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31.12.05 / Kinderschlacht / … zu Land und auf den Meeren – Erinnerungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Dezember 2005

Kinderschlacht
… zu Land und auf den Meeren – Erinnerungen
von Walter Westphal

In unserem großen Obstgarten war genug Platz für ganze Räuberbanden und viele Gendarmen. Da aber nun mal Krieg war, wurde Krieg gespielt und am Freitag die Vorbereitungen dazu getroffen. Die Grenze wurde mit Kartoffelkörben und Holzscheiten markiert und der Vorrat an Handgranaten in Form von sauren Mostäpfeln mußte auch noch angelegt werden. Die Terrasse wurde zum Lazarett erklärt. Wir hatten mit den Dorfjungen in unserem Alter nämlich beschlossen, daß unser Krieg am Samstagnachmittag um drei Uhr anfangen sollte. Ich setzte meine Pickelhaube auf, die ich vom Weihnachtsmann bekommen hatte und mit meiner Stöpselflinte und dem Holzsäbel war ich ganz gut gerüstet. Andere hatten ebenfalls die abenteuerlichsten Waffen mitgebracht und trugen meistens Helme aus Zeitungspapier. Auch zwei Fahnen, eine bunte Blechtrommel und zwei Trompeten waren dabei. Der Peter Paltinat trug doch tatsächlich einen echten Luftschutzhelm, um den wir ihn alle beneideten. Bei der Einteilung der beiden Armeen kam es dann zum ersten Streit und ausgerechnet ich sollte ein ausländischer Feind sein. Natürlich protestierte ich energisch. Ausländische Feinde haben doch keine Pickelhaube auf. Auch andere protestierten und stritten herum. Bevor unser Krieg richtig angefangen hatte, war die erste Schlacht schon im vollen Gange. Jeder kämpfte plötzlich gegen jeden, denn wir hatten ja noch gar keine Generäle gewählt. In der Fliederlaube an der Buchenhecke wurde ich dann auch nach einiger Zeit verwundet. Reinhard Kassek hatte mich im Nahkampf mit seinem Bajonett aus einem Besenstiel so an der Hand verletzt, daß ich leicht blutete. Die Kampfhandlungen um uns herum gingen weiter und plötzlich bekam ich noch zwei Handgranaten aus sauren Mostäpfeln an den Kopf. Huiii, das tat weh, denn ich hatte schon beim ersten Angriff meinen schönen Lederhelm irgendwo verloren, der nun einem Feind in die Hände gefallen war. Als Schwerverwundeter wurde ich im Handwagen zu unserem Lazarett bis zur Terrasse gefahren und mit einem weißen Kniestrumpf verbunden.

Unser Knecht Emil war Feldgeistlicher und Sanitäter zugleich, tröstete und verband die Verwundeten, auch wenn das meistens gar nicht nötig war, griff aber in unsere Kampfhandlungen nicht ein. Trotzdem, er verstand was vom Krieg. Bei den Kämpfen in Masuren hatte er im Ersten Weltkrieg ein Auge verloren und einen kaiserlichen Orden für Tapferkeit erhalten. Den trug er jetzt noch an seinem schwarzen Sonntagsanzug und war mächtig stolz darauf.

Die weiteren Kämpfe fanden dann aber überraschend ein jähes Ende, als zwei bunte Scheiben von der Veranda zersplitterten. (Handgranatentreffer). Unser Pflichtjahrmädchen Renate war gerade im Begriff ins Dorf zu gehen und stürmte nun in BdM-Uniform mit einem Teppichklopfer wütend auf die Kämpfenden zu und plötzlich war Ruhe. Alle waren irgendwie beschämt, denn ein Flintenweib war in unserem Krieg doch gar nicht vorgesehen und nun siegte die auch noch.

Wir Verwundeten im Lazarett auf der Gartenterrasse meinten dann auch, daß das ein blödes Spiel sei und waren doch auch wieder froh, daß der Krieg zu Ende war nach dieser peinlichen Niederlage.

Ganz ohne Krieg ging es dann aber doch nicht und der Hans Berlitz meinte, wir könnten doch eine Seeschlacht auf dem Teich hinter den Pferdeställen veranstalten. Der Vorschlag war gut und wurde angenommen. Bis wir aber die beiden Schlachtschiffe aus Brettern und Latten zusammengebunden hatten, war es spät geworden und der Seekrieg wurde auf Sonntag vertagt.

Mit langen Latten und Bohnenstangen mußten wir die Feinde von ihren Schlachtschiffen stoßen, und wer ins Wasser fiel, durfte nicht mehr weiterkämpfen, denn er galt als ertrunken. Ich kämpfte und schrie mit den anderen Kriegshelden um die Wette und hatte sogar schon zwei Feinde „auf den Grund des Meeres“ geschickt. Dann aber rissen die Schnüre ausgerechnet an unserem Schlachtschiff. Es löste sich in seine Einzelteile auf und überall schwammen Bretter herum. Wir standen bis zum Bauch im dreckigen Wasser. Dazu mußten wir noch das Siegesgeschrei der Feinde ertragen und ärgerten uns fürchterlich. Die Gewinner mußten dann alle antreten und bekamen von unserem Knecht Emil Koschinski jeder einen Orden in Form einer WHW-Plakette (Winterhilfswerk) umgehängt, und dabei salutierte er so ernst und militärisch mit der Hand an seinem Strohhut, daß es einem ganz feierlich wurde. Später meinte er so nebenbei: „Der Teich hat wenig Wasser, ihr werdet ihn am Ende doch nicht ausgesoffen haben?“ Das ja gerade nicht, aber einiges von den „Meeresfluten“ war schon von uns „Ertrunkenen“ geschluckt worden. Das wirklich einzige bedauernswerte Opfer aber war eine Karausche, die wohl in die Kampfzone geraden war und nun leblos auf dem Teich trieb. Ja, so brutal waren die Kämpfe auf dem Meer.

Nach dieser furchtbaren Seeschlacht waren wir alle so dreckig und stanken nach Kuhfladen und Moder, daß uns meine Mutter in diesem Zustand nicht ins Haus ließ, und so mußten wir den Streuselkuchen und den Kakao in unserem Lazarett auf der Gartenterrasse vertilgen. Jeder rühmte sich seiner Heldentaten, und wer welche erlitten hatte, trug seine Blessuren zur Schau wie das Eiserne Kreuz.

Trotz allem waren wir uns einig, daß von all den kriegerischen Abenteuern zu Land und auf den fernen Meeren die Friedensfeier am schönsten war.

Die Erwachsenen müssen das damals aber noch nicht gewußt haben, denn im Radio wurde weiter von schweren Kämpfen an allen Fronten berichtet.


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