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04.03.06 / Nicht für das "Volk" gemacht / Die Initiatoren der Kampagne "Du bist Deutschland" ziehen eine gemischte Bilanz

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Nicht für das "Volk" gemacht
Die Initiatoren der Kampagne "Du bist Deutschland" ziehen eine gemischte Bilanz
von Peter Hild

Der Vorortzug fährt ein nach "Börlinn-Friedrichstraße". Als ob der einzige Englischsprachige im Zug den Namen der deutschen Hauptstadt nicht in der Mehrheitssprache seiner Einwohner verstünde. Aus Deutsch wurde Bundesrepublikanisch. In der wiederaufgebauten Stadtkommandantur von Berlin gegenüber des Zeughauses befindet sich heute die Repräsentanz der Bertelsmann AG. Nach fünf Monaten Einsatz der Kampagne "Du bist Deutschland" zogen die sieben Gesichter des Duzens hinter historischer, potemkinscher Fassade Bilanz. Im Herbst 2004 wurde die Idee geboren. Der Start erfolgte am 26. September 2005. Den Zwei-Minuten-Film mit den Aussagen einiger Prominenter sahen am ersten Abend 17 Millionen Zuschauer. Also jeder vierte Deutsche. Aus anfänglich 25 beteiligten Medienunternehmen sind mittlerweile über 100 geworden. 32 Millionen Euro wurden in der Medienkampagne "pro bono" eingesetzt. Aber alle Beteiligten an der Werbung für ein besseres Selbstverständnis der Nation machten keinen Verdienst. Kameraleute wurden natürlich bezahlt. Und die Sachkosten. Dr. Gunter Thielen, der Initiator der Kampagne und Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, bezeichnete "Du bist Deutschland" als "einzigartigen Schulterschluß" für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Er wollte zeigen, daß man auch einmal unentgeltlich für ein gemeinsames Ziel begeistern kann. Und Organisator Bernd Bauer, ehemaliger Kommunikationschef der Bertelsmann AG, pflichtet ihm bei: "Endlich macht da mal jemand etwas gegen die schlechte Stimmung im Land." Tatsächlich verbinden im eigenen Land noch viel zu viele Menschen mit Deutschland in erster Linie Negatives. Das Ausland sieht dies mittlerweile und glücklicherweise anders. Und vielleicht hat auch die Kampagne "Du bist Deutschland" einen Teil dazu beigetragen. Aufbruchstimmung in Deutschland. Trotz millionenfacher Arbeitslosigkeit. Oder gerade deswegen? Der vielfach angemahnte Herzogsche "Ruck" kann durch das Volk nicht gehen, wenn stets nur die wenig greifbare Gesellschaft angesprochen wird. Damit kann sich kaum jemand identifizieren.

Alle sechs Herren tragen einfallslose Einheitsjäckchen. Nur die Quotenfrau Dr. Antonella Mei-Pochtler, Geschäftsführerin von ‚The Boston Consulting Group' bringt mit einem kräftigen Rot etwas Stimmung in die weltmännisch wirkende Liga - eigenartigerweise wird sie von dem graumelierten Bauer gesiezt. Sonst duzt man sich auch auf dem Podium. Mei-Pochtler sieht ihre Arbeit für die Kampagne ebenfalls als "Beitrag der Kreativen". Nur Oliver Voss, der die Kampagne kreiert hat, lockert die steife, etwas kalt wirkende Gesellschaft auf: Beethoven-Frisur, keine Krawatte, natürlich und deswegen sympathisch wirkend. Siegfried Högl, moosfarbener Krawattenträger und Sprecher der Geschäftsführung der GfK-Marktforschung GmbH, er steht für die "Custom Research". Wie überhaupt viel gedenglischt wird. Die negativen Umfrageergebnisse werden schnell unter den Teppich gekehrt. 27 Prozent der von seinem Institut Befragten fühlten sich durch die Kampagne motiviert, 43 Prozent aber eben nicht. Er stellt das positive Bekanntheitsbild dar, welches sich von anfänglichen zwölf Prozent (im September 2005) auf bis zu 58 Prozent (im Januar 2006) steigerte. Bei Dr. Antonella Mei-Pochtler merkt man, daß die Karrierefrau es nötig hätte, einen Deutsch-Kursus mitzumachen. Es gibt auch deutsche Begriffe für "message" oder "right on target", um die Initiative zu beschreiben.

Es sei viel Gegenwind spürbar gewesen. Sowohl von jenen, die sich am Duzen störten, als auch von solchen, denen beim Wort Deutschland der Schrecken in die Knochen fahre. Am besten karikierte der TV-Moderator Stefan Raab die Schwachpunkte durch einen integrationsunwilligen Türken, den er im Gegen-Film sagen läßt: "Ich nix Deutschland - ich Türke!"

Lars Cords, Leiter des Presse- und Kampagnenbüros, berichtete von 2500 bislang über die Aktion erschienenen Artikeln und Beiträgen im Fernsehen und Radio. Er führte einige Gegen-Kampagnen an. "Ich bin Elmshorn" oder die "taz"-Schlagzeile mit dem Bild Münteferings: "Du bist SPD." Cords führte auch die Ängste der Kampagnenmacher auf: Wie reagiert das Ausland? Als ob man dort ähnlich rücksichtsvoll denken würde! Im Gegenteil. Im Ausland nahm man "Du bist Deutschland" in erster Linie als erfrischend wahr. Endlich wachen die Deutschen auf und stehen zu ihrem Land! Dr. Michael Trautmann, Werbeagentur-Geschäftsführer von ‚kempertrautmann', steht für die strategische Entwicklung und Beratung der Kampagne "Du bist Deutschland". Er ist ehrlich mit der Aussage "Wir sind nicht angetreten, das Land zu verbessern. Wir wollten einen Impuls geben." Bei allem Negativen, das man über die Kampagne sagen kann, ähnlich viele positive Seiten hatte dieser Versuch ebenso. Auch in konservativen Kreisen wächst dieses Bewußtsein.

In der sich anschließenden Fragerunde mußten sich die sieben führenden Köpfe teilweise unangenehme Fragen gefallen lassen. Nirgends taucht in dem Werbefilm oder in den Anzeigen der Kampagne Staatstragendes auf. Keine Uniform. Keine Fahne. Kein identitätsstiftendes Signum. Kein Repräsentant. Andere Journalisten bemängelten, daß "Du bist Deutschland" nicht die Unterschicht und auch wenig die Mittelschicht anspreche. Das Internet sei auch nicht für jedermann, sondern stehe mehr den Jüngeren, Technikbegeisterten zur Verfügung. Auf Radiowerbung habe man gänzlich verzichtet. Diesen Fehler gestand man ein. Unzureichend erschien die Antwort auf die Frage, warum in dem Werbefilm kein einziges mal das Wort "Volk" vorkomme. "Wir wollen uns nicht an das Volk wenden", so Thielen, sondern der einzelne, das Individuum sei angesprochen. Da haben wir sie aber wieder, die nachkriegsdeutsche Identitätsvergessenheit, der doch die Kampagne "Du bist Deutschland" entgegenwirken wollte.


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