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31.12.05 / Als Eva zum Apfel griff / Eine Berliner Ausstellung zeigt den langen Weg vom Selbstversorger zum Selbstbediener

© Preußische Allgemeine Zeitung / 31. Dezember 2005

Als Eva zum Apfel griff
Eine Berliner Ausstellung zeigt den langen Weg vom Selbstversorger zum Selbstbediener

Die heiße Phase ist vorbei, das Weihnachtsgeschäft gelaufen, und auch die Umtausch-Schlachten sind ge-schlagen. Die meisten Einzelhändler sind offenbar zufrieden mit dem wieder zweistelligen Milliardenumsatz, wenn es auch immer welche gibt, die jammern, es hätte doch noch mehr sein können. Einkaufen oder neudeutsch ausgedrückt „shoppen“ ist eine der liebsten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Wobei „shoppen“ nicht immer auch kaufen bedeutet; durch Boutiquen und Kaufhäuser schlendern, hier mal etwas anprobieren, dort mal etwas sich erklären lassen oder einfach nur anderen beim Arbeiten zusehen – das macht Spaß in unserer Spaßgesellschaft.

Doch im Ernst: Das Kaufverhalten der Menschen hat sich geändert im Laufe der Jahrzehnte, der Jahrhunderte. Wenn man früher zum Händler oder Kaufmann ging, dann erwarb man etwas, was man selbst nicht herstellen konnte. Mit der industriellen Produktion von Lebensmitteln wurde der Mensch vom Selbstversorger zum Selbstbediener. Anschaulich dargestellt wird dieser Wandel in einer Ausstellung im Berliner Freilichtmuseum Domäne Dahlem. Auf 450 Quadratmetern geht man dem Pänomen „Einkaufen“ nach und lädt die Besucher, vor allem auch Familien mit Kindern, zu einer kulturhistorischen Erlebnisreise ein. Eine Reise, die vom guten alten Kolonialwarenladen über kleine Selbstbedienungsläden bis hin zu Supermärkten und Discountern führt.

Das älteste Objekt ist das Einschreibebuch eines Bauern aus dem 18. Jahrhundert, eine eindrucksvolle Quelle für den Kauf und Verkauf der Waren. Hinzugekauft oder getauscht wurden beispielsweise Tabak, Schnaps und Kleidung. Der Großteil der Lebensmittel wurde hingegen selber produziert.

Sehr viel jünger sind die wohl auffälligsten Exponate: Spielreittiere „Dinosaurier“ aus dem Jahr 1998. Normalerweise findet man sie vor dem Supermarkt, diese Reittiere oder Wagen, die ganz junge Kunden anlocken sollen, aber nur auf Münzeinwurf Unterhaltung bieten. Im Freilichtmuseum Domäne Dahlem sind sie in diesen Tagen zu Türwärtern des ältesten profanen Gebäudes Berlins geworden und „bewachen“ die Ausstellung.

Auffällig auch die Leuchtschrift „Frischfleisch“ aus der Zeit um 1960. In den 1950er und 1960er Jahren wurden zunehmend Frischfleischtheken in die Selbstbedienungsläden integriert. Der 3,30 Meter lange, rubinrote Neonschriftzug leuchtete über 40 Jahre lang in einem Berliner Feinkostladen – und nun, restauriert und technisch modernisiert, in der Ausstellung „Einkaufen!“.

„Die Ware verkauft sich selber“ heißt das unscheinbare Objekt mit paradoxer Aussagekraft – weist es doch den Händler in die Handhabung der Selbstbedienung ein. Man erfährt, daß schon Eva mit ihrem Griff zum Apfel den Grundstein zur Selbstbedienung legte, und wie ein Regal so gestapelt wird, daß der Kunde nicht unter Dosen begraben wird.

Wer besitzt nicht welche, vergißt sie zu entsorgen oder liebt sie heiß und innig, weil sie so originell gestaltet sind: Die Plastiktüten sind aus dem Leben nicht mehr wegzudenken, schließlich erleichtern sie den täglichen Einkauf. Das in der Ausstellung gezeigte Modell – ein babyrosa Beutel-Euter mit Tragegriffen – gehört sicher zu den besonders bizarren und damit Aufmerksamkeit erregenden Vertretern dieser Gattung.

Von „Plaste und Elaste aus Schkopau“ stammt eines der innovativen DDR-Produkte: Der Einkaufsbeutel aus Kunststoff konnte direkt zum Kissen umfunktioniert werden – falls das Schlangestehen doch mal länger dauerte ...

Besonders schön ist eine glänzende Registrierkasse. Die „goldene“ Registrierkasse „National“ wurde um 1900 in den Handel gebracht. Sie kann Bons ausspucken, die Summen zusam-menzählen, den Betrag anzeigen und klingelt melodisch. Registrierkassen wurden im späten 19. Jahrhundert erfunden, unter anderem, um dem Diebstahl durch das Personal ein Ende zu setzen.

Das größte Objekt der Ausstellung ist zweifellos ein Kiosk aus dem Hamburger Raum. Bis heute ist der Kiosk oder das Büdchen ein sozialer Treffpunkt – daher „spricht“ dieses Ausstellungsobjekt auch mehrere Sprachen und erzählt dem Besucher, was genau ein Kiosk eigentlich ist. Das Innenleben birgt eine Fotoserie Berliner Kioske von Sonya Schönberger.

Das kleinste Objekt der Ausstellung ist eine Jugendstilreklame aus der Zeit um 1910. Die stilistisch sehr schöne und sehr kleine (4 x 4 Zentimeter) Anzeige wirbt für Aulhorn’s Nähr-Cacao. Diese Anzeige zeigt die damalige Auffassung zu Süßwaren, Kakao und Schokoladen: Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der hohe Kaloriengehalt dieser Produkte geschätzt.

Die „Intelligente Waage“ stammt schon aus dem 21. Jahrhundert. Sie erkennt anhand einer Webcam eigenständig, welches Obst oder Gemüse gewogen wird. Der Arbeitsschritt des Merkens der Nummern oder des Suchens der Symbole entfällt damit für den Kunden. Derzeit befindet sich die „Intelligente Waage“ allerdings noch in der Testphase.

Kunde, Verbraucher, Konsument – ganz gleich welchen Titel man trägt, übrig bleibt doch immer der Mensch, der angesprochen werden soll, dessen Bedürfnisse geweckt werden sollen. Die Ausstellung gibt auch einen Einblick in die Trickkiste der Verkäufer. fmdd/os

Die Ausstellung im Freilichtmuseum Domäne Dahlem, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Königin-Luise-Straße 49, 12195 Berlin, Telefon (0 30) 6 66 30 00, ist täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Einritt 2 / 1 Euro, mittwochs freier Eintritt, bis

3. April 2006, anschließend bis 2009 als Wanderausstellung in den Freilichtmuseen in Hamburg-Harburg (am Kiekeberg), Bad Windsheim, Molfsee bei Kiel und im Museumsdorf Cloppenburg.

Pech gehabt: Nicht immer halten die Einkaufstüten, was sie versprechen.


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