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04.03.06 / Was sind Normen? / Zeuge linker Erziehung über Deutschland in den 60er und 70er Jahren

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. März 2006

Was sind Normen?
Zeuge linker Erziehung über Deutschland in den 60er und 70er Jahren

Kinder haben es nicht im-mer leicht mit ihren Eltern. So auch Richard David Precht. Der Journalist und Autor erzählt in "Lenin kam nur bis Lüdenscheid - Meine kleine deutsche Revolution" von seiner Kindheit in den 60er und 70er Jahren und seinen als etwas eigenwillig zu bezeichnenden Eltern. "Meine Eltern leben anders, aber nicht völlig anders. Sie führen ein unkonventionelles, aber gleichwohl noch bürgerliches Leben; zwei kleine Kinder, ein Junge und ein Mädchen, ein Mann mit fester Anstellung, wenn auch in einem dubiosen Beruf, die Frau bleibt als Hausfrau und Mutter mit den Kindern zu Hause." Doch je mehr seine Eltern den ihres Erachtens ungerechten Vietnamkrieg verfolgen, desto stärker ist ihr Bedürfnis zu helfen. Bei "terre des hommes" findet vor allem Richards Mutter ein Betätigungsfeld. Da die Eltern den Menschen in Vietnam helfen wollen, entscheiden sie sich zur Adoption eines Kriegswaisen. Nur kurz, nachdem die Mutter ihr drittes eigenes Kind bekommt, kommt der kleine Marcel in die Familie. Nur wenig später entscheiden sich die Prechts, noch ein weiteres Kind aus Vietnam zu adoptieren, und so ist die Familie mit fünf Kindern zur Großfamilie geworden.

"Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" lautet dann auch die Lieblingslektüre von Mutter Precht. Ihre Kleinen sollen frei aufwachsen. Als die älteste Tochter Hannah dann jedoch mit 17 Jahren die Schule verläßt und eine "Karriere" als Hausbesetzerin startet, hält sich die Begeisterung der Eltern zugegeben doch in Grenzen. Klein-Richard scheint da weniger rebellisch, doch hat er in der Schule ernsthafte Probleme, als er einen Aufsatz über Normen schreiben soll. Normen? Der Prechtsohn steht vor einem Rätsel. Bei "Oma Bülowplatz", der Großmutter einer Freundin, und von seinem Opa Herbert hört er jedoch von Dingen wie Regeln und Ordnung. Vor allem das Entsetzen von "Oma Bülowplatz" über seine Erziehung, seine langen Haare und schmuddeligen Klamotten zeigt dem Jungen, daß es jenseits des linken Denkens seiner Eltern noch etwas anderes gibt. Auch seine Lehrerin zeigt sich weniger tolerant, als er die von seiner Mutter mitgegebene Platte "Warum ist die Banane krumm" von Wolf Biermann mitbringt. "Ich bestehe auf Abspielen, das bin ich meiner Mutter schuldig. ,In der Bibel steht geschrieben: Du sollst deine Eltern lieben. Wenn sie um die Ecke glotzen, sollst sie in die Fresse rotzen!'" Von da an, hat Richard bei den Lehrern keinen leichten Stand.

"Lenin kam nur bis Lüdenscheid - Meine kleine deutsche Revolution" ist weniger humorvoll geschrieben, als der Titel vermuten läßt, es ist vielmehr ein Stück deutsche Alltagsgeschichte, denn auch wenn die Eltern des Autors recht eigen waren, so gab es doch in den 60er und 70er Jahre einige ihres Schlages. Außerdem geht der 41jährige immer wieder auf Ereignisse ein, die ganz Deutschland bewegten, um vom Allgemeinen wieder auf den Mikrokosmos seiner Familie zurückzukommen.

Und wie ist Richard Precht die linke Erziehung bekommen? Der Vater eines Sohnes scheint den Weg in die von seinen Eltern verachtete Gesellschaft gefunden zu haben. Und auch seine Eltern sind ruhiger geworden, wenn auch nicht gemeinsam: Schon kurz nachdem die Kinder aus dem Haus waren und die sie verbindende linke Welt sich auflöste, haben sie sich getrennt. R. Bellano

Richard David Precht: "Lenin kam nur bis Lüdenscheid - Meine kleine deutsche Revolution", claassen, Berlin 2005, geb., 351 Seiten, 18 Euro


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