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24.12.05 / Schutzengelnotdienst, bitte melden! / Eine Geschichte zu Weihnachten um den Engel Kasimir und seine kleinen Nöte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Schutzengelnotdienst, bitte melden!
Eine Geschichte zu Weihnachten um den Engel Kasimir und seine kleinen Nöte
von Silke Osman

Er zauste sich verzweifelt seine braunen Haare. Schon wieder leuchtete die rote Alarmlampe auf. Was für ein Tag! Sollte er heute überhaupt nicht zur Ruhe kommen? Erst die Autofahrerin, die ein Rotlicht übersehen hatte, dann der Junge mit dem Fahrrad, der beängstigend leichtsinnig auf der Straße fuhr, und das kleine Mädchen am Fenster? Wenn es ihr nun gelungen wäre, das Fenster zu öffnen? Nicht auszudenken!

Kasimir ächzte und machte sich so schnell er konnte auf den Weg. Der Allerjüngste war er schließlich auch nicht mehr. Mit seinen 300 Jahren gehörte er zwar noch zur jungen Garde, doch war die anstrengende Arbeit beim Notdienst nicht spurlos an ihm vorübergegangen.

Im Nu war er am Ort des Geschehens. Es war aber auch höchste Zeit. Kasimir schüttelte den Kopf: daß die Eltern auch nie schlau wurden! Wie konnte man nur ein kleines Kind mit brennenden Kerzen allein lassen! Der Steppke war schon beträchtlich nah an das verlokkende Feuer herangekrabbelt, streckte gar schon eine kleine Hand nach der Flamme aus.

Kasimir blähte die Backen und blies so kräftig er konnte. Die Flamme verlöschte just in dem Augenblick, als die Mutter abgehetzt den Raum betrat. Sie wurde blaß, als sie die Gefahr erkannte, in der ihr Kind geschwebt hatte. Mit Tränen in den Augen nahm sie den Jungen auf den Arm und flüsterte erleichtert: "Mein Lieber, da hast du aber einen schnellen Schutzengel gehabt!"

Kasimir grinste verlegen und machte sich unauffällig aus dem Staub. So schnell war er schließlich doch nicht gewesen. Es hätte durchaus etwas dazwischenkommen können bei seiner Rettungsaktion. Er gehörte zwar dem Schutzengelnotdienst an, aber in diesen Zeiten, gerade im Winter und vor allem zu Weih-nachten konnte einfach zuviel passieren. Die Menschen waren mit ihren Gedanken woanders, paßten nicht auf und schon geschah das Unglück.

Kasimir, der sich gern Kuddel nennen ließ, seit er einmal im Hafen diesen Namen gehört hatte, war ein besonders besorgter Schutzengel. Er war damals auch im Einsatz gewesen, hatte einem Käpt'n geholfen, die Balance zu halten, als der mit ein paar Schnaps zuviel fast über Bord gegangen wäre. Kuddel war ein Matrose, dem Kasimir damals tatkräftig zur Seite gestanden hatte.

Ach ja, mit seinem Namen war Kasimir ganz und gar nicht zufrieden. Er hatte Mühe, ihn selbst auszusprechen. Die anderen Engel grinsten meist vergnügt, wenn er sich vorstellte. Einer hatte sogar "Gesundheit" gesagt, so als hätte er geniest. Wieder zauste er sich die braunen Haare. Überhaupt, Engel waren blond. Warum nur hatte er so einen dunklen Schopf? War er deshalb nur beim Notdienst gelandet und nicht bei den Hauptengeln, von denen die Menschen immer so liebevoll sprachen?

Kasimir kam nicht weiter in seinen Grübeleien. Die rote Lampe leuchtete schon wieder. Er düste los im Sauseschritt und wieder kam er gerade recht, einem Arzt das richtige Instrument zu reichen. Der gute Mann war einfach überarbeitet, keine Pausen, zu wenig Personal.

Das war ja noch mal gutgegangen. Kasimir war erleichtert. Gerade zu Weihnachten wollte er sein Allerbestes geben. Nicht auszudenken, wenn die frohe Botschaft vom Kind in der Krippe durch ein Unglück überschattet würde.

Kasimir schaute auf die Himmelsuhr. Es war spät, die anderen saßen jetzt bestimmt schon auf ihren großen, weichen Wolken und feierten ausgelassen die Heilige Nacht. An die Kollegen vom Notdienst dachte mal wieder keiner. Kuddel-Kasimir wollte schon resigniert auf seiner kleinen Wolke zusammensinken, als das rote Lämpchen ihn aus seinem Kummer riß. Er war ein Schutzengel vom Notdienst und ein solcher hatte seine Aufgaben zu erfüllen, ganz gleich zu welcher Jahres- und Tageszeit. Kasimir richtete sich auf und machte sich wieder auf den Weg.

Dieses Mal mußte er länger suchen, bis er seinen Einsatzort fand. Als er ankam, warteten dort schon andere Schutzengel auf ihn. "Da bist du ja endlich! Du bist der letzte, Kasimir. Jetzt können wir endlich los", jubelten die anderen im Chor.

"Los? Wohin? Wir müssen doch auf die Menschen aufpassen!" Kasimir war verwirrt, aber die anderen Engel lachten. "Weißt du nicht, daß deine Zeit im Notdienst vorüber ist? 300 Jahre sind eine lange Zeit, jetzt kannst du dich auf deine Arbeit als geprüfter Schutzengel freuen. Die ist zwar auch verantwortungsvoll, aber du hast viel Unterstützung von den anderen Kollegen - und du hast Zeit, Weihnachten zu feiern."

Kasimir staunte - ein richtiger Schutzengel, das war was. Er grinste verlegen und fragte: "Und dann lachen die anderen auch nicht mehr über meinen Namen?" - "Nein Kuddel-Kasimir, das wird sich dann keiner mehr trauen."

"Na dann wollen wir endlich Weihnachten feiern. Obwohl ... wer paßt denn jetzt auf die Menschen auf?"

"Heute ist doch Heiligabend, Kasimir. Da paßt das Christkind auf, daß nichts geschieht. Und morgen sind die neuen Schutzengel vom Notdienst dran."

Kasimir seufzte beruhigt auf und machte sich mit den anderen Engeln auf den Weg, endlich Weihnachten zu feiern.

Die Muttter wurde blaß, als sie die Gefahr erkannte

Kasimir war verwirrt, aber die anderen lachten


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