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24.12.05 / Billigarbeiter auf Zeit / Immer mehr Unternehmen beschäftigen qualifizierte Leiharbeiter, doch keiner gibt es gerne zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Billigarbeiter auf Zeit
Immer mehr Unternehmen beschäftigen qualifizierte Leiharbeiter, doch keiner gibt es gerne zu
von Rebecca Bellano

Derzeit folgt eine Hiobsbotschaft über Mitarbeiterentlassungen der anderen. Ob AEG, Telekom, Continental, Ford, VW, Beiersdorf, Bosch; die Reihe läßt sich beliebig lang fortsetzen. Und immer sind es - häufig trotz Unternehmensgewinnen - "sich verändernde Marktanforderungen", die die Firmen dazu "zwingen", zu Hunderten, ja Tausenden Personal "freizusetzen", um dann in vielen Fällen in Osteuropa oder Asien neues Personal zu erheblich niedrigeren Löhnen wieder einzustellen.

"Wir stellen jede Woche 200 bis 300 Mitarbeiter ein. Ein Ende ist nicht absehbar." Meldungen wie diese scheinen aus einer anderen Zeit zu stammen, doch dem ist nicht so: Sie wurde Anfang Dezember von dem Geschäftsführer des zweitgrößten deutschen Zeitarbeitsanbieters Manpower verbreitet. Ähnliche Meldungen kommen auch von anderen Zeitarbeitsunternehmen wie Ranstad und adecco.

Doch wie erfreulich sind diese Meldungen wirklich? Während Zeitarbeiter früher bei Auftragsspitzen oder bei Krankheit, Urlaub oder Schwangerschaft von Mitarbeitern eingesprungen sind, stehen heute Personalbeschaffung, Projektarbeit und Übernahme kompletter Arbeitsbereiche im Vordergrund. Ganz offen wirbt der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen bei Unternehmen dafür, die Flexibilität von Zeitarbeitern zu nutzen, um den Kündigungsschutz zu umgehen. "Sie können den Mitarbeiter von heute auf morgen nach Hause schicken, wenn sie ihn nicht mehr brauchen", so der Bundesgeschäftsführer des Verbandes, Werner Stolz, denn die Zeitarbeitsfirma trage ja das Risiko - und der Mitarbeiter verliert jegliche Planungssicherheit.

Eines der großen Unternehmen, die die Flexibilität von Zeitarbeit nutzen, ist Airbus Deutschland. Hier arbeiten neben 20000 Festangestellten Leiharbeitskräfte, über deren genaue Zahl und Einsatzmodalitäten Airbus sich jedoch ausschweigt. Doch bei den verschiedenen Zeitarbeitsfirmen wird eher von tausend denn von hundert ausgegangen, doch auch hier gibt es nur vage Angaben.

Airbus-Mitarbeiter gelten bei Banken als gern gesehene Kunden, da das florierende Unternehmen seinen festen Mitarbeitern beneidenswert hohe Löhne und Zulagen zahlt, Gesamtlöhne von denen die Zeitarbeitsmitarbeiter nur träumen können. Zwar gibt es den Tarifvertrag des Bundesverbandes für Zeitarbeit (BZA) und die gesetzliche Bestimmung des "equal pay", sprich gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, doch selbst wenn dem so ist - was Airbus für sich in Anspruch nimmt - gibt es andere Aspekte, die den feinen Unterschied ergeben. So müssen Zeitarbeiter natürlich immer besonders flexibel sein; wenn Wochenenddienst oder Sondernachtschichten anstehen, sind zuerst sie dran, denn schließlich kann man sich sofort von ihnen trennen. Airbus beispielsweise testet gern die Einsatzfreude seiner Zeitarbeitsmitarbeiter, indem es Auslandeinsätze im französischen Stammwerk in Toulouse anordnet. Wer das nicht wollte, beispielsweise weil er Frau und Kind in Hamburg hat und das Hamburger Werk bekanntermaßen auch genügend Arbeit hat, der gehört nicht zu den Glücklichen, die ab Januar 2006 in die feste Stammbelegschaft übernommen werden - und die jetzt übrigens doch nicht nach Toulouse müssen.

Im Vergleich zu anderen Einsatzunternehmen gehört Airbus aber immer noch zum Paradies auf Erden, zumal das Unternehmen auch nachweislich Leiharbeiter in eine Festanstellung übernimmt. Genaue Zahlen hierzu gibt es allerdings nicht. Weder die ausleihenden Unternehmen, noch die Zeitarbeitsfirmen oder ihr Bundesverband reden darüber. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg sowie der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) verfügen über keinerlei statistisches Datenmaterial.

Gerd Nierenköter von der IG Metall weist darauf hin, daß der BZA-Tarif, der von der IG Metall, der IG Bergbau, Energie und Chemie sowie der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten mit unterzeichnet wurde, rund 28 bis 32 Prozent unter dem IG-Metalltarif liegt. Dies sei zwar bedingt verständlich, da 70 bis 80 Prozent der Leiharbeiter aus der Arbeitslosigkeit kämen und sich erst einmal in ihren neuen Arbeitsbereich einarbeiten müßten, doch die Bestimmung des "equal pay", welche nach drei Monaten Beschäftigung in einem Betrieb greifen sollte, sei nur eine Theorie. In der Realität würden die Mitarbeiter nach den besagten drei Monaten einfach an ein anderes Unternehmen verliehen oder man nutzte den derzeitigen Druck auf die Beschäftigen aufgrund des krisengeschüttelten Arbeitsmarktes einfach aus, indem man sie zum Schweigen verdonnere.

Viele Leiharbeiter seien zudem auch gar nicht über ihre theoretischen Rechte informiert, so daß sie sie auch gar nicht einklagen könnten. Unter www.igmetall-zoom.de bietet ihnen die Gewerkschaft zahlreiche Informationen sowie ein Forum, in dem die Betroffenen ihre Erfahrungen austauschen können und auch die - vor allem kleineren - Zeitarbeitsfirmen nennen, für die Arbeitsschutz ein Fremdwort ist.

Da der gesamte Bereich Zeitarbeit so undurchsichtig ist, ist es jedoch schwer auszumachen, wer die Leiharbeiter gut behandelt und wer nicht. Auf eine direkte Anfrage bei Siemens über Lohnunterschiede innerhalb des Unternehmens und den Einsatz von Zeitarbeitern wurde ausweichend auf die inzwischen veräußerten Werke in Kamp-Lintfort und Bocholt verwiesen, in denen die ganze Belegschaft für ihren Arbeitsplatzerhalt freiwillig Mehrarbeit bei gleichem Gehalt in Kauf nahm. Im Internet findet sich allerdings ein Artikel der "Berliner Zeitung", in dem behauptet wird, daß die Zeitarbeitsfirma Manpower an Siemens Arbeiter zu einem um 20 Prozent günstigeren Tarif, als ihn der BZA vorgibt, ausgeliehen hätte. Falschmeldungen oder Lohndumping? Auf Nachfragen wiegelte Siemens ab, daß das Unternehmen von derartigen Machenschaften nichts wisse und Zeitarbeit sowieso "eher ein Nischenthema" in dem Unternehmen sei.

Andere Unternehmen wie BMW und Volkswagen geben völlig offen zu, daß sie Leiharbeiter beschäftigen. Volkswagen betont sogar, daß es zum eigenen Firmenkonzept gehört. "Es gibt Mitarbeiter mit völlig verschiedenen Tarifverträgen, ganz unterschiedlichen Bezahlungsgrundlagen, die auf ganz engen Raum zusammenarbeiten", erklärt Stefan Ohletz, zuständig für die VW-Unternehmenskommunikation / Schwerpunkt Personal. "Da werden wir häufig gefragt, das kann doch gar nicht funktionieren, der eine verdient mehr, der andere weniger. Doch wir haben festgestellt, daß das für ein, zwei Wochen ein Thema war, danach spielte es keine Rolle mehr. Entscheidend ist für uns als Gesamtunternehmen, zu exportfähigen Preisen produzieren zu können." Und dazu zählt das Konzept der "atmenden Fabrik", sprich Personal dann verfügbar zu haben, wenn man es braucht. Da die Alt-Mitarbeiter einen Bestandsschutz auf ihre in guten Zeiten ausgehandelten Gehälter haben, mußte das Unternehmen Wege finden, trotzdem kostengünstig zu arbeiten. Neben der Wolfsburger Stammbelegschaft, die 1994 zum Joberhalt eine Vier-Tage-Woche mit 28,8 Stunden bei 19 Prozent weniger Gehalt eingegangen ist, arbeiten 3800 Mitarbeiter der VW-eigenen GmbH "Auto 5000" - 2001 wurden 5000 Jobs zu 5000 D-Mark Festgehalt in dieser Firma eingestellt. Diese Mitarbeiter haben regulär eine 35-Stunden-Woche zu heute 2560 Euro Festgehalt und werden demnächst zahlenmäßig von den Auszubildenden der Volkswagen AG unterstützt, die statt zum Haustarif bei VW bei "Auto 5000" übernommen werden. Da die Auftragslage sehr unterschiedlich ausfällt, verfügen diese beiden Mitarbeitergruppen über Zeitkonten, auf denen bis zu 400 Unter- beziehungsweise Überstunden angelegt werden können. Neben diesen beiden Gruppen arbeiten wiederum einige hundert Leiharbeiter zum BZA-Tarif, deren Zahl jedoch von der Menge der jeweiligen Arbeit abhängt.

Das VW-Personalkonzept mag zwar ungerecht sein, andererseits dient es aber dem Arbeitsplatzerhalt, was gerade in der heutigen Zeit offenbar für die Arbeitnehmer und auch die Gewerkschaften Priorität hat. Bedauerlicherweise scheint VW das einzige Unternehmen zu sein, das offen mit dem Thema umgeht und es transparent macht, während andere Firmen die Beschäftigung von Zeitarbeitern gerne kleinreden oder gar leugnen und somit den Verdacht auf sich ziehen, daß hier Leiharbeiter ausgenutzt werden und damit Mitarbeiter, die häufig die Arbeitslosigkeit kennen gelernt haben - also schneller bereit sind, alles mit sich machen zu lassen - bei der Ablehnung einer Arbeit auch noch vom Staat mit Kürzungen der Sozialleistungen bestraft werden.


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