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28.01.06 / Gedanken zur Zeit: / Abriß des Palastes ist auch Geschichtslosigkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Januar 2006

Gedanken zur Zeit:
Abriß des Palastes ist auch Geschichtslosigkeit
von Wilfried Böhm

In ihrem Sitzungssaal im Palast der Republik faßte die erste und einzige frei gewählte Volkskammer der DDR in den Morgenstunden des 23. August 1990 den Beschluß zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 3. Oktober 1990. Das war ein historisches Ereignis für Deutschland und Europa. Es war die konstitutive Vollendung der staatlichen Einheit der Teile Deutschlands, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom Deutschen Reich faktisch übriggeblieben waren, und das Ende schmerzlicher Trennung. Dieser Beschluß war zugleich der Sieg der friedlichen Deutschen Revolution des Jahres 1989, die vom „Wir sind das Volk“ zum „Wir sind ein Volk“ der deutschen Geschichte Rechnung trug. Sie ist darüber hinaus für den Gang der Weltgeschichte vom Rang und der Bedeutung der Amerikanischen (1776), der Französischen (1789) und der Russischen (1917) Revolutionen. Daß diese Revolution im Deutschland zwischen Rügen und dem Thüringer Wald friedlich und nicht blutig verlief, gibt ihr obendrein einen hohen moralischen Rang, denn sie siegte ohne Kanonen, ohne Guillotine und brachte nicht mörderischen Klassenkampf und Genickschuß.

Unter dem Druck der Massendemonstrationen und der Massenflucht hatte die 9. Volkskammer, die noch durch kommunistische Scheinwahlen mit der Einheitsliste der Nationalen Front zustande gekommen war, am 1. Dezember 1989 beschlossen, „die führende Rolle der SED“ in der Verfassung zu streichen, und sich am 1. Februar 1990 zur Einheit Deutschlands bekannt. Nach der ersten freien und geheimen Wahl in der DDR zur 10. Volkskammer am 18. März 1990, aus der bei einer Wahlbeteiligung von 93,93 Prozent die „Allianz für Deutschland“ (CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch) als stärkste Kraft hervorging, bewältigte diese Volkskammer ein gewaltiges Arbeitspensum und beschloß schließlich am 23. Au-gust 1990 in ihrem Sitzungssaal im Palast der Republik mit 294 gegen 62 Stimmen den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 des Grundgesetzes zum 3. Oktober 1990, faßte also die historische Entscheidung zur Wiedervereinigung.

15 Jahre später geht es nun dem Palast der Republik, oder vielmehr seinen verbliebenen und heruntergekommenen Resten, endgültig an den Kragen. Viele frühere Bürger der DDR verbinden mit ihm persönliche Erinnerungen nicht nur an eine kommunistische Zwingburg, sondern auch an viele erbauliche und vergnügliche private Ereignisse.

Nicht von ungefähr belegte die sprichwörtliche Berliner Schnauze den Palast wegen seiner Unzahl an Beleuchtungskörpern mit dem Namen „Erichs Lampenladen“.

Nun kann man gewiß um höherer Ziele willen auf diese private Erinnerungsstätte verzichten. Solcher Verzicht wird allenthalben verlangt, wo Altes Neuem weichen muß. Geschichtlich unersetzbar allerdings ist der Teil des Palasts der Republik, in dem die frei gewählte Volkskammer ihre Beschlüsse zur deutschen Einheit faßte. Doch auch der soll nunmehr abgerissen werden, obwohl in den Jahren 1998 bis 2001 – wie im gesamten mittlerweile schäbigen Koloß – eine Asbestbeseitigung mit hohem finanziellen Aufwand erfolgte. Der Deutsche Bundestag hat am 19. Januar 2006 eine Art „Gnadengesuch“ abgelehnt und sich in namentlicher Abstimmung zu seinem Abrißbeschluß aus dem Jahr 2003 bekannt. Bei soviel Geschichtslosigkeit fühlt man sich an den Abriß des alten Plenarsaals des Bundestages in Bonn erinnert, wo in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Theodor Heuß und die Frauen und Männer ihrer Politikergeneration die Weichen für Freiheit und Demokratie stellten. Man fragt sich, ob in anderen Ländern eine gleiche Respektlosigkeit gegenüber geschichtlich bedeutungsvolle Stätten denkbar wäre.

Was nun in Berlin kommt, bleibt ungewiß: Der Palast der Republik – und mit ihm der Plenarsaal der Volkskammer – ist in einen unheilvollen Gegensatz zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses gebracht worden, dessen Ruinen 1950 der SED-Chef Walter Ulbricht sprengen ließ. Ohne zu prüfen, ob der Volkskammer-Plenarsaal allein ohne die übrigen Teile des Palasts als nationales Denkmal erhalten werden könnte, wurde die Alternative Wiedererrichtung des Schlosses oder Palast der Republik zum Dogmenstreit.

Dabei ist an eine Wiedererrichtung des Schlosses in seiner alten Form gar nicht gedacht. Statt dessen soll auf diesem Areal ein Humboldt-Forum nur mit den barocken Fassaden des historischen Berliner Stadtschlosses errichtet werden, in das unter anderen die außereuropäischen Sammlungen der staatlichen Museen in Dahlem, die wissenschaftlichen Sammlungen der benachbarten Humboldt-Universität sowie Bibliotheken einziehen sollen.

Dadurch soll der städtebaulich faszinierende Eindruck der historischen Berliner Mitte wieder hergestellt werden. Der Neubau auf dem Schloßplatz sei jedoch erst vom Jahr 2012 an realistisch, hatte vor dem Bundestagsbeschluß Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) in der Wochenzeitung „Die Zeit“ wissen lassen und gleichzeitig mitgeteilt, daß die Gesamtkosten für diesen Neubau bei bis zu 1,2 Milliarden Euro liegen könnten. Während Tiefensees Vorgänger Manfred Stolpe (SPD) noch vor einem halben Jahr angekündigt hatte, der Schloßneubau könne 2007 beginnen, hieß es nun von Tiefensee „vor 2012 könne nicht mit dem Bau begonnen werden“. Das bedeute, daß „vor 2018, 2020 das Humboldt-Forum kaum eröffnet werden könne“.

Angesichts dieser Fakten wird es nun bald für lange Zeit auf diesem Areal wieder so aussehen, wie in der Zeit von 1950 bis 1976, also von der Sprengung der Ruine des Schlosses durch Ulbricht bis zur Fertigstellung des Palasts als „Visitenkarte des Sozialismus“, zu dem Erich Honecker 1973 den Grundstein gelegt hatte. Bestenfalls wird ein Grünfläche das kalte und brache „Herz von Berlin-Mitte“ verschönern.

Die Möglichkeit, die großartigen Barockfassaden vor einem Humboldt-Forum aufzuziehen, das nicht grundrißgenau auf dem Standort des Schlosses steht, aber zugleich den Erhalt des Plenarsaal-Traktes des Palasts möglich macht, ist nicht ernsthaft geprüft worden. Das Argument von der unästhetischen städtebaulichen Wirkung des sozialistischen Bauwerks inmitten barocker Tradition ist irrelevant. Im Gegenteil, sein sozialistischer Stil entlarvt sich gerade dort geschichtswirksam selbst und zeigt die DDR, die er an dieser Stelle repräsentiert, genau so, wie sie in der deutschen Geschichte steht: Erst durch den vom Volk revolutionär erzwungenen neuen Inhalt wurde diese Form zu einer nationaler Größe und erhielt damit bleibende Bedeutung in der deutschen Geschichte.

Eine Revolution von hohem, moralischen Rang, Im Plenarsaal wurde Geschichte geschrieben


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