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21.01.05 / Ein bißchen mehr Preußen / Der Staat verschuldet sich immer mehr, doch keiner will die Verantwortung für morgen übernehmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Januar 2006

Ein bißchen mehr Preußen
Der Staat verschuldet sich immer mehr, doch keiner will die Verantwortung für morgen übernehmen
von Herbert Kremp

Was für ein Staat kann richten, was der alte Staat angerichtet hat – die Verschuldung über die Unterlippe, die Gefälligkeitsgewährung bis zur Kassenpleite, das Aufblähen der Sozialhaushalte bis zum „Platzen“ der Systeme? Mit der Folge, daß eine staatspsychiatrische Mentalitätsbehandlung erforderlich ist, die Umkehrung des ins Splendide definierten Reformbegriffs (die Todesursache von Rot-Grün und des Agenda-Kanzlers), der schneidend-schneidige Angriff gegen die Vetomächte in einem Zweifrontenkrieg: Die Haben-wollen-Lobbyisten hier, der Sankt-Florians-Großverband der Belastung des jeweils anderen dort.

Im Grunde ist es in Deutschland so: Der Staat, wie er sich in seiner Gründerzeit nach 1949 verstand, und der Staat, wie er heute dasteht, sind inkompatibel. Adenauer begründete den ersten großen Finanzausreißer von 1957, die dynamische Rente (kurz vor der Wahl), mit dem hintergründigen Hinweis im Bonner Presseklub, man müsse doch alles tun, damit „die Deutschen nicht wieder böse werden“.

Willy Brandt wollte seit 1969 die gerechte und möglichst gleiche Gesellschaft durch Grundreform des Staates, was seinen Finanzminister Schiller das Handtuch werfen ließ. Helmut Kohl regierte während einer langen Hochkonjunktur, die zu politischer Untätigkeit verführt. Erst Schröder stand vor glühendroten Zahlen, mußte revidieren und geriet darob bei den Seinen in ein Abseits, das der Verfassungsrichter Di Fabio in seinem Plädoyer für die Neuwahlen andeutete, dessen vollen Ernst wir aber erst aus den Memoiren erfahren werden.

Daß der Staat für sein Handeln verantwortlich ist (und nicht die Begehrlichkeit der Alimentierten), weiß fast jeder. Daß daraus die Schlußfolgerung gezogen werden könnte, er möge sich künftig gefälligst etwas zurücknehmen, weil er ein erwiesen verführbarer Dauersünder ist, scheint auf wenig Verständnis zu stoßen. Es ist die Frage an die Staatsbürger: Wollen sie eine freie Bürgergesellschaft bilden, die sich in weiten Feldern selbst verantwortet, wozu nicht nur die Haushaltsfähigkeit gehört, oder sind sie eher geneigt, ja sogar entschlossen, den Staat als Institution und Kurator in die Pflicht zu nehmen, für alles und jeden zu sorgen? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat sich dieser Tage dazu in einem Vortrag kompetent geäußert. Seine Antwort ist ein bürgerskeptisches „Preußen light“.

Die Pflicht des Staates, für seine eigene Handlungsfähigkeit zu sorgen, den ruinierten Haushalt zu sanieren, wirklich große Lebensrisiken abzusichern, von dem Geld, das des Kaisers ist, nicht 14 Prozent in die Vergangenheit und nur neun in die Zukunft zu investieren, sondern das Verhältnis mindestens umzukehren, ist unbestritten. Aber andernorts als erfolgreich erwiesene Deregulierung als „Fliehkraft von der Solidarität“ zu deuten und jene Solidarität, die der Staat nicht generieren kann, zu seiner Haupttugend als fairer Verteiler zu erklären spricht für besserwisserische Obrigkeit.

Dazu gehört auch die „Großzügigkeit“ des milden Hegemonen, neben dem Festungsareal des Steuer- und Abgabenstaates einen „Raum des Wagnisses“ (Stein-brück) zu dulden.

Obrigkeit hat Tradition in Deutschland – der Beweis jedoch, daß behördliche Kartellmethodik große Investitionsströme auf sich zieht, wurde nicht erbracht. Offenkundige Staatspleite ist kein guter Anlaß, den starken Staat zu fordern, wie es Schröder und nun auch seinen Nachfolgern auf den Lippen liegt. Müßte der Staat, um das Wort eines weisen Bundespräsidenten zu zitieren, nicht „in sich gehen“? Regt große Staatstätigkeit den Bürger an, oder verleitet sie ihn zur Untätigkeit? Wer die Zeit nicht verschlief, registriert gespenstische Erscheinungen. Angela Merkel bewarb sich im Wahlkampf mit liberalen Empfehlungen. Als Kanzlerin entbot sie den Freiheitsgruß. Als Parteichefin mit marginal gewonnener Wahl fordert sie neue Gerechtigkeit. Im Amt legt sie ein keynesianisches Anschubprogramm auf. Und im nächsten Jahre sollen mit Mehrwert- und Versicherungssteuer die Resultate eines generierten Wachstums und der guten Laune zur Haushaltssanierung abgeschöpft werden.

Dies erklärt den neuen Preußen-Zug des Regierens, die Suche nach Staatsharmonie im Gebaren und sanfter Erklärung des Staatsnotwendigen. Der Bürger ist zu versorgen. Allein oder gar souverän, so die Lehre, kann er das nicht. Die Globalisierung, der alle Übel geschuldet sind und die das Fundament des alten, nicht mehr finanzierbaren Staates annagte, erhält eine geschichtspolitisch staunenswerte Erwiderung: Der Staat ist da, ungeschmälert und zur Beruhigung der Bürger. Er lächelt, regelt und nimmt. Ob er sich selbst karg bemißt, wie im historischen Preußen – das allerdings ist ein weites Feld, Luise.

Herbert Kremp ist einer der bekanntesten deutschen Journalisten. Er war Chefredakteur („Rheinische Post“, „Die Welt“), Korrespondent in China und in Brüssel (Nato, EU). Dieser Beitrag erschien in der „Welt“. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Verleitet eine große Staatstätigkeit den Bürger zu Untätigkeit?

Aus Merkels liberalen Versprechen wurde das Gegenteil


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