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11.03.06 / Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit / Wäre die EU in der ukrainischen Frage konzilliant, könnte es Rußland in der Königsberger sein

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. März 2006

Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit
Wäre die EU in der ukrainischen Frage konzilliant, könnte es Rußland in der Königsberger sein
von Bernhard Knapstein

Während Königsberg sich auf den 60. Jahrestag der Umbenennung der Stadt in "Kaliningrad" mit der Gestaltung eines "Siegesplatzes" neben der neuen orthodoxen Kathedrale vorbereitet, reisten Bundesaußenminister Steinmeier und Polens Staatspräsident Kaczynski zu Gesprächen mit Ukraines Präsident Juschtschenko nach Kiew. Deutschlands Vertreter pflegte dort freundschaftliche Beziehungen. Kaczynski seinerseits erklärte offen, er wünsche sich die Ukraine als EU-Mitglied. Königsberg und die Ukraine scheinen zwei unabhängige Problemzonen im russischen Einflußgebiet am östlichen Rand der Europäischen Union zu sein, sind aber möglicherweise die beiden Ausleger einer geopolitischen Waage. Moskau ist hier empfindlich. Es wird sich aber auf die Europäische Union einlassen müssen.

 

Das ist der Grund für unsere Gefechtsbereitschaft in Kaliningrad", posaunte ein russischer Admiral in Pillau und russische Generalstäbler in Moskau und Königsberg spuckten Gift und Galle über vermeintliche Annexionsgelüste in Deutschland.

Hintergrund für die emotionalen Entladungen war eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema "Wirtschaftliche Zukunft des Königsberger Gebietes nach der EU-Osterweiterung" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Jahre 2004. In dem 51 Positionen umfassenden Fragenkatalog wurde unter anderem nach der Bewertung von Überlegungen gefragt, in Ostpreußen eine litauisch-russisch-polnische Euroregion zu installieren und diese nach den baltischen Ureinwohnern "Prussia" zu benennen.

Das Ostpreußenblatt, die heutige Preußische Allgemeine Zeitung, stellte ein entsprechendes Konzept, das eher als Gedankenspiel verstanden werden sollte, bereits im Mai 2001 erstmals vor und griff das Thema in den Folgejahren immer wieder auf. Nichts Außergewöhnliches, denn die Idee von der "Euregio" oder Euroregion begeistert immer wieder die Strategen grenznaher kommunaler Gebietskörperschaften. Dieses Konstrukt bietet seit vielen Jahren die Möglichkeit, in Grenzregionen über Fördermittel aus Brüssel Annäherungen zu schaffen und grenztypische Koordinationsprobleme zu beheben. Infrastruktur, grenznaher Wirtschaftsverkehr, Fischereiwesen, Tourismus, Naturschutz, Kulturaustausch, Seuchenbekämpfung, Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und vieles mehr sind die in diesem Bereich relevanten Themen, die eo ipso nichts mit der Aufgabe staatlicher Souveränität zu tun haben. Auf diese Weise arbeiten etwa die polnisch-ukrainisch-weißrussische "Euroregion Bug" und die deutsch-polnisch-tschechische "Euroregion Neisse".

Den Sinngehalt einer solchen Euroregion gerade auf dem Gebiet Ostpreußens haben auch die CDU-Strategen im Deutschen Bundestag erkannt, nachdem 2003 alle Bundestagsabgeordneten sowie das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt ein Sonderausgabe der PAZ erhalten hatten, in welcher die Idee von der Euroregion Prussia noch einmal vorgestellt worden war. Das besondere an einer Euroregion in Ostpreußen ist sicherlich eine sinnvolle Einbeziehung der deutschen Heimatvertriebenen in diese Region. Die vertriebenen und die in der Heimat zurückgebliebenen Ostpreußen sind für diese Region das kulturhistorische und kulturelle Bindeglied.

Die genannte Kleine Anfrage der Abgeordneten um den CDU-Abgeordneten Jürgen Klimke war die Folge.

Die Empörung in Moskau auf diesen parlamentarischen Vorgang führte jedoch zu einem unüberlegten Manöver Klimkes, der wohl ein Einreiseverbot für Königsberg fürchtete. Er wies zu Recht die Urheberschaft des Gedankens den Vertriebenen zu, erklärte dann aber völlig hilflos, er habe mit diesem "Stilmittel" von der Bundesregierung lediglich eine ablehnende Stellungnahme gegenüber revanchistischen Ideen hören wollen. Sein Büro ließ auf entsprechende Bürgeranfragen mitteilen, bei der Errichtung einer solchen Euroregion handele es sich um ein völkerrechtswidriges Unterfangen.

Es wäre dem Parlamentarier ein leichtes gewesen, auf die Funktionalität der innerhalb und an den Grenzen der EU bereits bestehenden vielen Euroregionen und die in solchen Regionen nicht aufgehobene staatliche Souveränität hinzuweisen. Es lag auf der Hand, daß die hysterischen Zwischenrufe in Moskau aus einem Mangel an europäischer Aufklärung resultierten und alsbald wieder abebben würden.

Seit dem Aufschrei in Moskau und dem wenig sinnvollen Canossagang Klimkes wird das Thema von Russen, Polen, Deutschen und Briten im Internet immer wieder diskutiert. Diskutiert wird aber auch die generelle Position Rußlands zur EU und ihrem Einfluß auf den GUS-Wirtschaftsraum, insbesondere in der Ukraine und in Königsberg.

Die Situation für Königsberg stellt sich kurz wie folgt dar: Am 1. Mai 2004 sind die Republiken Litauen und Polen der Europäischen Union beigetreten. Das südliche Ostpreußen und das Memelland sind somit ungeachtet bestehender Übergangsregelungen bereits im Geltungsbereich der Grundfreiheiten der EU. Somit ist das zwischen den beiden Staaten eingekeilte Königsberger Gebiet, das als "Kaliningradskaja Oblast" zum Hoheitsgebiet der Russischen Föderation gehört, eine Insel im supranationalen Gebilde EU. Darüber hinaus werden Polen und Litauen, voraussichtlich im Jahr 2007, das Schengen-acquis übernehmen und somit die Grenzen zu Königsberg noch dichter machen, als dies jetzt schon der Fall ist.

Vor dem Hintergrund der erheblichen Rechtsunsicherheit in Rußland, des ungebrochenen Einflusses mafioser Strukturen im Königsberger Gebiet und der Isolation des Gebietes wird auch das jüngst verabschiedete Gesetz zur Einrichtung der Sonderwirtschaftszone in Königsberg nicht genug Kraft entfalten, um die wirtschaftliche und soziale Lage des Gebietes zu stabilisieren.

Am 1. April des Jahres wird das neue Gesetz zur Errichtung der Sonderwirtschaftszone in Kraft treten. Nach diesem Gesetz müssen Unternehmer, die innerhalb von drei Jahren wenigstens vier Millionen Euro in eine Königsberger Produktionsstätte investieren, für sechs Jahre keine und für weitere sechs Jahre eine um 50 Prozent reduzierte Gewinnsteuer abführen. Hiervon ausgenommen sind Tabak- und Alkoholikaproduzenten, der Groß- und Einzelhandel sowie die Ölindustrie. Zusätzlich soll der Pachtzins für solche Unternehmen durch eine Festschreibung vor Willkür geschützt werden. Was gefällig daherkommt, hat bisher in den Medien und in der Wirtschaft noch keine Begeisterungsstürme hervorgerufen. "Wenn in Rußland ein Gesetz verabschiedet worden ist, dann heißt das noch nicht, daß die zuständigen Behörden davon unterrichtet werden", kommentierte ein Mitarbeiter des Deutschen Handelskammertags (DIHK) das neue Gesetz. Die deutsche Wirtschaft ist wenig bereit, dem russischen Rechtssystem Vertrauen zu schenken. Dies gilt noch weniger für die russische Verwaltung. Es ist daher nicht von revolutionären Entwicklungen in der "Sonderwirtschaftszone" Königsberg auszugehen. Das Gebiet wird daher auch weiterhin ein Klotz am Bein Mütterchen Rußlands bleiben. Daran ändert auch der Zuzug neureicher Russen wenig, da die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinanderklafft.

Auch ein politischer Befreiungsschlag im Sinne einer Autonomie innerhalb der Russischen Föderation wird kaum zu realisieren sein. Der Gebietsgouverneur wird nicht gewählt, sondern vom Präsidenten ernannt. Der amtierende Gouverneur Boos steht dem Westen zwar aufgeschlossen gegenüber, bleibt aber dennoch ein Mann Putins. Er wird bemüht sein, westliche Investoren für die Königsberger Sonderwirtschaftszone zu umwerben. Ein größerer Erfolg wird sich voraussichtlich nicht einstellen. Königsberg hängt somit weiterhin politisch und finanziell am Moskauer Tropf.

Auf Dauer kann ein solches Konstrukt in der Europäischen Union keine Zukunft haben. Königsberg besitzt weder die politische noch die finanzielle Unabhängigkeit einer Schweiz. Und selbst die traditionell ihre Unabhängigkeit pflegende Eidgenossenschaft gehört ab 2007 zu den assoziierten Staaten des Schengener Abkommens. EU-Kommissar Verheugen prognostizierte jüngst in der überregionalen Tageszeitung "Die Welt", "in 20 Jahren werden alle europäischen Länder Mitglied der EU sein - mit Ausnahme der Nachfolgerstaaten der Sowjetunion, die heute noch nicht in der EU sind." Dem ehemaligen EU-Kommissar für das Ressort EU-Osterweiterung, Günter Verheugen, darf ein tiefer Einblick in die außenpolitischen Leitgedanken und Visionen der Russischen Föderation unterstellt werden.

Bemerkenswert ist insoweit, daß er die Ukraine nicht in der zukünftigen EU sieht, obgleich sie in der EU mehr Befürworter findet als etwa die Türkei. Die orange Revolution und die Einmischung Polens sowie der Europäischen Union in dieser Phase sind in Moskau nicht vergessen. Insbesondere Polen ist um eine stärkere Anbindung der Ukraine an die EU bemüht. Ein endgültiger und von Rußland geduldeter Abfall der Ukraine aus der Interessensphäre Moskaus darf allerdings nicht ohne weiteres erwartet werden. Die Ukraine könnte, eher noch als Königsberg, zu einem ernsten Konfliktfall für die Europäische Union werden, sollten erfolgversprechende Aufnahmeverhandlungen begonnen werden. Eine Aufnahme dieses Teils der ehemaligen Sowjetunion in die EU ist daher im Ergebnis wenig wahrscheinlich. Andererseits ist die Ukraine ein souveräner Staat.

Die Bedeutung der Ukraine für den Wirtschaftsraum der GUS-Staaten ist für Moskau höherrangig als die militärische Bedeutung Königsbergs. Königsberg gilt auch über 60 Jahre nach Kriegsende in Moskau vielmehr noch immer als Kriegsbeute. Der Vielvölkerstaat Rußland hat mit dem Zerfallen der Sowjetunion einen zu hohen Blut- und Reputationszoll im Streit mit abfallenden Teilrepubliken bezahlt, als daß es die Aufgabe des kleinen Fetzens Landes ohne Zugeständnisse auf anderer Ebene hinnehmen könnte. Das Risiko einer Preisgabe Königsbergs liegt in der Fragilität der innenpolitischen Stabilität Rußlands.

Der russische Nationalstolz definiert sich noch heute in erster Linie über die Stärke der Sowjetunion. Das Zerfallen der UdSSR wird immer noch als Schmach empfunden und jeder weitere Verlust russisch beherrschter oder beeinflußter Gebiete birgt innenpolitische Sprengkraft. Staatspräsident Putin kann deshalb den russischen Koloß nur beherrschen, wenn er nach innen und außen Stärke demonstriert. Seit Rußlands Einfluß von der immer weiter nach Osten vordringenden EU auch aus der Ukraine zurückgedrängt wird und die Ukraine die russische Flotte aus ukrainischen Gewässern entfernt wissen will, gilt dies heute mehr denn je. Rußland wird seine Kräfte wohl aber konzentrieren müssen, wenn sich das EU-Interessengebiet weiter nach Osten ausdehnt.

Eine Einigung zwischen Brüssel und Moskau ist immerhin denkbar, in der sich die EU zur Zurückhaltung in der Ukraine und Rußland sich zur Integration Königsbergs in die EU verpflichten. Sollte Rußland nicht zu einer vollständigen Aufgabe der Region zu bewegen sein, so könnte es ein partielles Mitspracherecht im EU-Rat erhalten, soweit Königsberger Belange betroffen sind. Der Einstieg in eine solche Ausgleichspolitik kann die Einrichtung einer litauisch-russisch-polnischen Euroregion sein. Da das Konzept gerade keine Revision der Annexion Königsbergs, sondern ein russisch-europäisches Umgehen mit der problematischen Insellage Königsbergs anstrebt, erscheint es realpolitisch durchführbar.

Königsberg hat die Chance, sich zu einem echten europäischen Brückenkopf zwischen Ost und West zu entwickeln, ohne daß Rußland dabei sein Gesicht verliert.

Ohne Gegenleistung verzichtet Moskau nicht auf Königsberg

Die Ukraine ist für Rußland wichtiger als die Kriegsbeute

Königsberg und die Ukraine: Die EU kann an einer russischen Enklave ebenso wenig Interesse haben wie die Russische Föderation an einem zum Westen gehörenden ukrainischen Nachbarn.


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