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04.03.06 / Jenseits vom Glamour / Rassismus, Terrorismus, Homosexualität, Pressefreiheit - der "Oscar" wird politisch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Jenseits vom Glamour
Rassismus, Terrorismus, Homosexualität, Pressefreiheit - der "Oscar" wird politisch
von Liselotte Millauer

Das "Oscar"-Fieber ist nun endlich in Hollywood ausgebrochen. Nach dem "Golden Globe" der Auslandspresse, der mit einer Glitzer-Nacht im Beverly Hilton Hotel alljährlich die "Award Season" einleitet, folgen die etwas weniger festlichen, doch bedeutenderen Verleihungen der Regisseurs-Gilde und der Gilde der Filmschauspieler sowie der "Independent Award" der studio-unabhängigen Produktionen. Doch alles ist nur ein Auftakt für das eigentliche Ereignis: die "Oscar"-Verleihung, diesmal am 5. März.

Das Interessante in diesem Jahr ist, daß die Wahl bei fast allen "Oscar"-Nominierungen auf Filme gefallen ist, die geradezu hollywoodkonträr sind. Keine hirnrissigen, millionenteuren Spektakel, in denen technologische Spezialeffekte den Inhalt erschlagen, wurden gewählt, keine mit Abermillionen teuren Werbekampagnen hochgepuschten, aber vergessensreifen Komödien oder Pseudo-Dramen, sondern ausschließlich Werke, die eine hochaktuelle politische oder soziale Aussage haben. Und die damit das verkörpern, was Filme sein können und sein sollten. Nicht bloße Unterhaltung, sondern Anstoß zum Nachdenken durch Bloßlegung von Problemen, die in unserer Welt brennend und aktuell sind. Es ist noch nie passiert, daß die Mehrzahl der gesamten Nominierungen auf Außenseiterproduktionen von jenseits der großen Filmkonzerne fiel. Sie waren, so die Ansicht hier, einfach zu stark, um sie zu übergehen.

Dieser Trend ist offensichtlich auch eine Reaktion auf stark zurückgegangene Besucherzahlen im vergangenen Jahr. Fast alle großen Produktionen wie "King Kong", Spielbergs "Krieg der Welten" mit Tom Cruise oder "Stealth" endeten, wenn nicht gerade als völlige Flops, zumindest als Enttäuschungen. Es scheint, als erwachten die Verantwortlichen wie die Jurymitglieder der Filmakademie zu größerer Hinwendung auf anspruchsvollere Filme mit intellektuellen aktuellen Aussagen, als Gegengewicht zur Masse der Radau- und Teeniefilme. Das zeichnete sich in den vergangenen Jahren bereits ab, 2006 aber ist der Trend nahezu eskaliert.

"Es gibt keine ,Titanic' in diesem Jahr", bedauerte Gil Cates, verantwortlich für die "Oscar"-Show und daher glanzbedürftig. "Es gibt keinen ,Herrn der Ringe'. Die kreative Gemeinde hat es vorgezogen, Filme zu würdigen, die sich von denen unterscheiden, die der Rest des Landes sehen möchte."

Bis auf "München" von Steven Spielbergs "DreamWorks"-Studio entstanden alle anderen nominierten Filme in unabhängigen Produktionen, teilweise finanziert von Außenseitern, und kosteten einen vergleichsweise lächerlichen Betrag. "München" mit 75 Millionen US-Dollar war der teuerste. Die anderen lagen um und unter 20 Millionen.

"Brokeback Mountain", der absolute "Oscar"-Favorit mit der überraschenden Geschichte von zwei hartgesottenen Cowboys, die sich in rauher Natur, Schafe hütend, ineinander verlieben, wollte keines der großen Studios produzieren. Sony Pictures erwog es kurz, ließ dann aber doch die Finger von dem eigenwilligen Stoff. Erst die unabhängige Produktion "Focus-Features", der in letzter Zeit ein Erfolg nach dem anderen glückt, wagte sich an das Thema. Co-Finanzier für den nur 14 Millionen Dollar kostenden Streifen war gar der Besitzer der Football-Mannschaft "Minnesota Twins".

Und wenn die geehrten Filme bis jetzt auch keineswegs flächendeckend in die Kinos kamen (die "L. A. Times": "Wer hat sie schon gesehen?") und daher an die Studio-geförderten Straßenfeger wie "Star Wars", "Harry Potter" oder "King Kong" nicht herankommen konnten, so dürften ab jetzt Gewinne von über 100 Millionen US-Dollar die Kinokassen-Belohnung sein für den Versuch, kreative Qualität durch persönliche Initiative gegen Hollywood durchzusetzen.

Startschwierigkeiten hatten fast alle nominierten Filme. "Crash" (mit Don Cheadle) zeigt die leider immer noch schwelenden Rassenprobleme an verschiedenen ineinander zahnenden Beispielen. Spannend und hintergründig in Los Angeles gedreht.

"Capote" macht interessant die Problematik des Journalisten deutlich zwischen gnadenloser Verfolgung einer Story und menschlichem Verhalten gegenüber den Beteiligten am Beispiel von Truman Capotes Buch "Kaltblütig". Ein fast sicherer "Oscar" für den wenig bekannten Darsteller des Capote, Philip Seymour Hoffman.

Am meisten überhäuft mit Ehrungen und Nominierungen wurde Hollywoods nicht nur attraktivster und begehrtester Junggeselle, sondern auch hochinteressanter liberaler Filmemacher George Clooney. Er erhielt eine Nominierung als "bester Nebendarsteller" für seinen gewichtigen, von der eigenen Regierung verfolgten CIA-Agenten in seinem engagiert mitproduzierten und mitgeschriebenen Drama "Syriana". Es zeigt die gerade in Washington heiß diskutierte amerikanische Abhängigkeit vom Öl des Mittleren Ostens und den skrupellosen Kampf darum.

Zugleich wurde Clooney als "bester Regisseur" für seinen nicht weniger engagierten Film "Good Night and Good Luck" nominiert wie auch der Film selbst als einer der fünf "besten Filme", die beiden wichtigsten Auszeichnungen bei der "Oscar"-Verleihung. Der Film wirft, mit einem bewußten Seitenhieb auf aktuelle Vorgänge in Washington, einen Blick auf die McCarthy-Ära, in der Dutzende der intelligentesten und talentiertesten Schauspieler, Filmemacher, Autoren und Medien-Figuren wegen angeblicher Sympathien für den Kommunismus ruiniert wurden.

Und auch hier wurde ein wenig bekannter Schauspieler nominiert: David Strathairn als Darsteller des NBC-Moderators Edward R. Murrow, der damals den Erpressungen des Senators McCarthy widerstand und seinen Job behielt. Ähnlich wie bei "Syriana" ist das Thema hier Widerstand gegen die eigene Regierung im Kampf um Humanität und Gerechtigkeit.

Eher pflichtschuldig gegenüber einem Hollywood-Giganten wurde der letzte der fünf Filme auf die Nominierungsliste gesetzt: Steven Spielbergs "München". Für meine Begriffe (und da stehe ich nicht allein) ein vollkommen mißglückter Film um die Ereignisse bei den Olympischen Spielen in München, als islamische Terroristen die israelischen Olympiateilnehmer kidnappten und später, inmitten chaotischer Ereignisse, erschossen. Der Film beleuchtet die von Golda Meir angeordnete Rache an den Drahtziehern. Einer nach dem anderen wird in dem Film umgebracht, wie es mit einigen Variationen auch in der Wikrlichkeit geschah.

Die sehr wichtige Aussage dieses Films ist, daß Rache nichts bringt, daß Töten immer nur wieder Töten hervorruft und Unschuldige mit hineingezogen werden. Doch leider ging hier alles schief.

Ganz anders dagegen der von Palästinensern gedrehte Film "Paradise Now". Er wurde als "bester ausländischer Film" nominiert und erhielt bereits den "Golden Globe". Ein klarer, ohne Hollywood-Firlefanz gedrehter, unglaublich eindrucksvoller Film, der das gleiche Thema "Wie sinnvoll ist Rache?" von der Gegenseite zeigt. Von zwei jungen Palästinensern, die für einen Selbstmord-Anschlag ausgewählt werden.

Der Film, in Nablus und Umgebung gedreht, zeigt die Stunden vom Auftrag über die Vorbereitungen bis zur Tat, mit unvorhergesehenen Unterbrechungen, in denen sich Zweifel an tödlicher Rache mit dem Ehrenkodex der Unterdrückten und daher bis zur Opferung des eigenen Lebens Bereiten mischen. Ohne jede Polemik ersteht das elende und hoffnungslose Leben der Palästinenser in Armut und Arbeitslosigkeit wie durch die strenge israelische Okkupation verletzter Stolz als Motiv. Dieser Film ist jedenfalls viel überzeugender und echter als Spielbergs Hollywood-Drama.

Die Tragik, daß junge Menschen ihr Leben opfern im Auflehnen gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, ist, wenn auch auf andere Weise, ebenfalls das Thema des deutschen Beitrags unter den Nominierungen für den "besten ausländischen Film". "Sophie Scholl - die letzten Tage" wurde in der hiesigen Presse bereits kurz, doch lobend, erwähnt. Besonders die "eindrucksvolle Darstellung der Sophie Scholl". Der Film war ebenfalls für den "Golden Globe" nominiert, verlor aber gegen "Paradise Now". Er tritt außerdem gegen eine starke Konkurrenz von drei weiteren Ländern an: "Don't Tell" aus Italien, "Joyeux Noel" aus Frankreich und "Tsotsi" aus Südafrika.

Ausländischen Filmen, die hier mit Untertiteln im Original laufen, wird vom einheimischen Kinopublikum kaum Interesse entgegengebracht, außer daß sie sich so stark thematisch und künstlerisch durchsetzen, daß die Kritiker sich ihrer annehmen. Ansonsten laufen sie kurz in kleinen unabhängigen Kinos. "Sophie Scholl" beispielsweise ist bisher noch nicht angelaufen. Ob die vielfach jüdischen und weitgehend liberalen Mitglieder der Film-Akademie nun den Widerstand gegen die Nationalsozialisten dem Widerstand gegen die israelische Besatzung rein thematisch vorziehen oder streng künstlerisch urteilen oder gar einen der drei anderen, ebenfalls soziale Probleme behandelnden Filme wählen, weiß man erst am 5. März.

Daß nach dem deutschen Beitrag 2005 jetzt wieder ein deutscher Film nominiert wurde, der sich mit der NS-Vergangenheit beschäftigt, hat nicht, wie in Deutschland vermutet wird, mit antideutscher Bewertung zu tun, sondern mit Beurteilung der künstlerischen Darstellung eines zeitlos menschlichen Problems. Hier: Widerstand gegen Gewalt.

So zahnen die Themen der Filme, die in diesem Jahr entweder schon ausgezeichnet oder nun für den "Oscar" nominiert wurden, auf interessante Weise ineinander und versetzen Hollywoods Ruf als "Blabla-Tinseltown" einen kräftigen Hieb.

Dennoch: Wenn die "Academy of Motion Picture Arts and Sciences" am

5. März zur Verkündigung ihrer endgültigen Wahl ins Kodak-Theatre in Hollywood einlädt, wenn die glanzvollsten der Stars in ihren elegantesten Roben zum glanzvollsten Ereignis der Film-Metropole über den roten Teppich auf dem Hollywood Boulevard schreiten, dann spielt ganz Hollywood erst einmal wieder die Hauptrolle des "Glamour" - von den Medien übertragen in alle Welt.

Begehrte Trophäe: 2002 erhielt der deutsche Film "Nirgendwo in Afrika" einen "Oscar".


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