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24.12.05 / Viel Rückblick und wenig Ausblick / Gedanken über Österreichs "Gedankenjahr"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Viel Rückblick und wenig Ausblick
Gedanken über Österreichs "Gedankenjahr"
von R. G. Kerschhofer

Das große Jubiläums- und Gedenkjahr 2005, von Bundeskanzler Schüssel in dialektischem Kompromiß als "Gedankenjahr" bezeichnet, geht dem Ende zu. Die "runden" Zahlen 60, 50 und zehn - rund eigentlich nur in unserem dekadischen Zahlensystem - boten reichlich Gelegenheit zu Beweihräucherungen und natürlich zur unvermeidlichen "Vergangenheitsbewältigung". Das Jahr 1945 hatte nicht nur das Kriegsende und die Wiedererrichtung der Republik gebracht, es wurden auch politische Parteien neu- oder wiedergegründet, dazu noch diverse Interessensvertretungen und eine Vielzahl von Vereinen - einige davon, etwa der Österreichische Gewerkschaftsbund, mit bundesweiter Bedeutung. 1955 kam der Staatsvertrag, der Abzug der Besatzungsmächte, die Neugründung des Bundesheeres, das Neutralitätsgesetz, der Uno-Beitritt, die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den renovierten Häusern von Burgtheater und Staatsoper sowie die Aufnahme des regulären Fernsehbetriebs. Und am 1. Januar 1995 erfolgte der EU-Beitritt.

Die letzte große Jubiläumsfeier war dem Uno-Beitritt gewidmet - anwesend ein echter einheimischer Generalsekretär, nämlich Kurt Waldheim, und ein "fast einheimischer" Nobelpreisträger, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) Mohammed El-Baradei. Der Uno-Beitritt war von Österreich bereits 1947 beantragt worden, und die Uno hatte im österreichischen Bewußtsein lange Zeit eine große Rolle gespielt - was heute sicher nicht mehr der Fall ist. Waldheim meinte gar, man könne "den UN-Enthusiasmus von einst" nicht mehr nachvollziehen.

Aber man kann die Entwicklung erklären: Denn in der Zeit des Kalten Krieges hatten die "Neutralen und Blockfreien" weit größere Bedeutung, und Kreisky, der dank seiner Haltung in diesem Lager großes Ansehen genoß, konnte mit seinem außenpolitischen Spürsinn manche Weichen stellen. So war Kreisky maßgeblich daran beteiligt, daß Kurt Waldheim, der während der ÖVP-Alleinregierung 1966-1970 Außenminister gewesen war, 1972 Uno-Generalsekretär werden konnte, und es war Kreisky, der die Wiener "Uno-City" errichten ließ. Die IAEA amtierte zwar schon seit 1957 in Wien, aber nun gelang es, weitere Teilorganisationen nach Wien zu lotsen und Wien neben New York und Genf zum dritten Uno-Sitz zu machen. Und wo Tauben sind, fliegen Tauben zu: Es folgten andere Organisationen, deren wichtigste heute die OSZE ist. All das kam dem österreichischen Selbstwertgefühl sehr zugute - ganz abgesehen von der "Umwegrentabilität".

Daß heute Österreich in der Uno - so wie die Uno in Österreich - nur eine marginale Rolle spielt, hängt einerseits mit der "Wende" zusammen, andererseits mit der seit 1989 ganz auf den EU-Beitritt ausgerichteten Politik der rot-schwarzen Koalition. Die Volksabstimmung zum Beitritt hatte noch eine Zweidrittelmehrheit erbracht - obwohl etliche der mit beispiellosem Aufwand propagierten Versprechungen und "Garantien" schon damals als unhaltbar zu erkennen waren. Heute sehen laut Umfragen bis zu 80 Prozent der Österreicher in der EU-Mitgliedschaft "keine Vorteile", und eine Mehrheit sieht sogar eher Nachteile.

Über die Jubiläen von Burgtheater und Staatsoper wäre wohl auch zu berichten gewesen, aber es schmerzt, was sich dort heutzutage abspielt. In der Oper geht es noch einigermaßen erträglich zu. Doch der Burgtheater-Betrieb besteht vorwiegend aus Aktionismus und Schmähung der Wiederaufbau-Generation. Der "Aktionskünstler" Nitsch konnte dort im November sogar sein unappetitliches "Orgien-Mysterienspiel" abwickeln - und erhielt den österreichischen Staatspreis 2005. Es ist nicht zu fassen, daß das die Kulturpolitik einer "bürgerlichen" Regierung sein soll.

Zum Wort des Jahres wurde übrigens der auf Schüssel gemünzte Ausdruck "Schweigekanzler" gewählt. Ziemlich treffend, denn Schüssel pflegt Probleme im allgemeinen und speziell solche in der Regierungskoalition vorzugsweise schweigend "auszusitzen". Den jüngsten Budget-Kompromiß der EU hingegen verteidigte er wortreich als Erfolg, obwohl sich die Nettobeiträge Österreichs mehr als verdoppeln werden. Nun, als Ratspräsident ab 1. Januar 2006 kann man sich ja bei den Kollegen nicht unbeliebt machen. Und den Österreichern stehen mit dem EU-Wanderzirkus ohnehin beträchtliche Kosten sowie außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen ins Haus, denn sogar ein Gipfeltreffen mit George Bush ist eingeplant. Wie zum Trost ist 2006 auch ein großes Mozart-Jahr - nur wer weiß, was da wieder alles an "Neuinterpretationen" auf uns zukommt.


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