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28.01.06 / Das Gesundheitswesen – ein todkranker Patient

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Januar 2006

Hans-Jürgen Mahlitz:
Das Gesundheitswesen – ein todkranker Patient

Von den ominösen ersten hundert Tagen sind zwar gerade mal erst zwei Drittel vorüber, aber schon kracht es gewaltig im schwarz-roten Gebälk. Der bravouröse Durchmarsch der Bundeskanzlerin auf Rang 1 der Polit-Promi-Beliebtheitsliste, jahrzehntelang Stammplatz gelber und grüner (Ex-)Außenminister, Frau Merkel also auf den Spuren Genschers und Fischers – das macht sich zwar gut in den Massenmedien, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Sollbruchstellen der großen Koalition bereits deutlich erkennbar werden.

Im Moment streiten sich Christ- und Sozialdemokraten – auch innerhalb der eigenen Reihen – vehement über die Familienpolitik. Die Linken grapschen den noch nicht ganz so Linken das eine oder andere ihrer Lieblingsthemen weg und gerieren sich partiell als Hüter der traditionellen Familie, die ehemals Rechten profilieren sich als „neue Mitte“, indem sie alle anderen mit Vollgas links überholen wollen.

Und während die Nach-Schröder-SPD noch so tut, als sei es eine ihrer leichtesten Übungen, die alte sozialistische Mottenkiste mit einem kräftigen marktwirtschaftlichen Deckel unter Verschluß zu halten (als ob ihr Strahlemann-Kanzler nicht genau daran gescheitert wäre!), probt die Merkel-CDU munter die Sozialdemokratisierung der Union. Am Ende wird man sich auf einen Kompromiß einzustellen haben: Die CDU rudert ein Stückchen zurück in Richtung Mitte, die SPD entsinnt sich zaghaft einiger ihrer linken Traditionen – daß sich zwei irgendwie ja auch weltanschaulich geprägte Volksparteien einmal so treffen könnten, hätte man sich vor einigen Jahren noch nicht vorstellen können.

Ob dieses Rezept, so es denn bei der Familienpolitik noch hinhaut, auch beim nächsten, noch brisanteren Streitthema aufgeht, darf bezweifelt werden. Irgendwann nämlich wird diese Große Koalition der überfälligen Reform des Gesundheitswesens nicht mehr ausweichen können. Denn dieses „Wesen“ ist so krank, daß ein Dahinwarten (oder Dahinsiechen) bis zur nächsten Legislaturperiode mit vielleicht leichteren Mehrheiten zur tödlichen Gefahr geraten könnte. Dies übrigens in durchaus wörtlichem Sinne – es geht schließlich, was Politiker oft vergessen, um kranke Menschen.

Die Diagnose, Voraussetzung eines jeden Heilungsversuchs, ist eindeutig: Mißstände, wohin man auch blickt. Die Arbeitsbedingungen in Kliniken und Arztpraxen sind unzumutbar, sowohl für das Personal als auch für die Patienten. Was noch an Motivation, Kreativität und Einsatzfreude vorhanden ist, wird erstickt durch ein Übermaß an Bürokratie; Abhilfe ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Merkwürdigerweise beginnen alle Versuche, Bürokratie abzubauen, mit dem Aufbau neuer bürokratischer Strukturen. Finanzierbar ist das System ohnehin nicht mehr.

Weitere Neuigkeiten aus Absurdistan: Die Ärzte verdienen immer weniger, dennoch steigen die Ausgaben der Kassen. Mit jedem politischen Pseudo-Reformschritt zur Reduzierung der Beiträge steigen diese weiter an. Dennoch leisten wir uns über 250 selbständige Krankenkassen, mit Vorständen, Beiräten und sonstigen zumeist überflüssigen Gremien. Und statt gemeinsam den Karren aus dem Dreck zu ziehen, schimpft jeder über jeden: die Gesundheitsministerin (deren gravierendste politische Altlast sie selbst ist) über die Ärzte, die Ärzte über die Kassen, die Kassen über die Pharmakonzerne, diese wiederum über die Gesundheitsministerin. Und alle gemeinsam über die Patienten, die angeblich so unvernünftig und verschwendungssüchtig sind.

Diese, also die im engeren Sinne Leidtragenden, wollen natürlich auch nicht abseits stehen. Also schimpfen die Kassenpatienten auf die vermeintlich privilegierten Privatversicherten. Die hingegen fühlen sich von der AOK-Klientel ausgebeutet und pochen darauf, für deutlich höhere Beiträge und Zuzahlungen wenigstens geringfügig bessere Leistungen beanspruchen zu dürfen.

Einig sind sich alle nur in einem einzigen Punkt: Sie selber sind an all diesen Mißständen und Fehlentwicklungen natürlich völlig unschuldig. Folglich müssen die unvermeidlichen Reformen nicht zu Lasten aller, sondern zu Lasten aller anderen gehen.

So groß aber kann keine Koalition sein, daß sie gegen ein solches Übermaß an blankem Egoismus ankommen könnte. Solange wir nicht akzeptieren, daß die Gesundheit des Menschen höchstes Gut ist, folglich jeder damit sorgsam umzugehen und seinen angemessen Teil zur Sanierung beizusteuern hat, wird das Reformwerk nicht gelingen. Und daran droht mehr zu zerbrechen als nur eine große Koalition.


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