehnte oberflächlich. Das lag nicht zuletzt an ihrer Mutter Sophie Wilhelmine, geborene von Körner. Gemeinsam mit ihrer Tochter widmete die sich nämlich ganz den gesellschaftlichen Vergnügungen – bis das Erbe durchgebracht war. Da war Bertha bereits fast 30 Jahre alt und noch immer unverheiratet.

So blieb letzterer nichts anderes übrig als zu arbeiten. In Wien nahm sie eine Stellung als Erzieherin an im Hause des Freiherrn Karl von Suttner. Dort verliebte sie sich in den jüngsten Sohn des Hauses, und der erst 23 Jahre alte Artur Gundaccar erwiderte ihre Gefühle. Als das herauskam, mußte die Komtesse gehen, denn die sieben Jahre ältere Hausangestellte galt den Suttners nicht als standesgemäße Partie. Da las Bertha folgendes Stellenangebot: „Ein sehr reicher hochgebildeter älterer Herr, der in Paris lebt, sucht eine sprachenkundige Dame, gleichfalls gesetzten Alters, als Sekretärin und zur Oberaufsicht des Haushalts.“ Bertha war sprachenkundig, und immerhin näherte sie sich schon den Mitte Dreißig. So bewarb sie sich, und es stellte sich heraus, daß der Herr mit 42 Lebensjahren zumindest für heutige Vorstellungen nicht unbedingt älter war, aber sehr reich und hochgebildet ohne Frage. Es handelte sich um den Stifter und Namensgeber des Preises, den Bertha knapp drei Jahrzehnte später erhalten sollte. Es kam zu einer Begegnung zwischen den beiden, aus der sich eine langjährige Freundschaft entwickelte. In ihren Augen verstand der Chemiker und Industrielle „so fesselnd zu plaudern, zu erzählen, zu philosophieren, daß seine Unterhaltung den Geist ganz gefangennahm“. Im Gegensatz zu der Österreicherin war der Frieden dem Schweden schon damals ein Herzensanliegen. Ähnlich wie später Bertha von Suttner dachte auch Alfred Nobel dabei in naturwissenschaftlichen Kategorien. Er hoffte, „einen Stoff oder eine Maschine schaffen zu können, von so fürchterlicher, massenhaft verheerender Wirkung, daß dadurch Kriege überhaupt unmöglich würden“. Hier kam die Komtesse bereits mit dem Thema Frieden in Berührung. Die Gräfin nahm die ausgeschriebene Stellung bei Alfred Nobel an – um sie allerdings kurz darauf trotz aller Sympathie für den Arbeitgeber wieder zu kündigen und nach Wien zurückzukehren.

Nachdem sie vorher bereits von den Schwestern Arturs erfahren hatte, daß er wie in Trübsinn verfallen sei und kein Wort mehr spreche, erreichte sie ein Telegramm des Geliebten mit den fünf Worten. „Kann ohne dich nicht leben.“ Bertha kündigte bei Alfred Nobel, verkaufte ein Diamantkreuz, reiste mit dem Geld nach Wien, nahm Kontakt auf zu Artur und heiratete ihn am 12. Juni 1876 klammheimlich in einer entlegenen Vorstadtkirche. Sie entsann sich einer Einladung, die sie, als sie noch mit ihrer Mutter in der Gesellschaft verkehrte, von der Fürstin Ekaterina Dadiani von Mingrelien in deren kaukasische Heimat erhalten hatte, und nahm diese mit ihrem frisch Angetrauten an.

Unter dem Schutz der Fürstin schlugen die beiden sich dort mit Gelegenheitstätigkeiten durch. Eine neue Beschäftigungsmöglichkeit und Einnahmequelle bescherte den beiden der Ausbruch des Russisch-Türkischen Krieges 1877, der den fernen Kaukasus auch für Mitteleuropäer interessant machte. Mit Erfolg sandte Bertha von Suttners Ehemann Berichte über den Krieg sowie Land und Leute an deutsche Wochenblätter. Bertha erlebte, wie das Schreiben ihrem Mann sowohl Freude als auch Einkommen brachte, und tat es ihm gleich. Anfänglich unter dem Pseudonym B. Oulet hatte sie nicht weniger Erfolg. Möglicherweise unter dem Einfluß des Russisch-Türkischen Krieges entwickelte sich die Autorin zur Pazifistin.

„Natürlich waren alle Zurückgebliebenen“, schreibt sie selber über diesen Krieg, „ringsum vom Roten-Kreuz-Fieber ergriffen: Verbandszeug fabrizieren, Tee- und Tabak-Vorräte expedieren, durchfahrende Regimenter mit Speise und Trank laben, Gelder sammeln, Wohltätigkeitsveranstaltungen planen und ausführen – alles zum Besten der armen Krieger.“ Der Schritt von der Linderung der Symptome des Krieges hin zur Bekämpfung des Krieges selber war für Bertha von Suttner nur logisch und konsequent.

Für den Pazifismus der naturwissenschaftlich Interessierten spielen dabei die Entdeckungen und Theorien des Naturforschers Charles Darwin eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie entwickelte sich insofern zur Sozialdarwinistin, als sie Darwins Evolutionstheorie auf die Gesellschaft übertrug und daraus (im Gegensatz zu den imperialistischen Sozialdarwinisten) „einen festen frohen Fortschrittsglauben“ ableitete. Sie vertrat die Überzeugung, daß das Menschengeschlecht durch die Evolution immer zivilisierter und vernünftiger würde und es deshalb nur eine Frage der Zeit sei, daß es zur friedlichen Konfliktlösung bereit und fähig ist.

Das Jahr 1885 brachte dem Ehepaar Suttner die Rückkehr in die österreichische Heimat. Die Fürstin Ekaterina Dadiani war gestorben und konnte ihre Hand nicht mehr schützend über die beiden halten. Zudem war auch Sophie Wilhelmine Gräfin Kinsky verschieden, was bei Bertha von Suttner das Heimweh verstärkte. Erleichtert wurde die Rückkehr nach Österreich dadurch, daß die Suttners angesichts des glücklichen Verlaufes der Ehe dem Paar eine Rückkehr in den Schoß der Familie und deren Haus ermöglichten. Nach dem noch im Kaukasus entstandenen „Inventarium einer Seele“ folgten hier die stark autobiographisch geprägten Wiener Gesellschaftsskizzen „High Life“ und „Schriftsteller-Roman“ sowie „Maschinenzeitalter“. 1889 erschien dann ihr berühmtester Roman „Die Waffen nieder!“, mit dem sie sich bereits im Titel als Pazifistin bekannte.

„Der Friedensliga wollte ich einen Dienst leisten – wie konnte ich das besser tun, als indem ich ein Buch zu schreiben versuchte, das ihre Ideen verbreiten sollte. Und am wirksamsten, so dachte ich, konnte ich das in Form einer Erzählung tun. Dafür würde sich ein größeres Publikum finden als für eine Abhandlung.“ Bertha von Suttner sollte mit dieser Einschätzung recht behalten. Ihr erstes Buch, das unter ihrem eigenen Namen erschien, schilderte die Schrecken des Krieges in einer Lebendigkeit, die aufwühlte und kaum einen Leser gleichgültig ließ. Alfred Nobel rühmte die „Amazonenhand, die so wachsam Krieg gegen den Krieg führt“ und ihr berühmter russischer Kollege Leo Tolsoi wagte den Vergleich mit „Onkel Toms Hütte“: „Der Abschaffung der Sklaverei ist das berühmte Buch einer Frau vorausgegangen. Madame Beecher-Stowe; gebe Gott, daß das Ihre das gleiche bewirke für die Abschaffung des Krieges.“ Und Wilhelm Liebknecht fragte an, ob das SPD-Parteiorgan „Vorwärts“ den Roman als Mehrteiler abdrucken dürfe. Es spricht für Bertha von Suttners Idealismus, daß sie zustimmte, obwohl ihr dafür kein Honorar in Aussicht gestellt wurde. „Ich bin sogar sehr stolz darauf, daß die Sozialdemokraten … uns durch mein Buch jetzt näher gebracht werden“, war ihr Kommentar.

„Uns“ meinte in diesem Falle die pazifistische Bewegung, zu deren Galionsfigur Bertha von Suttner durch ihren Roman geworden war. Nach einem flammenden Aufruf, der zu ihrer Überraschung von Wiens bedeutendstem Blatt, der „Neuen Freien Presse“, veröffentlicht wurde, gründete sich am 30. Oktober 1891 auch in Österreich eine Friedensgesellschaft. Präsidenten der 2000 Mitglieder zählenden Gesellschaft wurde Bertha von Suttner. Kaum Präsidentin reiste sie als Delegierte zum internationalen Kongreß der Friedensgesellschaften nach Rom. Hier entdeckte sie, daß sie nicht nur eine Meisterin des geschriebenen, sondern auch des gesprochenen Wortes war. Sie mußte zwischen ihren Fähigkeiten entscheiden und entschied sich gegen die Kunst und für die Politik. „Die Waffen nieder!“ blieb ihr größter Roman.

Aus der Schriftstellerin wurde eine Friedensaktivistin. Die Präsidentin der Österreichischen Friedensgesellschaft wurde auch noch Vizepräsidentin des im Anschluß an den Friedenskongreß eröffneten Friedensbüros mit Sitz in Bern. In Berlin gab sie ab dem Februar des Folgejahres die Monatsschrift „Die Waffen nieder!“ heraus. Redigiert wurde das Periodikum von Alfred Hermann Fried, dem ersten Vorsitzenden der im November 1892 gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft.

Der realistischer eingestellte Alfred Nobel vermochte die Euphorie Bertha von Suttners sowie deren Glauben an einen raschen moralischen Fortschritt der Menschheit und die baldige Ersetzung des Krieges durch Schiedsgerichte nicht zu teilen, doch unterstützte er seine „liebe Freundin“ nichtsdestotrotz in großzügiger Weise. 1896 verstarb er. Sein Vermächtnis sind die Nobelpreise, darunter auch der vielleicht größte, der Friedensnobelpreis. Nachdem Bertha von Suttner schon die Hoffnung aufgegeben hatte, ihn zu bekommen, erfuhr sie am dritten Todestag ihres geliebten Arturs, am 10. Dezember 1905, daß sie doch noch bedacht wurde. Der Entgegennahme des Preises in Christiania, dem heutigen Oslo, schloß sich eine erfolgreiche Vortragsreise durch Skandinavien an.

Ungeachtet derartiger Erfolge zeigte ihr der Friedensengel, dem sie hinterher jagte, eine lange Nase, um es mit einer Karikatur von Fritz Schönpflug aus dem Jahre 1907 zu sagen. Den Ausbruch des Ersten Weltkrieges mitzuerleben, blieb ihr jedoch erspart. Eine Woche vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares starb Bertha von Suttner in Wien. Nur noch bedingt bei Bewußtsein rief die Sterbende im Todeskampf: „Die Waffen nieder, sagt es allen!“

Die Linderung der Kriegssymptome reichte ihr nicht

Sie glaubte an den moralischen Fortschritt

Bertha von Suttner als Karikatur und in Wirklichkeit: Das Frontblatt der „Humoristischen Blätter“ thematisiert die Friedensnobelpreisverleihung und zeigt die „Friedensbertha“ mit Palmwedel und einem Sack mit dem Preisgeld.


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