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24.12.05 / Reif und Frost / Weihnachten an der Mottlau

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Reif und Frost
Weihnachten an der Mottlau
von Max Halbe

Weihnachten kommt. Reif und Frost kommen mit. Drüben im "Irrgarten" stehen die Birken, Erlen und Haselnußsträucher in blitzenden Mänteln von Reif. Reif liegt auf der Dorfstraße, überzuckert die Klüten und Klumpen, die sich der Frost aus dem Morast zusammengeballt hat: ein Bildhauer des Primitiven, der frei nach der Natur arbeitet. Reif bedeckt die Dächer der Häuser und Katen jenseits der Mottlau. Eine blutige Riesenmelone, von Nebelschwaden gesprenkelt, will hinter den "blauen Bergen" versinken. Der Tag ist der kürzeste im Jahr. Die Dämmerung bleicht.

Was wird der heutige Abend bringen, der Weihnachtsabend? Was wird er mir über zehn Jahre bringen? Ich habe die "Großen" oft vom "Leben" sprechen hören. Was ist das, das Leben? Die waren doch auch mal so wie ich. Jetzt sind sie alt! Wie das sein mag, wenn man alt ist? Irgend etwas in mir tut auf einmal so weh, so als müßte ich zerspringen! Irgend etwas sehnt sich, ich weiß nicht, wonach!

Vom Hausflur kommen plötzlich Stimmen, es schwimmen Töne, Gesang ... Die Dorfkinder mit ihren Weihnachtsliedern sind da, wie alle Jahre an diesem Tag und um diese Stunde, wenn die Sonne herunter ist ...

Heiliger Abend! Noch zwei bis drei Stunden und die Kerzen am Weihnachtsbaum brennen ... und dann ... Dann ist auch das wieder vorbei! Im Hausflur klingt noch immer von hellen Kinderstimmen ein altes Lied. Es ist, als müßte mir das Herz brechen.

Aber zwei, drei Stunden später, unter dem Lichterbaum, ist der frühzeitige Weltschmerz vergessen (verschwunden ja nicht), das Marzipanherz ganz oben auf dem Teller schmeckt großartig! Ich habe ja selbst dabei mitgeholfen ...

Wieder eine Woche. Silves-terabend, der zur Rüste geht. Wenn diese gelbe bleiche

Wintersonne hinunter ist, wird sie das alte Jahr nie mehr wiedersehen. Das zieht heute um Mitternacht fort in die Ewigkeit. (Was das wohl sein mag, Ewigkeit?) Dann kommt eine neue Zahl. Fernher, vom Ende des Dorfes schallt Peitschenknallen. Es ist nicht ein einzelner, der da knallt. Ganze Salven sind's; wie auf Kom-mando knattern sie daher, in regelmäßigen Absätzen. Das sind die Knechte von allen Höfen, die das alte Jahr "ausknallen".

Und schon treten andere auf dem Beischlag von unserem Haus mit dem "Brummtopf" an: Ein irdener Topf, Pferdehaare als Saiten darüber gespannt. Wenn man sie zupft, so gibt es dumpfe, murrende, brummende Baßtöne. Sie gehen einem durch Mark und Bein, als stampfte eine Horde von Urzeitmenschen im Takt herum. Rauhe Kehlen singen eine uralte Weise zur Brummtopf-Begleitung.

"Wir bringen dem Herrn einen schön gedeckten Tisch; an allen vier Ecken einen gebratenen Fisch. - Wir bringen der Frau eine goldene Kron'; übers Jahr, übers Jahr einen jungen Sohn ..." Rumpedibumm! Rumpedibumm! Im dumpfen Brummtopftakt stampft die dörfliche Schar, nachdem sie ihren Sold eingeheimst, zum Nachbarhof, wo sich das Spiel wiederholt. Rumpedibumm! Rumpedibumm! "Wir bringen dem jungen Herrn ein schön gesatteltes Pferd, eine reiche Braut und ein krummes Schwert ..." Rumpedibumm! Rumpedibumm! Dann zieht allmählich Stille ein.

Peitschenknallen und Brumm- topfmusik ziehen mir noch heute als alter Heimatklang durch den Sinn, wenn wieder einmal ein Jahresring sich schließt und die Silvestersonne zur Rüste geht.


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