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24.12.05 / Eine Reise der besonderen Art / Vater und Sohn wurden tagsüber von der russischen Polizei abgezockt und genossen die Abende

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Eine Reise der besonderen Art
Vater und Sohn wurden tagsüber von der russischen Polizei abgezockt und genossen die Abende
von Peter Graeber

Mein Sohn Michael und ich entschlossen uns zu einer Reise in die Heimat. Um beweglicher zu sein und aus dem Reiz des Abenteuers, wählten wir als Transportmittel das eigene Auto.

Nach den üblichen Reisevorbereitungen - vor allem Reisepaß- und Visa-Beschaffung - bestiegen wir an einem Donnerstag um vier Uhr früh den Ford Escort älteren Baujahres und machten uns auf den Weg von Bad Nenndorf Richtung Osten.

Bei Küstrin passierten wir problemlos die Staatsgrenze zur Republik Polen, was letztlich dem Anschluß an die Europäische Union zu verdanken ist. Aufmerksam befuhren wir - über Landsberg, Marienburg, Elbing und Braunsberg - die alte Reichsstraße 1, die in beachtlich gutem Zustand war, gen innerostpreußische Grenze. Gegen 14 Uhr lag sie nun vor uns und wir spekulierten, welche Abfertigungszeiten uns wohl aufhalten werden. Erstaunlicherweise hatten wir alle Formalitäten bereits nach zwei Stunden hinter uns gebracht und zwar inklusive Zoll und Abschluß einer separaten Versicherung für Schäden, die unser Kraftfahrzeug hätte anrichten können. Auch die Straßen bis Königsberg waren in einem erträglichen Zustand, so daß wir die Stadtgrenze schon um 17 Uhr vor uns sahen. Eine Unterkunft hatten wir nicht vorbestellt, was uns nicht so sehr sorgte wie die Straßen, die sich in einem derartig schlechten Zustand befanden, daß wir Achsbruch oder Reifenplatzen jederzeit befürchten mußten. An den wenigen Ampeln ging es zu wie bei einem Start eines Stoppelfeldrennens. Jeder fuhr drauf los, was das Zeug hielt, und rechts und links, in dritter oder sogar vierter Spur - ohne daß diese gekennzeichnet gewesen wären - preschten acht bis zehn Jahre alte Gebrauchtwagen aus bundesdeutschen Landen an unserem nicht minder betagten Fahrzeug vorbei. Unter Einsatz von Material und Mensch erreichten wir dann doch unbeschadet das Deutsch-Russische Haus, Lieper Weg 2, wo wir hofften, daß man uns eine Bleibe nennen könnte. Und so war es auch. Ganz in der Nähe - etwa 300 Meter hinter dem Sackheimer Tor - Richtung Liep, zwischen Auto- und Lastwagenhändlern befand sich das Hotel, das für die nächsten drei Nächte unser Zuhause sein sollte. Wir wurden vom Personal sehr freundlich begrüßt und bezogen ein Doppelzimmer, das wir mit Frühstück buchten und das Ganze für 30 Euro pro Nacht. Unser Auto konnten wir 100 Meter weiter auf einem bewachten Parkplatz abstellen, der ebenfalls noch im Preis enthalten war. Relativ zufrieden, weil alles so gut gelaufen war bis jetzt, blieben wir an der Hotelbar und gönnten uns ein paar Bierchen bis zum Schlafengehen.

Das Frühstück am nächsten Morgen entlockte uns ein erstauntes Lächeln. Es gab ein circa zitronengroßes, braunes Etwas, was sich nach dem Probieren als "Königsberger Klops" entpuppte. Dazu trockenen Reis und ein Stück Graubrot. Hatte man diesen ersten Gang verspeist, wurde Weißbrot und Käse gereicht, dazu ein Ei - außer sonntags! Getrunken wurde morgens Tee und das war gut, gibt es doch die Null-Prozent-Alkoholgrenze.

Gleich nach dem Frühstück zog es mich natürlich zur Yorckstraße, um Michael die Wurzeln unserer Sippe zu zeigen. Bei meinem letzten Besuch vor ungefähr zehn Jahren stand ja noch unser Haus, in dem ich Kind war. Aber, es war weggerissen und ein Rohbau - verlassen wie viele Rohbauten in Königsberg - schloß die Lücke. Nebenan die alte Feuerwache stand nicht nur noch, sondern wurde anscheinend noch benutzt. Auch die Turnhalle unserer Schule war noch erhalten und ein Teil der Toilettenanlage.

Auf dem ernüchternden Rückweg konnten wir in einem kombinierten Imbiß/Schlachter/Bäcker-Einkaufsladen mit Sitzgelegenheiten, durch Zeigen und Gesten etwas zu Essen beschaffen und Kaffee verstand auch die nicht Deutsch sprechende Verkäuferin.

Am Nachmittag war das alte Messegelände unser nächstes Ziel, von dem ich wußte, daß hier ein fliegender Markt sein mußte. Nachdem wir zunächst außen entlang gegangen waren, drangen wir ins Innere. Nach ungefähr zwei Stunden hatten wir immer noch nicht alle Buden gesehen beziehungsweise alle Eckpunkte des Terrains erkundet. Der offenbar größte Budenmarkt Europas lag uns zu Füßen. Dort wurde alles gehandelt, was man brauchte oder was man auch nicht brauchte, und fast ganz Königsberg deckte sich mit Waren des täglichen Bedarfs hier ein. Es wurde dunkel und wir gingen nach Hause.

Im Hotel bestellten wir ein Taxi für den ganzen Abend, zogen uns um und wollten auf die Piste! Für sieben Euro die Stunde sollte uns das Nachtleben Königsbergs näher gebracht werden. Am Nordbahnhof hielt der Fahrer vor einem der exklusiven Lokale der Stadt. Zunächst baten uns elegant gekleidete Herren durch eine Schleuse mit Metalldetektoren, um uns nach gefährlichen Gegenständen abzusuchen. In unseren Taschen befanden sich aber keine, und nachdem wir unsere Geldbörsen wieder eingesteckt hatten, betraten wir das Etablissement. Dort erwartete uns ein großer Raum mit einer riesigen Videoleinwand und einer sehr langen Bar, an der nur eine einzige Person saß. "Zwei Wodka-Lemon", sagten und gestikulierten wir. Der Barkeeper schenkte zwei reagenzglasähnliche Gefäße voll und legte je eine halbe Zitronenscheibe darüber. Das war's. Wir gingen danach zu unserem Taxi, in dem brav unser Fahrer wartete und uns jetzt in die Litauer Wallstraße brachte, nachdem er noch zuvor zwei weitere Adressen angefahren, für uns persönlich vorgeprüft und als nicht in frage kommend befunden hatte. Zwischen Königs- und Sackheimer Tor - beide stehen noch - haben die Russen die alte Bastei renoviert und ein ziemlich feudales Lokal eingerichtet. In allen drei Etagen kann hier gegessen und getrunken werden, doch das Kellergewölbe hatte das beste Flair. Dort ließ man uns nach langem hin und her und zähen Verhandlungen an der Bar sitzen, und der fließend englisch sprechende Barchef verhalf uns mit Hilfe von Michaels Englischkenntnissen zu einem illustren und feuchtfröhlichen Abend. Für jeden eine Havanna und ein Wunschtitel des Saxophonisten (für nur zehn Euro) komplettierten die Nacht. Der zwar kurze, jedoch stockdunkle, mit tiefen Löchern und quer liegenden Baumstämmen versehene Heimweg überzeugte uns, mit unserem Taxi zurückzukehren.

Bis hierher hatten wir alles gut gemeistert, und es lag noch das Wochenende vor uns. Jetzt begann das Abenteuer!

Am Sonnabendmorgen brachen wir mit dem Auto noch mal zum Markt auf, wo wir gegen 10.45 Uhr eintrafen. Gegenüber der Parkbucht, in der Michael gehalten hatte, befand sich eine größere Polizeistation, vor der eine Verkehrskontrolle durchgeführt wurde. Ein junger Polizist erspähte ein Westkennzeichen an unserem Auto und eilte sofort herüber. Michael als Fahrer mußte Fahrzeugschein, Führerschein und Reisepaß mit Visum vorzeigen. Vorgeschriebener Feuerlöscher sowie Verbandskasten lagen sichtbar auf dem Rücksitz. Von mir wollte niemand etwas. Nachdem es nichts zu beanstanden gab, überlegte der Ordnungshüter eine Weile und dann mußte Michael plötzlich in die gegenüber liegende Polizeistation. Ich wartete zwei Minuten und ging dann ebenfalls in das Gebäude. Als ich eintrat, sah ich, wie mein Sohn in einen Beutel blasen mußte und der Polizist anschließend prüfte und prüfte und plötzlich pfiffig lächelnd in den Hof trat und uns aufforderte zu folgen. Gegen das Sonnenlicht haltend meinte er im Röhrchen eine Verfärbung erkennen zu müssen und rief: "Wodka, Wodka!" Wir stritten vehement ab und er redete: "Doktor", zeigte auf Michaels Armbeuge: "Blut Doktor ... teuer Rubel ...!" Das Zeichen mit Daumen und Zeigefinger war eindeutig. Auch die gekreuzten Armgelenke ließen nichts Gutes ahnen. Ich sah meinen Sohn schon mit einem Bein im Knast und das in Rußland! Michael fing an, ihm Geld (Euro) zu bieten, aber auf der offenen Straße schien das zu heiß. Mit dem Kopf wies er auf ein Polizeifahrzeug, in das wir einstiegen, und nach kurzer Zeit veranlaßte er mich mit der selben Bewegung wieder zum Aussteigen. Ich sah noch, wie er immer wieder mit den Händen sich übers Gesicht fuhr und die Haare raufte, um den Preis hochzutreiben oder aus Nervosität, denn oft hatte der so etwas wohl noch nicht gemacht. Nach weiteren fünf Minuten konnte auch Michael das Fahrzeug verlassen und ich war erleichtert. Auch Michael war erleichtert, nämlich um 105 Euro. "Schnell weg, weg, weg ..." waren die letzen Worte des Wegelagerers, erzählte Michael im Auto auf dem Weg ins Samland, denn Markt hatten wir nun genug.

Es ging über Fischhausen, Sorgenau, Palmnicken, Gr. Kuhren, Rauschen, Neu Kuhren und Cranz, wo sich nun viele Russen trauen lassen - haben wir beobachtet -, um im Anschluß die obligatorischen Familienfotos mit Meerblick zu verschönern. Die Landstraßen waren alle recht ordentlich, nur in den Ortschaften konnten wir wegen der vielen Schlaglöcher nur 20 Stundenkilometer fahren. Gegen die Beschilderung konnte man nichts sagen, denn es gab so gut wie keine.

Die Heimatstadt hatte uns am Nachmittag wieder und wir wollten noch einen Abstecher zum Hafen machen. Auf diesem Weg lagerte die nächste Kontrolle. Beim Betrachten des Führerscheins meines Sohnes hatte er, der Hüter von Recht und Ordnung, offensichtlich Glück. Das darin befindliche Foto entsprach nicht seinen Vorstellungen, obwohl Grenzstation und Polizeirevier dies nicht so befunden hatten. Michael mußte nach sieben Minuten Warten in einen zwölf Jahre alten 5er BMW einsteigen, dessen Scheiben dunkler eingefärbt waren als bei Mafiakarossen, die man aus Filmen kennt. Innen hörte er: "Führerschein ungültig ... zarapp zapp zapp." Sollte heißen: Weg mit dem Führerschein, ohne darf man nicht fahren, das Visum nennt Auto als Transportmittel, dann sehen Sie mal, wie Sie wieder wegkommen. Und das wollten wir auch am liebsten, denn hier war der Preis nach 20minütigem beharrlichen "Nix verstehen" durch Michael 800 Rubel, die großzügig von der Obrigkeit auf 1000 aufgerundet wurden, denn wechseln konnte, äh wollte er nicht. Ich hatte alles nur aus unserem Fahrzeug mitgekommen und gab die 1000 Rubel, denn meinen Sohn hatten sie ja schon vormittags blank gemacht. Die "gute Weiterfahrt", die man uns mit breitem Grinsen nachrief, hob nicht gerade unsere Stimmung auf dem Weg zum Hafen, dessen Straßen zum Teil bis zu 30 Zentimeter unter Wasser standen, und das nach völlig normalem Regen. Das Wasser, das beim Durchfahren in einer Gischt über unserem Fahrzeug zusammenschlug, konnte nämlich nicht ablaufen, denn die Kanalisation war völlig hin. Jetzt eine gemütliche Kneipe, dachten wir, aber eine zu finden war nicht möglich. Die Russen kaufen nämlich ihr Bier in Flaschen an einem Kiosk und trinken es auf der Straße beim Gehen.

Abends wiederholten wir dann den Besuch unseres Abendlokals mit Live-Musik. Der Barmann hatte uns bereits einen Tisch reserviert und zwei dicke Zigarren besorgt, obwohl wir von unserem Wiederkommen nichts gesagt hatten. Es wurde wieder ein gelungener Abend.

Sonntagvormittag war es dann Zeit, die Heimreise anzutreten. Wir wechselten noch etwas Geld, kauften noch auf dem Sackheim in einem Supermarkt ein, der auch sonntags offen hat, und fuhren stadtauswärts in Richtung Grenze Heiligenbeil. Gegen 12.30 Uhr kamen wir dort an und mußten uns ans Ende einer Autoschlange von etwa 400 bis 500 Metern anstellen. Alles Polen, bis auf zwei bis drei Fahrzeuge mittendrin. Nach einer halben, völlig regungslosen Stunde, was den Verkehr anging, klopfte es plötzlich an der Fahrerscheibe und ein etwa 55 bis 60 Jahre alter, fließend deutsch sprechender, grauhaariger Russe sagte: "Das kann hier noch länger dauern, geben Sie mir 40 Euro und ich telefoniere mit meinem Handy mit der Grenze und Sie werden sofort durchgelassen. Es dauert keine 10 Minuten! Wir lehnten ab, er lachte und ging weg. Es dauerte nicht lange und unser neuer Freund, der uns helfen wollte, erschien ein zweites Mal und sprach davon, daß es noch Stunden, wenn nicht sogar Tage dauern kann. Wir konnten uns das nicht vorstellen. Alle Polen mußten doch die Situation kennen und würden doch so eine Situation nicht mitmachen. Doch würden sie, tun es und sicher auch immer wieder. Diesmal bleiben wir hart und lassen uns nicht abzocken, dachten und sagten wir uns. Mit unserer Sturheit und dem mehrmaligen Überprüfen unseres Freundes, ob wir nicht doch nun bald die Schnauze voll hatten, brach die Nacht an. Und wir lagen an der russischen Grenze, man ließ uns einfach nicht raus. Unser Freund wurde jetzt von anderen guten Menschen abgelöst, die immer nur unser Bestes wollten: unser Geld! Aber nicht mit uns. Schließlich waren wir schon 20 Wagenlängen vorwärts gekommen. Mitternacht rückte näher, alle halbe Stunde konnten wir dann stückchenweise vorrücken, damit man nicht die ganze Nacht schlafen und sich all die finsteren Gestalten ansehen konnte, die dort in Buden handelten. Mal kamen sie mit Autos, mal mit Bussen, mal aus Richtung Russische Föderation, mal aus der Republik Polen (eigentlich ja schon EU), aber mit Geld kann man her- oder hinkommen, wo und wie man will. Nun war es uns völlig egal, wir hielten durch, und was soll ich sagen, gegen 5.30 Uhr ging es los. Offenbar hatte die Grenze wieder geöffnet! Innerhalb einer Stunde hatten wir die russische Grenze ohne Gepäckkontrolle passiert und waren wieder im südlichen Ostpreußen, also im Westen! Wir fuhren noch ein Weilchen und hielten dann an einem netten Hotel, um uns ein wirklich schönes Frühstück zu gönnen, mit allem Pipapo, wie man so sagt.

Bis Bad Nenndorf gab es nichts Aufregendes mehr und wir waren dann am Montag gegen 18 Uhr wieder zu Hause als Rußlandheimkehrer und um einige Erfahrungen reicher, die weder Michael noch ich missen möchten.

Königsberger Polizist mit seinem Streifenwagen: Peter und Michael Graeber haben die Vertreter der russischen Ordnungsmacht in der Pregelmetropole primär als korrupte Abzocker erlebt.


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