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17.12.05 / Kein genetischer Defekt, sondern ein Fehler im System / Hans-Olaf Henkel im Interview mit der PAZ / Ralf Küttelwesch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 17. Dezember 2005

Kein genetischer Defekt, sondern ein Fehler im System
Hans-Olaf Henkel im Interview mit der PAZ
Ralf Küttelwesch

Ein jungenhaftes Gesicht auch heute noch. Hans Olaf Henkel, Jahrgang 1940, ehemaliger Präsident des Bundes der Deutschen Industrie und Vorstandsvorsitzender des "Konvent für Deutschland", einem Zusammenschluß von Politikern, Industrieellen und Wissenschaftlern, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, "Vorschläge zur Verbesserung der Reformfähigkeit in unserem Lande zu unterbreiten". Insbesondere die "Reform der Reformfähigkeit", damit Deutschland wieder dynamischer und wettbewerbsfähiger wird, liegt dem erlesenen Kreis am Herzen. In seinem zuletzt erschienenen Buch "Die Kraft des Neubeginns" hat Henkel vor allem Vorbehalte in der Föderalismusdebatte vorgetragen. Doch wieso diskutieren wir überhaupt über den Föderalismus?

Das originäre Recht der Fürsten, festgelegt in der Reichsverfassung von 1871 wurde in der Revolutionsverfassung von 1919, auch "Weimarer Verfassung" genannt, auf die Länderparlamente übertragen. Nach 1945 wurden von den Siegern Blockaden in das Grundgesetz eingebaut, um die "Schatten der Vergangenheit" zu besiegen. Hans-Olaf Henkel hat diesen Umstand für die Preußische Allgemeine beleuchtet und andere Fragen beantwortet.

Herr Professor Henkel, was sind die Grundlagen für die heutige Föderalismusdebatte?

Hans-Olaf Henkel: Grundsätzlich müssen wir doch feststellen, daß die Deutschen ein politisches Entscheidungssystem haben, das damals unter alliierter Oberaufsicht 1948 innerhalb von zwei Wochen zusammengetragen wurde, und das ist unser Grundgesetz. Dieses Grundgesetz wurde so angelegt, daß Deutschland sich nicht mehr so schnell bewegen konnte wie zum Beispiel zwischen 1933 und 1945. Man hatte die Nase voll von einem schlagkräftigen Deutschland. Deshalb sind in diesem Grundgesetz viele Blockaden eingebaut worden, wie zum Beispiel die Behinderung des Bundestages durch den Bundesrat in der Gesetzgebung. Es ist auch die starke Stellung der Parteien geschaffen worden, es gibt nach meiner Meinung und Beobachtung keinen demokratische Staat, in dem die Parteien so mächtig sind.

Das wird von den Politikern in Deutschland gar nicht bestritten, aber auf der anderen Seite kann man dann auch feststellen, es gibt keine Demokratie in der Welt, wo der Bürger so ohnmächtig ist: Der Wähler hat in Deutschland relativ wenig zu sagen, die Parteien kungeln die Ämter aus, die Parteien setzen den Bürgern die Kandidaten vor, die gewählt werden, die Parteien stellen fest, wer Bundeskanzler, wer Bundespräsident, wer Ministerpräsident wird. Das ist Mißtrauen gegenüber dem Volk, welches vielleicht nach dem Krieg berechtigt war, das es heute aber nicht mehr geben darf.

Der Standortvorteil Deutschlands, den wir 30 Jahre lang nach dem Krieg hatten, den kann man mit dem Begriff „Stabilität“ am besten umschreiben. Wir hatten die stabilste Währung, wir hatten Haushaltsdisziplin trotz eines zerstörten Deutschland, und damals wurden sogar Überschüsse erwirtschaftet. Wir hatten keine Streiks, gestreikt wurde woanders, wir hatten die am besten ausgebildeten jungen Leute und so weiter. Aus dem Standortvorteil Stabilität ist inzwischen der große Standortnachteil Unbeweglichkeit geworden. Und deshalb müssen auch wir, wie andere Länder es schon getan haben, unser politisches Entscheidungssystem ändern und den Herausforderungen der Globalisierung anpassen.

Globalisierung setzt ja auch immer gleiche Bedingungen voraus, die der jungen Bundesrepublik, wie Sie sagten, nicht gegeben waren. Gab es ähnliche Direktiven wie nach 1945 von den jeweiligen Siegermächten gegenüber der „gereiften“ Bundesrepublik beim Abschluß der Zwei-plus-vier-Verträge und wenn ja, welche Auswirkungen hatten diese?

Hans-Olaf Henkel: Nein überhaupt nicht, bei den Zwei-plus-vier-Gesprächen spielte das keine Rolle. Ich muß darauf hinweisen, was von den Parteien gern unter den Deckel gehalten wird, daß das Grundgesetz einen Artikel hatte, nämlich Artikel 146, in dem sinngemäß steht, daß irgendwann nach der Wiedervereinigung auch das deutsche Volk in freier Entscheidung und geheimer Wahl über die Verfassung abstimmen kann, so wie das überall in der Welt üblich ist. Wir sind ja das einzige Land in der Welt, wo der Souverän über die geschriebene Verfassung nicht abstimmen durfte.

Ich habe auch Verständnis dafür, daß man damals, als es die Wiedervereinigung zu bewerkstelligen gab, nicht gleichzeitig auch das Thema Verfassungsreform anpacken wollte, weil man ja auch nicht genau wußte, wie man die Wiedervereinigung technisch bewältigen sollte.

Aber ich finde jetzt, wo die Reformunfähigkeit unseres Landes für jeden deutlich zu Tage tritt, ist es wirklich an der Zeit, daß wir den Artikel 146 ernst nehmen und wir eine Überarbeitung des Grundgesetzes machen, in die auch die Föderalismusreform mit eingebaut werden kann.

Eine Wahlrechtsreform die dem Bürger mehr Rechte gibt, eine klare Zuordnung der Verantwortung zwischen Kommunen, Bundesland, dem Bund und Europa. Bei den ersten dreien haben wir eine totale Vermischung von Verantwortlichkeiten, ich rede hier von der Finanzverfassung. Das sollte jetzt auch gerade eine große Koalition aufgreifen, denn wenn eine große Koalition es nicht schafft, wird eine andere es nie schaffen. Denn man braucht natürlich hier und da auch eine Verfassungsänderung und eine Zweidrittelmehrheit.

Die Umformung der Verfassung zur Aufhebung dieser Erfolgsverhinderungskonstruktion sollte also dahin tendieren, den Ländern mehr Macht zu geben oder sollte eher dem Bund mehr Macht zukommen?

Hans-Olaf Henkel: Also ich bin ein glühender Anhänger der Delegation von Verantwortung nach unten. Ich habe die Erfahrung in der Wirtschaft gemacht, daß Größe im Zweifel begründet werden muß und daß also das Größte besonders begründet werden muß und daß man im Zweifel kleinere Einheiten haben soll. Paradoxerweise haben wir in unserem System zusammen mit der Schweiz und den Vereinigten Staaten ja eigentlich den Föderalismus angelegt. Nur ist er verlottert und teilweise nicht richtig angewandt worden.

Ich bin der Meinung, man sollte zunächst erst einmal sehen, daß man soviel wie möglich in die Bundesländer zurück verlagert und daß die Bundesländer soviel wie möglich in die Kommunen verlagern sollen. Ich gebe ein Beispiel: das Ladenschlußgesetz. Wir wissen, daß die Vierkäuferinnen und Verkäufer in Halle, in Leipzig, in Dresden unter Umständen bereit sind, sonntags zu verkaufen, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie ein bißchen mehr Geld bekommen. Das dürfen Sie nicht, weil ihre Kollegen in München und Köln das nicht wollen. Das ist eine Tatsache und bringt endlich mal diese Gleichmacherei auf den Punkt. Das heißt, wir haben potentiell eine ideale Möglichkeit mit unserem Föderalismus, wenn wir sie so interpretieren, daß Verantwortung wahrgenommen wird und daß man im Wettbewerb um die besten Lösungen auch streiten kann. Deshalb finde ich auch den Ansatz der Föderalismusreform, die Rot-Schwarz beschlossen hat, zum Beispiel die Verantwortung für die Hochschulen in die Länder zu legen richtig. Es gibt aber auf der anderen Seite auch Verantwortung, die nach oben delegiert werden muß. Ich verstehe nicht, wieso Edmund Stoiber ein buchstäbliches Schloß in Brüssel braucht, um Bayern zu vertreten. Das ist nicht nötig.

Natürlich muß man auch von Deutschland Verantwortung nach Europa verlegen, das tun wir ja laufend und das ist auch richtig. Das heißt die Verantwortung soll da hingebracht werden, wo man sie am besten für das Ganze wahrnehmen kann. Aber noch wichtiger als das ist, daß man klare Verhältnisse schafft. Die haben wir in Deutschland nicht, weil die Finanzverfassung total aus dem Lot geraten ist. Da kann der Bund Gesetze verabschieden, die Kommunen müssen sie ausführen und haben das Geld nicht, diese Gesetze in die Tat umzusetzen. Wir müssen eine Konkurrenz zwischen der Sachverantwortung und der Möglichkeit, das Geld dafür einzutreiben, herstellen, damit der Bürger dann selbst befragt werden kann: Willst du lieber höhere Steuern und ein Schwimmbad, oder willst du lieber niedrigere Steuern und kein Schwimmbad?

Herr Professor, wenn man Ihrer Argumentation folgen würde und das Ganze auf Europa überträgt, dann wären das doch eher Argumente gegen diesen Kollos Europa, der ja auch direkt tief in die einzelnen Regionen oder auch Länder hineinregiert.

Hans-Olaf Henkel: Nein, das finde ich nicht. Sie dürfen nicht vergessen, das gleiche, was ich da gerade gesagt habe, sollte auch für Europa gelten. Das heißt, Europa sollte sich wieder auf die Dinge beschränken, die es besser machen kann als die 25 Länder. Wir dürfen eines nicht vergessen, Europa steht auch im Wettbewerb mit anderen Regionen.

Deutschland fällt nicht nur innerhalb Europas zurück, sondern Europa fällt insgesamt zurück. Wenn man zum Beispiel an die Fähigkeit denkt, Arbeitsplätze zu schaffen und Haushalte auszugleichen, da sind uns viele andere Regionen jetzt langsam voraus.

Ich sehe durchaus die Möglichkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, genauso wie Bayern keine Außenpolitik in Europa betreiben soll, kann ich mir andersherum sehr wohl vorstellen, daß man in Europa neben den Vereinigten Staaten gegenüber Rußland oder China auch mal irgendwann eine gemeinsame europäische Außenpolitik betreiben kann. Das gleiche gilt für die Weltpolitik. Aber Europa muß nicht in jeden Kleinkram eingreifen. Denn für Europa gilt auch das, was innerhalb Deutschlands gilt, der Wettbewerb zwischen kleineren Einheiten, also zum Beispiel zwischen Bundesländern, führt immer zu einem stärkeren Ganzen. Deshalb bin ich gegen diese Harmonisierungsbestrebung, die uns die Sozialpolitiker einreden wollen.

Sie wollen, daß wir einheitliche Unternehmenssteuersätze in Europa haben, damit dann die Konkurrenz zwischen den europäischen Ländern aufhört. Aber gerade die Konkurrenz macht Europa wettbewerbsfähig. Ganz davon abgesehen, daß sich die anderen Länder die deutschen Steuersätze sicherlich nicht einreden lassen.

Sie sprechen in Ihrem zuletzt erschienenen Buch von Verantwortung, die in der Politik eine Rolle spielen soll. Diese Verantwortungslosigkeit der heutigen Politiker, wie könnte man deren Haltung ändern oder die Entstehung solcher Haltung verhindern?

Hans-Olaf Henkel: Ich bin der Meinung, daß die deutschen Politiker keinen genetischen Defekt haben und die deutschen Wähler auch nicht. Es liegt also am System, davon bin ich inzwischen fest überzeugt.

Das Verhalten wird sich auch mit dem System verändern. Wenn mehr Verantwortung nach unten gelegt wird, dem Bürger wieder gegeben wird, dann wird man auch verantwortlicher Handeln.

Sie haben mich ja eingangs nach der Zeit nach dem Krieg gefragt, wie war das denn damals, damals gab es keinen Vater Staat, der den Bürgern die Verantwortung abgenommen hat. Jeder war für sich selbst verantwortlich und hat deshalb auch zugepackt. Und diese staatliche Bevormundung, diese zentralistische Ordnung verbunden mit Gleichmacherei führt dazu, daß immer mehr Menschen buchstäblich die Hände in den Schoß legen, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie sie selbst über die Runden kommen. Jetzt wird sogar schon für eine leistungstunabhängige Grundrente geworben.

Man muß sich vorstellen, hätten wir dieses Gesetz, dann wird ein Kind in Deutschland gerade geboren und hätte schon einen Anspruch auf Grundrente, von der es leben könnte, ohne etwas zu tun. Stellen sie sich mal vor, dies würden alle in Anspruch nehmen. Wir wären wirtschaftlich am Ende!

Wir müssen im Gegenteil die Verantwortung wieder da hinlegen, wo sie hingehört, nämlich nach unten zu den Menschen. Und wir müssen dem Staat die Fürsorge, diese Bemutterung wieder aus der Hand nehmen, damit die Menschen sich wieder daran gewöhnen, selbst ihre eigenen Potentiale zu wecken, und jeder selbst leistet, was er kann. Das würde nicht nur zu größerem Wohlstand führen, wie man ihn in anderen Ländern sieht, sondern es würde aus der Sicht der Sozialpolitiker paradoxer Weise auch dazu führen, daß wir die sozial Schwachen viel besser unterstützen können. Wenn wir nur noch 500000 Arbeitslose hätten und nicht fünf Millionen, dann hätten wir wesentlich mehr Geld zur Verfügung, wie für die Unglücklichen in der Gesellschaft, die sich nicht helfen können und die nichts dafür können, daß sie in Abhängigkeiten geraten.

Sie sprachen jetzt von der Verantwortlichkeit des einzelnen, die gestärkt werden soll. Wie ist es aber mit der politischen Klasse in Deutschland, die ja nun verantwortungslos handelt, wie Sie sagten. Wie soll hier Abhilfe geschaffen werden?

Hans-Olaf Henkel: Ich würde mal so sagen, diese politische Klasse tut natürlich auch das, was alle tun, das heißt, sie optimiert das System für sich.

Wir haben heute einen Bundestag, der ist viel größer als das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten, es gibt 17 Wirtschaftsminister in Deutschland. Das muß man sich mal überlegen, die Amerikaner haben gar keinen. Warum? Weil deren System so angelegt ist, daß sie keinen Wirtschaftsminister brauchen. Man braucht einen Handelsminister für die Außenbeziehung, aber wir haben einen Wirtschaftsminister. Das gibt es nicht in den USA und auch nicht in England oder in Irland. Das ist immer nur in solchen Ländern nötig, wo die Wirtschaft eigentlich vom Staat gegängelt wird. Ich kann nur noch mal wiederholen, auch die Politiker optimieren das System.

Wenn in einem Fußballspiel gegen die Regeln verstoßen wird und Sie pfeifen nicht foul, da können Sie sich vorstellen, was da los ist, das heißt, Sie müssen die rote und die gelbe Karte einführen, um ein einigermaßen diszipliniertes Fußballspiel über die Bühne zu bekommen, und deshalb muß das politische System geändert werden, damit die politische Kaste nicht immer nur an sich denkt.

Herr Professor, welche Frage stellen Sie sich selbst zu dem Thema Föderalismus?

Hans-Olaf Henkel: Da die große Koalition sich zu dieser Reform durchgerungen hat – die übrigens eine Minireform ist und ein Torso bleibt, wenn man jetzt die Finanzverfassung hier nicht ändert – dann ist meine Frage: Warum wird sie nicht geändert, beziehungsweise, wann wird sie geändert, wenn nicht jetzt in dieser großen Koalition. Ich habe mit einigen Persönlichkeiten – zum Beispiel mit Frau Merkel vor nicht allzu langer Zeit, an dem Morgen, als wir uns in der Dresdner Frauenkirche trafen – gesprochen, und mir wurde mehrfach versichert, auch von Sozialdemokraten, daß dies Teil der Abmachung der rot-schwarzen oder schwarz-roten Koalition sei. Man sollte aber um Gottes Willen nichts auf aktive Politiker geben. Das sollte man einer Gruppe von Weisen geben, die sollten einen Vorschlag machen für die Änderung der Finanzverfassung.

Wir vom Konvent für Deutschland haben ein Vorschlag gemacht und veröffentlicht. Unser Fachmann dafür ist der wahrscheinlich beste politische Fachmann für die Finanzverfassung, das ist Henning Voscherau, der ehemalige Bürgermeister der Stadt Hamburg.

Wir haben alle Arbeiten gemacht, die Vorschläge liegen vor und jetzt müßte eigentlich nur die Politik sagen: „Wir führen das ein.“ Und das halte ich für das Allerwichtigste im Augenblick, denn das Finanzverfassungssystem in Deutschland führt dazu, daß ein Land, dem es gut geht, im Grunde noch Geld verpulvert, weil es genau weiß, daß von einem Euro 95 Cent für den Finanzausgleich diesem Land genommen werden. Ein Land, dem es schlecht geht – nehmen wir den Operettenstaat Bremen – weiß genau, daß es von einem Euro, den es Schulden macht, 95 Cent von den anderen wieder ersetzt bekommt. Durch dieses System geht Deutschland geradewegs in den Abgrund, und das sehen wir ja schon bei der Gesamtverschuldung, die in Deutschlandweit über den Stabilitätskriterien des Euro liegt.

Es ist also im Grunde ein Ausverkauf von Tugenden, der hier stattgefunden hat. Brauchen wir wieder das, was man früher preußische Tugenden nannte und was von Oscar Lafontaine und den 68ern als „Sekundärtugenden“ geschmäht wurde?

Hans-Olaf Henkel: Absolut, ich meine wir, weil wir gerade in Preußen sind. Ich war bei der Wiedereinweihung der Frauenkirche in Dresden, und wenn sie sich genau überlegen, was da eigentlich passiert ist, dann kann man vom Wiederaufbau zwei Dinge lernen. Diese Kirche ist sechs Monate vor dem Plan fertig geworden. Ich wüßte kein öffentliches Bauwerk, von dem man das sagen kann. Man hat sich überdies an das Budget gehalten. Auch das gibt es bei öffentlichen Ausschreibungen sonst nicht.

Was wurde getan? Man hat die Trümmer weggeräumt. Das sollten wir auch. An der Frauenkirche hat man die Dinge, die bewahrenswert sind, wieder eingebaut, die sollte man bewahren. Was heißt bewahren, das trifft, da haben Sie völlig recht, Tugenden, die man als preußische Tugenden bezeichnen kann. Daß diese inzwischen auch schon unter die Räder gekommen sind, das können Sie an vielen Beispielen sehen, an dem Graffitiunwesen in Berlin, an den zerlotterten Straßen und Gehwegen in Berlin, Sie können es an den Pisaergebnissen sehen, wir sind jetzt bei den Naturwissenschaften auf dem 20. Platz von 30 untersuchten Schülergruppen. Sie können es daran sehen, daß „Made in Germany“ zwar im Ausland irgendwo noch Anklang hat, aber langsam auch ins Rutschen kommt. Wenn Sie sich mal anschauen, was der TÜV, die Dekra-Inspektoren konstatieren, wenn sie Autos untersuchen: Immer öfter und immer mehr japanische sind vor den deutschen Autos plaziert und der beste Mercedes ist in Amerika in der Kundenzufriedenheit nur noch auf Platz 32. Wir müssen dafür sorgen, daß genau diese Tugenden wieder hochgehalten werden, und wir brauchen auch politische Vorbilder, die sich hierfür einsetzen und nicht immer alles laufen lassen.

Was sind die geschichtlichen Trümmer, die wegzuräumen sind, und zweitens: In welcher Beziehung stehen Wirtschaft und Kultur?

Hans-Olaf Henkel: Von den Trümmern habe ich einige genannt. Eines ist, daß wir uns einige Gemütssteine nach dem Krieg um den Hals gelegt hatten und die uns auch um den Hals gelegt wurden. Ich denke hier an den subtilen Dienst, die Blockaden, Selbstblockaden der Verfassung, aber auch an die Allmacht der Parteien. Ich denke auch an die überzogene Mitbestimmung und die überaus mächtige Rolle der Gewerkschaften, die es in der ganzen Welt auch nicht mehr gibt, nur bei uns. Die 7 Prozent der Bevölkerung können praktisch das Reformtempo von 93 Prozent bestimmen, nämlich die 7 Prozent der Bevölkerung, die in Gewerkschaften organisiert sind. Das sind Trümmer, die weg müssen.

Zur Frage Kultur.

Hans-Olaf Henkel: Ja, da habe ich eigentlich keine speziellen Vorschläge zu machen, ich würde nur meinen, daß wir Deutsche auch gut beraten sind, die Vorteile der Globalisierung zu sehen, denn die Globalisierung bringt nicht nur Waren, Güter und Dienstleistungen um die Welt, sondern auch Werte, und das führt zu Ideen, die der Demokratie oder der Menschenrechte, von denen es heute mehr gibt als je zuvor, leider immer noch nicht genug. Aber die Globalisierung führt eben auch dazu, daß die Japaner heute Beethoven spielen, und daß die Chinesen auf Steinway-Flügeln musizieren und daß wir in Deutschland auch Thailändisch essen können. Insofern halte ich die Möglichkeit, als Individuum in einer globalisierten Welt auf unheimlich viele differenzierte Kulturkreise und Angebote zurückgreifen zu können, für einen großen Vorteil. Und das bedeutet natürlich, daß man nicht nur deutsche Kultur antrifft. Aber es bedeutet eben auch, das man im Ausland deutsche Kultur besichtigen kann. Und daß sie dort geschätzt werden kann und das würde ich auf jeden Fall gutheißen.

Mit anderen Worten: Die globalisierte Kultur halte ich für einen absoluten Fortschritt, wobei man natürlich einräumen muß, daß mit zunehmender Globalisierung gewisse Kulturen und auch die Kulturvielfalt insgesamt verschwinden. Das ist sicherlich richtig, aber für ein Individuum ist das Angebot an Kultur heute so hoch wie noch nie zuvor.

Es gibt ja kaum ein Volk, das so wie das Deutsche mit seiner Geschichte hadert. Kultur und Geschichte gehören aber natürlich zusammen. Und nur wenn man eine positive Einstellung hierzu hat, kann das eine selbstbewußte Nation ausmachen, die dann auch in der Globalisierung mit kulturellen und historischen Leistungen zum Allgemeinwohl beitragen kann. Wo sind da die historischen Trümmer, die weggeräumt werden müssen?

Hans-Olaf Henkel: Also ich möchte mal folgendes klarmachen. Es gibt viele Leute, die meinen, man sollte an der Verfassung nicht herumfummeln. Das dürfte man sich infolge politischer Vergangenheit nicht leisten. Ich halte das für einen ausgemachten Quatsch. Das ist eine ziemliche Behinderung, daß man das damals gemacht hat, ist aber doch verständlich und wie ich gesagt habe, hat es uns sogar in den ersten Jahrzehnten genützt, uns die Stabilität gebracht, um die uns ja viele beneidet haben, nur andere haben sich eben geändert. In England wird heute nicht mehr gestreikt. Insofern ist der Vorteil, daß wir nicht mehr streiken, ein ziemlich begrenzter geworden.

Das erste Trümmerstück, was weggeräumt werden muß, ist diese Idee, daß man unsere Verfassung oder politisches Entscheidungssystem nicht ändern dürfe. Das tun andere auch.

Und die Tatsache, daß von unserem Land aus zwischen 1933 und 1945 schreckliche Verbrechen begangen wurden, die kann ich meinen Kindern nicht mehr als Begründung angeben, dafür, daß sie nun in Zukunft in keinem funktionierenden politischen Entscheidungssystem leben dürfen. Also das sollte man mal abstreifen.

Was haben meine Kinder eigentlich mit den Ereignissen von 1933 bis 1945 zu tun? Nichts, gar nichts! Was habe ich eigentlich damit zu tun? Ich war selbst beim Ausbruch des Krieges noch gar nicht geboren. Man könnte sogar sagen, und ich weiß, daß dies wieder mal politisch höchst inkorrekt ist, daß ein 25jähriger Brite in der Zeit oder ein Franzose, der 25 war, als Hitler völkerrechtswidrig ins Rheinland einmarschierte, mehr verantwortlich ist. Die Franzosen hätten ihn ja unter Hinweis auf den Versailler Vertrag und auch im Bewußtsein der viel stärkeren militärischen Macht daran hindern können, sie taten es nicht. Also man muß so sagen, die Leute, die damals lebten, hatten mehr Schuld als die Nachgeborenen. Als Nachgeborene haben wir Verantwortung aber keine Schuld gegenüber den Opfern des Naziterrors.

Das Gespräch führte Ralf Küttelwesch

 

ZUR PERSON

Hans-Olaf Henkel, geboren 1940, studierte nach kaufmännischer Lehre an der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg. Über 30 Jahre arbeitete er bei IBM. Zuletzt war er Chef von IBM Europa mit über 90000 Mitarbeitern. Von 1995 bis 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), zwischen 2001 und 2005 Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Leibniz. Heute ist er Honorarprofessor an der BWL-Fakultät der Universität Mannheim. Henkel ist Mitglied in vielen Aufsichts- und Beiräten sowie Autor zahlreicher Publikationen.


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