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24.12.05 / Genie oder widersprüchlicher Provokateur? / Aufschlußreiche, aber etwas zu unkritische Dissertation über den Publizisten Sebastian Haffner

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Dezember 2005

Genie oder widersprüchlicher Provokateur?
Aufschlußreiche, aber etwas zu unkritische Dissertation über den Publizisten Sebastian Haffner

Nach seinem Tod im Jahr 1999 herrschte eine Art Haffner-Konjunktur. Regelrecht gefeiert wurde insbesondere der hellsichtige Emigrant, der von England aus gegen den nationalsozialistischen Ungeist zu Felde gezogen war. Die "Anmerkungen zu Hitler" werden neben der großen Hitler-Biographie von Joachim Fest sowieso ihren bleibenden Wert behalten. Schaut man sich den Lebensweg Haffners genauer an, so fallen seine häufigen Meinungswechsel ins Auge. War Haffner vielleicht nur ein Opportunist, der sich mit unkonventionellen Meinungsäußerungen Gehör verschaffen wollte? In seinem Buch "Begegnungen" konnte Fest die Persönlichkeit Haffners auf keine Formel bringen. Sebastian Haffner habe die "deutsche Labilität" zwar so kritisch wie kaum ein anderer beschrieben, aber er sei ihr selber ebenso oft erlegen.

Mit gespannter Aufmerksamkeit nimmt der Leser daher die Dissertation von Ralf Beck zur Hand, die jetzt unter dem Titel "Der traurige Patriot" erschienen ist. Um es vorweg zu sagen: Auch Beck hat das Rätsel nicht gelüftet. Aber er liefert genügend Anschauungsmaterial, so daß sich jeder selbst sein Urteil über Haffner bilden kann. In begrüßenswerter Nüchternheit und Kürze untersucht Beck Haffners Lebensthema, nämlich die deutsche Wiedervereinigung. Dem Autor gelingt es in überzeugender Weise, die unterschiedlichen Positionen, die Haffner als Journalist und historischer Autor zur deutschen Frage bezogen hat, deutlich zu machen. Daß Beck gleich eingangs von "dem bedeutendsten Publizisten der Bundesrepublik Deutschland" spricht, paßt nicht zum ansonsten betont sachlichen Tonfall des Buches. Außerdem sind an dieser Qualifizierung erhebliche Zweifel angebracht. Nach Lektüre des Bandes wird manch einer vielleicht sogar zu dem Urteil gelangen, daß der Autor der "Geschichte eines Deutschen" oder der Churchill-Biographie Bestand haben wird, nicht aber der Verfasser von bisweilen indiskutablen Beiträgen für den "Stern" oder "Konkret". Die Laufbahn des Historikers Haffner begann eigentlich erst in dessen Ruhestand. Die Gelassenheit des Alters kam den politischen Urteilen zugute.

"In den rund 50 Jahren seiner journalistischen Tätigkeit hat er sich irgendwann einmal jede umlaufende Meinung zu eigen gemacht, den Naziwahn ausgenommen", schreibt Fest über den Mann, dessen Leben einem "Puzzle" glich, "dessen Teile nicht zusammenpassen". Becks Leistung besteht darin, daß wir die einzelnen Puzzleteile genau erkennen. Doch der Reihe nach: Im Herbst 1939 wollte Haffner die deutsche Frage durch die Abschaffung des Deutschen Reiches lösen. Anfang 1941 meinte er, an die Stelle des Deutschen Reiches solle ein bundesstaatlich organisierter deutscher Nationalstaat innerhalb eines europäischen Systems freier Nationalstaaten unter britischer Führung entstehen. Im Mai 1943 präferierte Haffner doch wieder eine partikularistische Lösung, dann die Schaffung einer antinazistischen deutschen Zentralregierung. Zwischen Mai 1945 und Februar 1952 befand er sich ungefähr auf Adenauer-Kurs. Haffner galt als kalter Krieger und Befürworter der Politik der Stärke. Nach Stalins Tod war er auf einmal für ein neutrales Deutschland, das zwar weltanschaulich auf der Linie des Westens sein, aber keinem Bündnis angehören sollte. Und spätestens seit den 60er Jahren votierte er für eine subnationale Lösungsvariante. Er wurde zum Parteigänger der Entspannungspolitik und akzeptierte sogar mit Beginn der 80er Jahre das scheinbare Scheitern des deutschen Nationalstaats. Die Wiedervereinigung von 1989/90 schockierte ihn, da nun die deutsche Frage wieder zum Problem werden könnte. Man muß beim Lesen schon aufpassen, daß man nicht die Übersicht verliert.

Doch kann Beck dieses Puzzle zusammensetzen, indem er eine stichhaltige Erklärung für diese "Hü- und Hott-Publizistik" findet? Hier sind Zweifel angebracht. Haffners Lebenswerk lasse sich als "Staatsdienst" begreifen. Haffner habe sich in jeder neuen historischen Situation gefragt, wie der deutschen Frage und einem europäischen Gleichgewicht am besten gedient werden könne.

Letztendlich scheint es aber vielmehr, als sei die Lust an der Provokation mit Haffner durchgegangen. Dieses Temperament hat ihn immer wieder zu schlimmen Fehl-urteilen und Entgleisungen verleitet. Man denke nur an seine Empfehlung, alle SS-Männer ohne Unterschied zu erschießen. Erinnert sei an seine Rechtfertigung von Mauer und Schießbefehl, seine Gleichsetzung von Kapitalismus und Sozialismus, wobei der Kapitalismus in puncto Lebensstandard vielleicht ein Mercedes und der Sozialismus nur ein Fiat sei. War es wirklich Staatsdienst und Staatsvernunft, wenn Haffner Adenauer verdammte - später sollte er ihn wieder loben - und Ulbricht zum großen Führer erklärte?

Fest spricht von "Haffners Durchgängerei", die in die 60er und 70er Jahre gefallen sei. Beck gebührt das Verdienst, anhand einer einzigen Fragestellung sozusagen den "ganzen Haffner" zu präsentieren, der die "Durchgängerei" wohl nie richtig ablegte. Am Ende wird man dem Urteil, Haffner sei der größte Journalist der Bundesrepublik gewesen, nicht zustimmen können. Dazu fehlten ihm Maß und Mitte. Die Bewunderung für seinen nie langweiligen Gegenstand hat Beck ein wenig den Blick getrübt und eine kritischere Auseinandersetzung verhindert. Ansgar Lange

Ralf Beck: "Der traurige Patriot - Sebastian Haffner und die Deutsche Frage", be.bra, Berlin 2005. broschiert, 366 Seiten, 24,90 Euro


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