19.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
24.12.05 / Vom Wirtschaftswunderland zum Privilegienverwalter / Deutschland und Japan - zwei Abstiegsländer ohne Kampfeslust

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Vom Wirtschaftswunderland zum Privilegienverwalter
Deutschland und Japan - zwei Abstiegsländer ohne Kampfeslust
von Albrecht Rothacher

Es war einmal ... Beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg vollbrachten Deutschland wie Japan ihre sprichwörtlichen Wirtschaftswunder. Harte und gewissenhafte Arbeitsleistungen, hohe Sparquoten, sozialer Frieden, gründliche Berufsausbildungen machten weltweit wettbewerbsfähige Qualitätsprodukte beider Länder möglich. Nennenswerte Rohstoffe und Energiequellen waren nicht vorhanden. Deshalb nutzten beide ihr hochqualifiziertes Ingenieur- und Facharbeiterpotential vor allem für Exportprodukte eines mittleren Technologieniveaus in der Spezialchemie-, Elektrotechnik-, Pharmaherstellung sowie im Automobil- und Maschinenbau. Die Zusammenarbeit zwischen Staat, Banken und Großindustrie war traditionell vertrauensvoll und eng. Neidvoll sprach das Ausland vom Rheinischen Kapitalismus und der Japan AG, die Exportoffensiven ermöglichten und weniger wettbewerbsfähige Sektoren abschirmten.

Das soll nun alles vorbei sein? Die einstigen Wachtumslichter der Weltwirtschaft haben sich zu Schlußlichtern gewandelt! Die einst als positiver Wirtschaftsfaktor gewertete Staatsnähe, der Bürokratismus und soziale Konsens, die Subventionswirtschaft und ihre Kartelle, die langsamen Entscheidungswege sind alle zu Faktoren des Abstiegs geworden. Ein struktureller Abstieg wird fühlbar, bei dem Deutschland und Japan in der globalisierten Weltwirtschaft mit ihrem rapide beschleunigten Wettbewerb und Strukturwandel in den Spitzentechnologien und Wirtschaftsdienstleistungen sichtbar die Puste ausgeht. Denn was ist die Globalisierungskritik anderes als das Gejammer der überteuerten Verlierer über die Siege anderer? Bekanntlich ist die Weltwirtschaft keine Behindertenolympiade, sondern huldigt unverdrossen dem darwinistischen Prinzip des Überlebens des Stärkeren und des Schnelleren.

Dazu kommt in beiden Ländern das nicht nur aus den Buddenbrooks bekannte Phänomen der dritten Generation. Auf den Opfermut und das Arbeitsethos der Kriegs- und Aufbaugenerationen folgt nun eine selbstverliebte, genußorientierte Erbengeneration in beiden Ländern, deren Bildungs- und Arbeitsmoral kaum wiederzuerkennen ist. Es ist heute kaum vorstellbar, aber es gab tatsächlich einmal eine Zeit, als in Deutschland die Städte noch sauber und Züge noch pünktlich waren, und als in Japan noch Brücken und Tunnel gebaut wurden, die tatsächlich gebraucht wurden. Doch dann kam der Abstieg.

Japans Spekulationsblase platzte ab 1992 mit einem Fall der Immobilienwerte um 84 Prozent und der Aktienwerte um 60 Prozent. 11000 Milliarden US-Dollar an Kapitalwerten wurden ausgelöscht. Dies entspricht drei Jahresleistungen der japanischen Volkswirtschaft. Obwohl im da-rauffolgenden Jahrzehnt in 13 Konjunkturpaketen insgesamt 13000 Milliarden US-Dollar in die Wirtschaft als staatliche Bauprojekte und zur Sanierung fauler Bankschulden gepumpt wurden, blieb das Wachstum ziemlich konstant bei Null. Japans vormals solide Staatsfinanzen wuchsen zu einem unbezahlbaren Schuldenberg, der mit 140 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) italienische Ausmaße gewann.

Wenn man noch die verschleierten Staatsschulden, seine ungedeckten Pensionsverbindlichkeiten, die Schulden der Staatsbetriebe und die Kredite der Postsparkasse für öffentliche Investitionen dazuzählt, erreicht man mit 270 Prozent des BIP das Niveau einer konkursreifen Bananenrepublik ohne Bananen.

Seit dem Antritt von Premier Koizumi im Jahre 2001, der sich offen skeptisch über den Nutzen der vielen schuldenfinanzierten Bauprogramme äußerte, wurden sie auf "nur" noch 200 Milliarden US-Dollar jährlich reduziert. Auch die beschlossene Privatisierung der Postsparkasse soll das größte Schattenbudget für öffentliche Bauprojekte mindern.

In Deutschland waren der Abstieg und der Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ein graduellerer Prozeß. So betrug der Staatsanteil an der Volkswirtschaft anno 1970 zu Beginn der Kanzlerschaft Willy Brandts noch 39 Prozent, wuchs dann dank der von ihm begonnenen kreditfinanzierten Sozialprogramme auf heute über 50 Prozent. Auch der Wiedervereinigungsboom von 1992 bis 1995, mit dem die Bauwirtschaft und der Konsum in Mitteldeutschland angekurbelt wurden, war ausschließlich defizitfinanziert. Öffentliche Aufträge und Steuergeschenke, nicht aber die tatsächliche Nachfrage, trieben die Konjunktur an. Als die staatlichen Subventionen dann verringert werden mußten, brachen die Konjunktur, die örtliche Bauwirtschaft und betroffene Banken wie die Hypo-Vereinsbank, die Dresdner Bank und die Berliner Bankgesellschaft nahezu zusammen. Allerdings verursachte die Bankenkrise in Japan angesichts der wesentlich größeren Verluste dort zehnmal höhere Sanierungskosten.

Während Deutschland und Japan ihr Geld in die jeweils teuersten Sozial- beziehungsweise Bauprogramme der Weltgeschichte steckten und mit den entstandenen Schulden und Bankenkrisen kämpften, verschärfte sich der internationale Wettbewerb durch den Auftritt Chinas in der Industrie und Indiens bei den Dienstleistungen.

Die neuen Wettbewerber und die beschleunigte Globalisierung trafen sowohl Japan wie Deutschland unvorbereitet. Beide besitzen zwar in Schlüsselsektoren Exportindustrien der Weltklasse, wurden nun etliche Sektoren getroffen, die bislang durch eine Vielzahl von protektionistischen Verwaltungsvorschriften vor dem internationalen Wettbewerb geschützt worden waren. In Japan zählen dazu die einheimische Transportwirtschaft, die Versorgungsunternehmen, die Bau- und Landwirtschaft sowie Dienstleistungen aller Art.

Ihre überhohen Kosten belasten die Exportindustrie ebenso wie das senioritätsorientierte Lohnsystem, dessen Bürden mit der Alterung der japanischen Arbeitskräfte immer stärker werden. Als Ergebnis siedelt die japanische Industrie ihre arbeitsintensiven Exportfertigungen immer mehr in China an. In Japan - wie auch in Deutschland - selbst bleiben eigentlich nur noch die Firmenzentralen und die Endherstellung.

In Deutschland hat der EU- Binnenmarkt dafür gesorgt, daß jene Dualität weniger stark ausgeprägt ist. Aber auch hier gibt es geschützte Sektoren wie die Sparkassen, die öffentlichen Versorgungsbetriebe, die Briefzustellung sowie stark reglementierte Bereiche wie den Wohnungsmarkt, die Bauwirtschaft und die "freien" Berufe, deren im internationalen Vergleich hohe Kosten die Wirtschaft belasten. Noch stärker allerdings wird die deutsche Wettbewerbsfähigkeit von hohen Lohnkosten, den Lohnnebenkosten, Steuern, Energie-, Abfall- und Verwaltungskosten belastet.

In den 80er Jahren wich die deutsche Wirtschaft dem stets steigenden Kostendruck durch Verlagerungen in die westeuropäische Peripherie (Spanien, Portugal, Irland) aus, seit den 90er Jahren hauptsächlich nach Fernost und Osteuropa. Mittlerweile haben sich diesem Exodus auch die überlebenden Mittelständler angeschlossen.

Die Industrie Mitteldeutschlands, die vor dem Krieg in Deutschland am modernsten und zu DDR-Zeiten im Comecon führend war, hatte nach der Wiedervereinigung keine Chance. Die von Kanzler Kohl gegen allen wirtschaftlichen Sachverstand durchgesetzte Währungs-parität wertete die Ost-Mark über Nacht um 400 Prozent auf. Keine Volkswirtschaft der Welt konnte eine solche Roßkur überleben, und eine schwer angeschlagene wie die der untergehenden DDR erst recht nicht. Dazu wurde dem "Beitrittsgebiet" das teure und überkomplizierte westliche Verwaltungs- und Rechtssystem übergestülpt und ein zwischen West-Gewerkschaften und West-Arbeitgeberverbänden geschlossenes Tarifrecht, das die Ostlöhne trotz einer Produktivität von 30 Prozent auf 90 Prozent des Westniveaus festsetzte. Das mochte im unproduktiven öffentlichen Dienst angehen, der Industrie aber wurde das Lebenslicht effektiv ausgeblasen. Weder deutsche noch irgendwelche ausländischen Unternehmen siedelten sich nennenswert an. Es entstand eine wettbewerbsunfähige öffentliche Subventionswirtschaft ähnlich dem italienischen Mezzogiorno, in der die aktivsten und am besten ausgebildeten Arbeitskräfte in den Westen oder ins Ausland abwandern.

Als Ergebnis hoher Lohnkosten, wettbewerbsschwacher Sektoren und von Überregulierungen entstand in Deutschland wie in Japan eine strukturelle Arbeitslosigkeit, von der in Japan drei Millionen (4,7 Prozent der Beschäftigten) und in Deutschland fünf Millionen Menschen (10 Prozent) betroffen sind. In beiden Ländern werden die Arbeitslosenzahlen durch Schulungsprogramme, Teilzeit und massenhafte Frühverrentungen nach unten manipuliert. Tatsächlich ist das Problem in beiden Ländern größer.

In Deutschland wird das Problem der Arbeitslosigkeit durch die laxe Immigrationspolitik zusätzlich verschlimmert. Es wurden und werden genau solche Ausländer aus Osteuropa, der Türkei, dem Nahen Osten und Afrika ins Land gelassen, die dank ihrer fehlenden Qualifikation keine Chance auf dem immer anspruchsvoller werdenden Arbeitsmarkt haben und bald der Sozialhilfe anheim fallen. Vom Tellerwäscher zum Millionär kann sich von ihnen ohnehin niemand hocharbeiten, weil wegen der hohen faktischen Mindestlöhne niemand als Tellerwäscher mehr eingestellt wird. Japan hat das Problem massenhafter unqualifizierter und integrationsunwilliger Immigranten wegen seiner strengen Immigrationspolitik erfolgreich vermieden.

Doch wie sehen die politischen Antworten aus? Während Japan die Bauwirtschaft subventierte, blähte Deutschland den Sozialstaat und seinen Verwaltungsapparat auf. Beide Reaktionen können die Strukturkrisen der Wirtschaft nicht lösen, ja sie verschlimmern sie nur noch mehr. Gegen eine echte Kurskorrektur wehren sich die Begünstigten bislang erfolgreich. In Japan ist in den meisten entindustrialisierten Regionen die Bauwirtschaft der größte Arbeitgeber geworden. Ihr Wohlergehen ist für die Mehrheit der Abgeordneten der regierenden Liberaldemokraten entscheidend. Daß die meisten der sündteuren Bauprojekte, wie unbenutzte Regionalflughäfen, leere Industriegelände oder Tunnel und Autobahnen nach nirgendwo, völlig sinnlos sind, ist dabei nachrangig.

In Deutschland sind mittlerweile 42 Prozent der Erwachsenen Begünstigte des Sozialstaats: als Rentner, Pensionäre, Arbeitslose, Umschüler, Studenten, Sozialhilfe- und Wohngeldbezieher. In Mitteldeutschland ist es schon die Mehrheit. Berücksichtigt man noch den Anteil von zwölf Prozent Staatsdienern, deren Produktivität nicht meßbar ist, sowie Berufsstände wie die Landwirtschaft und den Kohlebergbau, deren Subventionierung ihre Wertschöpfung übertrifft, dann finanziert eine ständig weiter schrumpfende Minderheit von 30 bis 40 Prozent Leistungsträgern den gesamten Sozial- und Subventionstransfer. Volksparteien, die eine Wählermehrheit ansprechen wollen, haben mittlerweile die unproduktiven Transferempfänger und die einflußreichen Wohlfahrtsverbände als Profiteure des Systems als Hauptklientel. Der letzte Bundestagswahlkampf und das aktuelle Regierungsprogramm der Steuererhöhungen beweisen dies nur allzu deutlich.

Dringend nötige Strukturreformen des Arbeitsmarktes wie das Ende der Flächentarifverträge, eine Reduzierung der Sozialhilfen (die die weniger Qualifizierten wieder dem Arbeitsmarkt zuführen würde), die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Senkung der Lohnnebenkosten finden deshalb nicht statt.

Während die öffentliche Infrastruktur und die Städte verwahrlosen, werden die für ihre Sanierung nötigen Mittel dafür ausgegeben, daß Millionen Arbeitsfähige und potentiell Leistungswillige nichts tun.

Der hohe Anteil staatlicher Mittelumverteilungen hat seine Spuren in der politischen Klasse beider Länder hinterlassen. In Japan engagieren sich Parlamentarier der Regierungsparteien regelmäßig, um bei den Ministerien für interessierte Betriebe und Verbände diverse Genehmigungen, Importschutz, öffentliche Aufträge und Schutz vor Verwaltungskontrollen zu erreichen. Sie tun dies gegen Spenden, um ihre teure Wahlkreisorganisation und ihren aufwendigen Wahlkampf zu finanzieren. In Deutschland bedienen sich die Parteien ungenierter direkt aus der Staatskasse. Doch verbreitet sich auch hierzulande die politische Korruption, nicht nur im sprichwörtlichen Klüngel von Köln und Wuppertal, sondern unter Kohls überlanger Regentschaft auch im Bund.

Mittlerweile dominieren in beiden Ländern in der politischen Klasse eher zungenfertige Fernsehdarsteller. Politische Führung und Weitsicht haben Seltenheitswert bekommen. Viel leichter ist es, die strukturellen Probleme, so sie denn überhaupt verstanden werden, in Abrede zu stellen, konjunkturelle Strohfeuer zu bejubeln und sich mit symbolischen Ersatzhandlungen öffentlich zu profilieren.

In der Abwesendheit echter politischer Führung können sich am Status quo profitierende Kreise - in Japan die Bauwirtschaft und in Deutschland die Sozialstaatsbürokratie - weiter durchsetzen. Deshalb ist es ziemlich wahrscheinlich, daß es der Wirtschaft und den öffentlichen Finanzen in beiden Ländern noch viel schlechter gehen muß und gehen wird, bevor sich die Verhältnisse gründlich bessern können.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren