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28.01.06 / Auf den Spuren des 20. Juli / Wolf Wiechert zeigt seiner Familie Ostpreußen, wo er geboren ist / Teil III

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Januar 2006

Auf den Spuren des 20. Juli
Wolf Wiechert zeigt seiner Familie Ostpreußen, wo er geboren ist / Teil III

Gleich am Anfang des erfolgreichen und wichtigen Films „Der Untergang“ begibt sich Trautl Junge, deren Memoiren eine wesentliche Quelle für den Film darstellen, mit einigen anderen Mädels ins Führerhauptquartier Wolfsschanze, um sich als Sekretärin bei Adolf Hitler zu bewerben. Man sieht, daß sie mehrere bewaffnete Posten passieren muß, ehe sie ins Vorzimmer von Hitler gelangen kann. Es muß ein wahres Labyrinth von Kontrollen, Wegen und Gebäuden gewesen sein, dieses Führerhauptquartier – man kann es noch heute nachempfinden bei dem umfänglichen Versuch, es abgehen zu wollen. Die gesamte Fläche nahe Rastenburg umfaßt etwa 250 Hektar Mischwälder, Kiefernbestände und Sümpfe, zwischen denen die aufgerissenen Betonruinen liegen.

Hier entstand auf Befehl Hitlers von 1940 an der Befehlsstandort für die Wehrmacht im Krieg gegen die Sowjetunion. Entscheidend für den Standort war das Votum von Reichverkehrsminister Dr. Fritz Todt, dem sogenannten Autobahnkönig, der sich im nahen Kurhaus am Moysee öfters schon erholt hatte. 28000 Bauarbeiter waren damit bis 1944 beschäftigt. Fertig wurde das Bauwerk nie, denn im November 1944 verließ Hitler Ostpreußen. Er hatte kein halbes Jahr mehr zu leben. Im Januar 1945 wurde es von deutschen Pionieren gesprengt. Das heißt alles ließ sich nicht mehr ordnungsgemäß zerstören, obwohl an manchen Bunkern der Beton noch gar nicht richtig abgebunden hatte.

Eine monumentale Konstruktion ohnegleichen: Stahlbetonwände von sechs Metern, Decken bis zu acht Metern hielten selbst Treffern von 42-Zentimeter-Geschossen, von 1000-Pfund-Bomben (467 Kilogramm) oder sogar den amerikanischen 1800-Kilogramm-Bomben (Typ AN-M-56) stand. „Normale“ Bunker vom Typ „A“ (30 mal 27 Meter) kosteten etwa zwei Millionen Reichsmark, Hitlers „Kampfstand“ etwa das Zehnfache, die Gesamtkosten lagen bei über 80 Millionen Reichsmark, ein Fahrrad kostete damals ungefähr 30 Reichsmark, ein Auto 3200 Reichsmark. Selbst heute sind noch nicht alle Objekte erfaßt.

Überall unterwegs nach Rastenburg stehen Hinweisschilder mit dem Namen „Wolfsschanze“. Der Name ist geblieben, unverwechselbar, auch für die überwiegend polnischen Besucher, die hier Jahr für Jahr sich einfinden. Das Pseudonym Wolf benutzte Hitler als Soldat während des Ersten Weltkriegs. Auch bei den Wagnerenkeln Wieland und Wolfgang in Bayreuth hieß er immer Onkel Wolf.

Wenn die Wiecherts schon einmal in Ostpreußen sind, wollen sie neben den Spuren der Familiengeschichte auch dieses Relikt der nationalen Geschichte besuchen. Ihr ortskundiger Touristenführer ist ein gelernter Historiker des Jahrgangs 61 namens Zarzecki, der zwar deutsch spricht, aber nicht sehr verständlich. Zunächst verschafft er der Familie aus der Bundesrepublik einen sicheren Parkplatz auf dem riesigen Gelände. 50 Zloty, rund 13 Euro, verlangt der Reiseführer, der auch ein Buch über die Wolfsschanze geschrieben hat, für seine Führung. Unübersehbar sind auf dem fast tropisch feuchten Gelände die riesigen Bunkerteile, deren Mächtigkeit aus bemoostem Beton und verrosteten Eisenstäben die ganze Monumentalität der Anlage deutlich macht. Natürlich kommen die Wiecherts auch an der Stelle vorbei, wo die Lagebaracke stand, in der am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler scheiterte. Ein Denkmal aus Bronze in Form eines aufgeschlagenen Buchs weist in polnischer und deutscher Sprache auf das Ereignis hin. Am 20. Juli 1992, 48 Jahre nach dem Attentat, hat die feierliche Einweihung der Gedenktafel stattgefunden. Die drei Söhne Stauffenbergs nahmen daran teil, Sohn Berthold in Bundeswehruniform. Wohl zum ersten Mal nach dem Krieg wurde hier die deutsche Nationalhymne gespielt.

Heinrich von Lehndorff, der im Schloß Steinort am Mauersee lebte und auch zum Kreis um Stauffenberg gehörte, versuchte zunächst zu fliehen. Seine Schwägerin, Marion Gräfin Dönhoff, schreibt darüber: „Es war klar, daß es nur sehr kurze Zeit dauern konnte, bis man allen Beteiligten auf der Spur sein würde … Bleiben bedeutete den sicheren Tod, fliehen mochte für ihn die Rettung sein, was aber würden sie – die Schergen – mit seinen drei Kindern tun und mit seiner Frau, die in jenen Wochen ein viertes Kind erwartete … Am nächsten Tag fuhr ein Auto vor. Lehndorff stand gerade am Fenster und sah mit einem Blick, daß die, die da ausstiegen, Gestapo-Beamte waren … jetzt wußte er: von diesen da würde er sich nicht fangen lassen. Im Bruchteil einer Sekunde war er verschwunden. Niemand hatte gesehen, wie. Seine Frau nicht und auch die Leute nicht. Offenbar war er aus dem ersten Stock in den Park gesprungen und rannte nun dem See und dem schützenden Walde zu. Er rannte um sein Leben, denn wenige Minuten später hatten die Gestapisten mehrere Wolfshunde losgelassen … Da rief er plötzlich viele Stunden später von einem weit entfernten Vorwerk an, seine Frau möge ihn abholen.“ Der Grund: Er hatte Angst um seine Familie. Nach der Festnahme flieht er nochmals von Berlin aus, nach vier Tagen aber sind seine Füße so wund, daß er nicht mehr weiter kann, sie hatten ihm in Berlin die Schuhbänder abgenommen. Der Förster, bei dem er in der Gegend von Neustrelitz in Mecklenburg anklopfte, lieferte ihn schließlich aus. Seine drei kleinen Kinder kommen in ein Lager, unter anderen Namen, seine Frau in ein Straflager. Für ihn kommt dann am 4. September 1944 das Ende am Galgen von Plötzensee.

Das ging Wolf Wiechert durch den Kopf, als er mit seiner Familie am nächsten Tag das unweit von ihrem Feriendomizil gelegene Schloß Steinort am Mauersee aufsuchte. Sie hätten auch direkt über den Schwenzaitsee in den Mauersee mit dem Motorboot fahren können, aber dieses Boot ließ sich nicht so gut steuern und weil zudem einige Segelboote unterwegs waren, an denen sie hätten vorbeimanövrieren müssen, entschieden sie sich, um den See herum mit dem Auto zu fahren.

Steinort ist etwa seit 1400 im Besitz der Familie Lehndorff gewesen – in der Verleihung des Ordens war von einer „großen Wildnis“ die Rede. 1689 hatte Marie Eleonore, eine geborene Gräfin Dönhoff, die schon mit 25 Jahren verwitwet war, den Bau des Barockschlosses in Angriff genommen. Bis in unsere Tage hatten sich sämtliche Abrechnungen erhalten und waren Zeugnis für das kühne Unterfangen, in jener Zeit mit örtlichen Handwerkern ein solches Gebäude zu errichten. Zuletzt umfaßte der Familienbetrieb Steinort am Mauersee 25000 Morgen, also gut 8000 Hektar.

„Es gab viele schöne Besitze in Ostpreußen, aber kaum einen zweiten in so unberührter, großartiger Landschaft. Ein verträumter und leicht verwilderter Park mit vielhundertjährigen Eichenalleen führte vom Schloß herunter zu dem größten der Masurischen Seen, in dessen Schilf wilde Schwäne brüteten und Tausende von Enten, Möwen und Bleßhühnern hausten. Die letzten Seeadler zogen dort ihre Kreise. Es war, als hätte die Zeit stillgestanden: fünfzig, hundert Jahre oder länger? Der kleine Empire-Gartenpavillon, um 1800 gebaut, schien gerade eben erst einer Gesellschaft von Krinolinen und grauen Zylindern als Teehäuschen gedient zu haben. Noch hingen an einigen alten Bäumen jene Tafeln, die man damals, im frühen 19. Jahrhundert, seinen Freunden zu widmen pflegte“, schreibt Gräfin Dönhoff.

Natürlich hängen heute keine Tafeln mehr an den alten Bäumen, und der Pavillon ist auch längst dahin. Aber viele der alten Eichen stehen noch, gepflanzt im Dreißigjährigen Krieg, in einem restlos verwahrlosten Park, und auch das Schloß ist noch zu sehen, allerdings in einem bedauernswerten Zustand. Aber es läßt sich für die Zukunft durchaus denken, daß sich hier etwas tut. Einige der umstehenden Wirtschaftsgebäude sind oder werden restauriert, wohl als Unterstand für die Boote und Jachten, die eine polnische Gesellschaft hier verleiht. Es kommen zunehmend Touristen hierher oder es siedeln sich vermögende Leute aus Warschau an.

Wulf Wiechert nimmt sich unter anderem einen Eichen- und zwei Ebereschenschößlinge mit, um sie in seinen Wald zu setzen in der Hoffnung, sie mögen konkret und symbolisch Wurzeln schlagen, Lehndorffeichen und -ebereschen im fränkischen Wald.

Vor Heinrich von Lehndorff verbrachte hier im Schloß sein Onkel Carol, ein unvergleichliches Original, nach langen Auslandsaufenthalten seine letzten Jahrzehnte. Er starb 1936. Im Jahr zuvor hatten die örtlichen Parteigrößen aus irgendeinem Anlaß ein großes Volksfest in Steinort veranstaltet. Carol Lehndorff, der aufgefordert wurde, eine Rede an „sein Volk“ und auf den „Führer“ zu halten, trat auf den Balkon heraus, sprach einige Worte und schloß mit dem Ruf: „Heil …? Donnerwetter, wie heißt der Kerl doch gleich?“ Nach einigen Sekunden der Ratlosigkeit: „Na, denn Waidmannsheil!“

Als 1945 die Russen kamen, so erzählt den Wiecherts ihr Wirt, übergab der Verwalter das Herrenhaus Steinort völlig unversehrt an einen sowjetischen General in der Hoffnung, der werde es vor Plünderung und Verwahrlosung bewahren. Vergeblich. W.W.

Wolf Wiechert mit seinen Kindern in der Wolfsschanze Foto: Wiechert

Denkmal zur Erinnerung an den 20. Juli mit der links polnischen und rechts deutschen Inschrift: „Hier stand die Baracke, in der am 20. Juli 1944 Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein Attentat auf Adolf Hitler unternahm. Er und viele andere, die sich gegen die nationalsozialistische Diktatur erhoben hatten, bezahlten mit ihrem Leben.“ Foto: Wiechert


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