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21.01.05 / "Unbeschreibliches Schauspiel" / Die Geschichte des Deutschen Kapitols in Rom fasziniert nicht nur Historiker

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Januar 2006

"Unbeschreibliches Schauspiel"
Die Geschichte des Deutschen Kapitols in Rom fasziniert nicht nur Historiker
von silke Osman

Ein Felsen mitten in Rom schrieb einst preußische Geschichte. Zuvor jedoch war er in der Antike als Hinrichtungsstätte genutzt worden, indem man die Delinquenten kurzerhand in den Abgrund stürzte. Zu Zeiten des deutschen Gelehrten Ferdinand Gregorovius sah dieser grausige Ort allerdings romantischer aus. Er beschrieb den Tarpejischen Felsen als einen „Berg mit zahlreichen Ruinen von Säulen, Portiken und Mauern zwischen Weingärten, kleinen Häusern und einigen engen Gassen“, die „ein unbeschreibliches Schauspiel der Versunkenheit“ darboten.

Man schrieb den 2. Oktober 1852, als der Neidenburger, der sich selbst als einen historische Studien treibenden Schriftsteller sah, seinen Fuß auf römischen Boden setzte. Heute erinnert eine Gedenktafel an seinem Wohnhaus in der Via Gregoriana an den Ostpreußen und Verfasser der „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“. Aus Enttäuschung über die gescheiterte 1848er Revolution in seiner Heimat und um seinen Freund, den Maler Ludwig Bornträger, in Italien zu besuchen, hatte sich Gregorovius am 2. April 1852 auf den Weg gemacht. Bornträger allerdings war drei Tage später in Pisa gestorben, und so ging Gregorovius zunächst nach Korsika. – „Korsika“, so der Ostpreuße in seinen Tagebuchaufzeichnungen, „entriß mich meinen Bekümmernissen, es reinigte und stärkte mein Gemüt; es befreite mich durch die erste Arbeit, deren Stoff ich der großen Natur und dem Leben selbst abgewonnen hatte, es hat mir dann den festen Boden unter die Füße gestellt ...“ Als Ferdinand Gregorovius dann am

2. Oktober 1852 („4 1/2 nachmittags“) Rom erreichte und im Hotel Cesari am Corso abstieg, führte ihn sein erster Weg auf das Kapitol und auf das Forum – „noch spät ins Kolosseum, darüber der Mond stand. Worte habe ich nicht zu sagen, was da alles auf mich einstürmte ...“ Nahezu auf den Tag genau zwei Jahre später traf der Ostpreuße einen folgenschweren Entschluß: „Ich beabsichtigte, die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter zu schreiben ... Ich faßte den Gedanken dazu, ergriffen vom Anblick der Stadt, wie sich dieselbe von der Inselbrücke S. Bartolomeo darstellt. Ich muß etwas Großes unternehmen, was meinem Leben Inhalt gäbe. Den Plan teilte ich dem Dr. Braun mit, dem Sekretär des Archäologischen Instituts. Er wurde aufmerksam und sagte dann: ,Dies ist ein Versuch, an dem jeder scheitern muß‘.“

Zwei Jahrzehnte später war diese Arbeit abgeschlossen. Vom Vatikan allerdings wurde sie nicht begeistert aufgenommen, sondern vielmehr auf den Index gesetzt – „ein Pfeil, weniger gegen mich als ge-gen Preußen“, wie Gregorovius bemerkte. „Ich bedachte alle meine Mühen, meine Leiden und Freuden, meine große Leidenschaft, was alles ich in mein Werk versenkt hatte, und ich pries die guten Genien, welche über mir gewacht zu haben schienen, daß ich es ungestört vollendete ...“ Die Krönung dieser Arbeit schließlich war die Verleihung der Ehrenbürgerwürde der Stadt Rom im Jahr 1876 – an einen Deutschen und Protestanten, in damaliger Zeit schon eine kleine Sensation.

Doch zurück zu dem Ausgangspunkt der Geschichte, zurück zum Tarpejischen Felsen. Für jeden humanistisch Gebildeten ist dieser Felsen „ein Symbol für Verrat, Sturz, Fall und Ende“, schreibt Golo Maurer in seinem bei Schnell & Steiner, Regensburg, erschienenen Buch Preußen am Tarpejischen Felsen – Chronik eines absehbaren Sturzes. Die Geschichte des Deutschen Kapitols in Rom 1817–1918 (320 Seiten mit zahlr. sw Abb., gebunden, 39,90 Euro). Und ausgerechnet im Palazzo

Caffarelli, der sich auf dem geschichtsträchtigen Felsen befand, errichtete Preußen seine Gesandschaft in Rom. Maurer: „Das erstarkende Preußen sowie das zur Weltmacht aufsteigende Deutsche Reich hätten in der geschichtlichen Topographie Roms für seine diplomatischen und kulturellen Vertretungen keine prekärere Stelle finden können.“ 1854 von König Friedrich Wilhelm IV. gekauft, wurde das Gebäude 1918 durch Dekret der italienischen Regierung enteignet. Nach Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen 1920 erhielt Deutschland vier Jahre später das Eigentumsrecht am Palazzo Caffarelli wieder zurück; 1925 allerdings wurde er schließlich verkauft. Heute ist die Villa Almone „in einem schmalen, von breiten Schnellstraßen bestrichenen Gartengrundstück“ Residenz des deutschen Botschafters in Rom.

Maurer beschreibt in seinem Buch die spannende Geschichte der Beziehungen zwischen Preußen und Italien, eine 100jährige Geschichte, die keineswegs frei war von Spannungen und Auseinandersetzungen. Mit der Ortswahl habe Preußen durchaus den Nerv der Zeit getroffen, so Maurer, war man doch im 19. Jahrhundert bestrebt, „die eigene Existenz durch immer plakativere, immer ekklektischer zusammengesuchte, historische Reminiszenzen darzustellen. Ein erzhistorisches und dazu noch so schauriges Requisit wie der Tarpejische Felsen bediente obendrein das lustvolle Interesse, welches die gebildeten Stände seit dem späten 18. Jahrhundert an ihren sicheren Schreibtischen und Staffeleien für die Abgründe von Mensch, Natur und Geschichte entwickelten. So ist es kein Wunder, daß der Tarpejische Felsen, wo die gefallenen Helden des antiken Rom in den Tod gestürzt wurden, als eine Art antikes Waterloo zum feststehenden Programmpunkt jeder Bildungsreise wurde.“ Die Einheimischen, weiß Maurer, waren nicht so fasziniert von dem Horrorfelsen, wie man ihn heute sicherlich in der Boulevardpresse nennen würde, sie nannten ihn schlicht „Monte Caprino“ – „Ziegenberg“. Heute ist von dem Tarpejischen Felsen als Teil des Kapitols kaum noch etwas zu sehen. Das „Deutsche Kapitol“ mit seinen über 20000 Quadratmetern, auf denen sich die Botschaft, die protestantische Kapelle, das Deutsche Archäologische Institut, das deutsche Krankenhaus sowie das Preußische Historische Institut befanden, ist dieser Tage allenfalls noch Historikern und Romkennern ein Begriff. Golo Maurer hat mit seinem Buch ein Kapitel preußischer Geschichte aufgeschlagen, das nicht nur für Fachleute äußerst spannend ist.


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