25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
07.01.06 / Am Körper versteckt / Das Kirchensiegel Ottenhagen und seine Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Januar 2006

Am Körper versteckt
Das Kirchensiegel Ottenhagen und seine Geschichte

Das Ottenhagener Kirchensiegel hat bis zum Ende seiner „Dienstzeit“ im Winter 1944 / 45 fast jedes menschliche Schicksal im Kirchspiel Groß Ottenhagen mit den Gemeinden Groß Ottenhagen, Groß Barthen, Ellerwalde, Groß Lindenau mit Lindenberg und Lindenthal, Klein Lindenau, Neu Lindenau, Lindenhof, Klein Ottenhagen, Rosengarten, Sand, Seewalde, Waldhof, Worienen besiegelt. Darunter waren Geburten, Patenschaften, Konfirmationen, Sterbefälle, Beglaubigungen und kirchenbehördliche Angelegenheiten — zuletzt unter Pfarrer Bruno Brombach, der nach Kriegsende zunächst als Pastor in Kiel und dann bis zu seinem Tode als Präses in Wuppertal-Elberfeld wirkte.

Die frühere Geschichte dieses Siegels, wann und wo es gefertigt wurde und seine über Generationen reichenden Amtshandlungen, bleibt verborgen. Aber seine jüngsten Gebrauchsspuren und die kaum noch lesbare Jahreszahl unter der Kirchenabbildung („Siebzehnhundert und ?“) — Zeit der Ansiedlung geflüchteter Salzburger Protestanten – kann durch die Berührung mit meiner eigenen Nachkriegsgeschichte etwas aufgehellt werden. 1960 arbeitete ich als Werkstudent beim Kirchensteueramt Wuppertal-Elberfeld und wohnte als Gast bei Pfarrer Brombach, seiner Frau Käte (geb. Bader) und ihren vier Kindern Marie-Luise, Rüdiger, Winfried und Detlev — alle noch echte Ottenhagener. Detlev war das Patenkind meiner 1946 in Königsberg an den Hungerfolgen verstorbenen Mutter. So war ich als kleiner Junge bis 1945 von Königsberg aus oft im Ottenhagener Pfarrhaus zum Spielen, wenn ich bei meiner Großmutter Elma Kraemer im strohgedeckten Gartenhäuschen neben dem Schmiedegrundstück Carl Kraemer zu Besuch war. Pfarrer Brombach hatte aus den alten Ottenhagener Kirchenbüchern herausgefunden, daß 1774 ein 27jähriger „Krämer“ als Vertriebener aus dem Salzburger Land sich in Ottenhagen angesiedelt und dort eine Schmiede errichtet hatte. Diesem Hof mit der Schmiede Carl Kraemer, zuletzt bewirtschaftet von dessen ältestem Sohn Carl August Kraemer und seiner Frau Anna (geborene Wichmann), entstammt auch mein Vater Fritz Kraemer mit den Geschwistern Arnold, Ernst und Mathilde (letztere verheiratet mit Otto Hennig in Fried-richsberg am Woriener See).

Das Ottenhagener Kirchensiegel hat 1937 die Hochzeit meiner Eltern‚ 1938 den Tod meines Vaters und wenige Monate danach im August meine Taufe besiegelt. 1996 gelangte es durch einen wunderbaren Zufall in meine Hand: Beim Grillen an einer Waldhütte bei Bad Hersfeld machte ich mit dem Vorsitzenden der Bad Hersfelder Bechterew-Selbsthilfegruppe, Johann Joost, einen kleinen Spaziergang. Ich bin seit Jahren sein Stellvertreter; und so hatten wir schon viel Gemeinsames hinter uns. Jetzt sprachen wir privat über Urlaubspläne und ich über unseren Plan, erneut in unser heimatliches Königsberg zu fahren. „Das möchte ich auch gern, da kommt nämlich mein Vater her“. Als ich nach dem Stadtteil und der Straße fragte, antwortete er, daß es nicht direkt Königsberg sei, sondern ein Dorf etwa 30 Kilometer entfernt – Groß Ottenhagen. Aber eine Schwester seiner Mutter in einem Altersheim bei Bremerhaven, Tante Anna, die könne er über Einzelheiten befragen. Am selben Abend noch rief er mich an:

„Meine Tante Anna ist auch deine Tante Anna, und sie hat uns zum Wochenende eingeladen.“ Wenige Monate danach, am 30. Dezember 1995, ist Anna Kraemer (geborene Wichmann) aus dem Ottenhagener Schmiedehof verstorben. Als Andenken habe ich von ihr den Ehering ihres Mannes (Carl August) erhalten, von der Größe her erahnt man die kräftige Hand eines Schmiedes, und das Ottenhagener Kirchensiegel, das sie als Küsterstochter doch nicht in die Hände der Russen fallen lassen konnte. Sie hatte es deshalb an sich genommen und in den schweren Jahren ihrer russischen Internierung im Nachkriegsostpreußen bei Razzien oder sonstiger Gefahr an ihrer Brust versteckt.

Zum Jahrestreffen der Otten-hagener 1996 in Weiterode bei Bad Hersfeld haben Johann Joost und ich für jeden Teilnehmer

mit diesem ehrwürdigen heimatlichen Kirchensiegel ein Lese-zeichen angefertigt und darauf kurz seinen Nachkriegsweg vermerkt. Nun soll das Ottenhagener Kirchensiegel, nachdem es auch von unserem hiesigen

Pfarrer mit Interesse betrachtet wurde, auf Anregung von Gisela Broschei, Vorsitzende der Ottenhagener, als Museumsstück in den Besitz der Heimatkreis-gemeinschaft Landkreis Königsberg, Preußenmuseum Nord-rhein-Westfalen, Simeonsplatz

12 in Minden, übergeben werden. Peter Kraemer

Schicksale hatte es besiegelt, nun steht es im Museum

Vom Verborgenen ins Licht: Kirchensiegel Ottenhagen


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren