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11.03.06 / Wie vor 100 Jahren Rolls-Royce entstand / Ein Aristokrat und ein Aufsteiger gründen ein Unternehmen, das wie kein anderes für Luxus auf Rädern steht

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. März 2006

Wie vor 100 Jahren Rolls-Royce entstand
Ein Aristokrat und ein Aufsteiger gründen ein Unternehmen, das wie kein anderes für Luxus auf Rädern steht
von Manuel Ruoff

Gegensätze ziehen sich an", lautet ein deutsches Sprichwort. Und Gegensätze ergänzen sich nicht selten. Gegensätze waren Frederick Henry Royce und Charles Stewart Rolls nicht nur, aber vor allem hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft. Im Gegensatz zu Rolls kam Royce aus einfachen Verhältnissen. Er wurde am 27. März 1863 in Alwalton bei Peterborough als fünftes Kind seiner Eltern geboren. Sein Vater

James Royce hatte dort von der anglikanischen Kirche eine Mühle gepachtet, welche die Familie mehr recht als schlecht über Wasser hielt. 1867 trennte sich die Familie. Der Vater zog mit seinen beiden jüngsten Söhnen, darunter Henry, in die Landeshauptstadt London, wo er zuerst in einer Getreidemühle arbeitete. Der Ernährer verlor jedoch seine Arbeit und starb 1872 an der Hodgkin-Krankheit, einer bösartigen Lymphknotenerkrankung. Das Armenhaus war seine letzte Adresse gewesen.

Henry zieht wieder zu seiner Mutter und muß sich nun - obwohl mit neun noch im Kindesalter - nach einem Broterwerb umsehen. Erst arbeitet er als Zeitungsjunge, dann als Telegrafenbote. Als er 14 Jahre alt ist, spendiert ihm seine Tante für 20 Pfund im Jahr eine Ausbildung einschließlich Kost und Logis in den Lokomotivwerken der Great Northern Railway in Peterborough. Diese Stelle und der Geräteschuppen seines Vermieters erlauben es ihm, seinen technischen Neigungen nachzugehen.

Als Henrys Tante 1880 die jährlich 20 Pfund nicht mehr aufbringen kann, bricht er seine Ausbildung gezwungenermaßen ab und verdingt sich bei einer Werkzeugmaschinenfirma in Leeds, von wo aus er bereits im darauffolgenden Jahr zur Electric Lighting and Power Generating Company in London wechselt. Dort setzt er seine bereits in der beruflichen Ausbildung begonnene Selbstschulung fort und besucht Abendkurse und Vorlesungen am Polytechnikum. Henry Royce hat das Glück, daß sein Arbeitgeber sein Talent erkennt und ihn entsprechend einsetzt, aber 1884 ist damit Schluß. Durch Konkurs ist Henry Royce wieder arbeitslos.

Er steht jedoch nicht mittellos da. Er besitzt 20 Pfund und die Freundschaft des Elektroingenieurs Ernest Claremont, der als Arztsohn im Gegensatz zu ihm nicht aus bescheidenen Verhältnissen stammt. Mit 50 Pfund von Claremont und den besagten 20 Pfund von Royce gründen die beiden einen Elektrobetrieb in Manchester. Es beginnt mit der Produktion von Türklingeln und Glühbirnenfassungen, doch verlegt man sich dann auf Dynamos und Elektromotoren. Der Durchbruch gelingt den beiden Unternehmern mit der Idee, Elektromotoren statt Dampfmaschinen oder Muskelkraft als Antrieb für Kräne zu verwenden. Ab 1894 haben die beiden elektrische Brückenkräne im Programm, die sich zu Verkaufsschlagern entwickeln. Noch im selben Jahr wird das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1899 weist die Gesellschaft ein haftendes Eigenkapital von 30000 Pfund aus - schon beachtenswert, wenn man bedenkt, daß sie nur eineinhalb Jahrzehnte zuvor mit 70 Pfund angefangen hatte.

Für diesen Erfolg zahlt Henry Royce jedoch einen hohen Preis. Unter seiner Arbeitswut leidet seine Gesundheit. Zur Entspannung rät ihm sein Arzt Ausfahrten an der frischen Luft. Hierzu schafft er sich auf Empfehlung seines Doktors, der ein derartiges Gefährt bereits besitzt, ein De Dion Quadricycle an. Hierbei handelt es sich um ein Fahrzeug, das in seiner Mischung aus Motorrad und Auto eine verblüffende Ähnlichkeit mit den heutigen Quads aufweist. Ihm folgt ein Decauville aus zweiter Hand mit einem zehn PS leistenden Zweizylindermotor. Obwohl Frankreich zu jener Zeit auf dem Sektor der Automobilproduktion eine führende Stellung einnimmt, ist der britische Perfektionist mit der Qualität seines Importproduktes von jenseits des Kanals unzufrieden - und so versucht er, es besser zu machen. Auf der Basis seines Decauvilles beginnt er 1903 mit dem Bau eigener, qualitativ anspruchsvollerer Automobile. Am 1. April 1904 findet die erste Probefahrt mit einem der drei ersten Royce-Automobile statt.

Zu den Mitarbeitern von Henry Royce gehörte auch Henry Edmunds. Als begeisterter Autofahrer gehörte dieser dem noch heute unter der Bezeichnung Royal Automobile Club existierenden ersten Automobilclub Großbritanniens, dem Automobile Club of Great Britain and Ireland, an. Einer seiner nicht weniger autobegeisterten Clubkameraden dort hieß Charles Rolls.

Der Draufgänger Charles Rolls kommt mit dem sprichwörtlichen silbernen Löffel im Mund am 27. August 1877 im elterlichen Stadthaus in der Hauptstadt des Empire zur Welt. Er ist der dritte Sohn von Lord und Lady Llangattock, auf deren in der Nähe des walisischen Monmouth gelegenen Anwesen "The Hendre" er unbeschwert von materiellen Sorgen aufwächst. Nach dem Besuch von Eton absolviert er in Cambridge mit Auszeichnung ein Ingenieurstudium. Im Gegensatz zum perfektionistischen Tüftler Royce ist Rolls ein Draufgänger mit einem Hang zu rasanten Fahrzeugen. Er beschließt, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Im Jahre 1902 macht er sich mit C. S. Rolls and Company in London selbständig. Für seine Standesgenossen importiert er Nobelautomobile aus Frankreich. Als überzeugter Brite möchte er neben den Importen von jenseits des Kanals jedoch auch ein britisches Auto im Angebot haben - und zwar das beste.

Wenige Tage vor der ersten Royce-Probefahrt vom 1. April 1904 wurde Charles Rolls von dessen Clubkamerad Henry Edmunds auf jenes britische Auto aufmerksam gemacht. Die mitgeschickten Fotografien beeindruckten Rolls dermaßen, daß er beschloß, Royce in Manchester zu besuchen. Am 4. Mai 1904 trafen sich die beiden Briten zum Mittagessen im Midland Hotel. Rolls war von Royce ebenso angetan wie von dem Royce, der ihm nach dem Essen im Kutschhof des Hotels gezeigt wurde. Er geht die Verpflichtung ein, alle Automobile abzunehmen, die Royce in seinem Manchester Werk produziert, und diese unter dem Namen "Rolls-Royce" anzubieten. Gemäß einem Vertrag vom Ende des Jahres wird dieser Produktname für die mit Datum vom 15. März 1906 gegründete Gesellschaft Rolls-Royce Ltd. übernommen.

Man mag sich über die Reihenfolge der Namen wundern, aber erstens entspricht sie dem Alphabet, zweitens hatte Rolls nicht nur als Automobilhändler, sondern auch als Teilnehmer an diversen Autorennen in den anvisierten Käuferschichten bereits einen Namen, und drittens war die britische auch schon damals eine Klassengesellschaft.

Das erste Rolls-Royce-Modell basierte auf dem am 1. April erstmals in der Praxis getesteten Royce. Zu den wichtigsten Änderungen gehörte der inzwischen zum Markenzeichen gewordene, an einen antiken Tempel erinnernde Kühlergrill. Bis 1905 wurden 13 Stück des 10 HP (Horsepowers / britische Pferdestärken) produziert.

Der Durchbruch gelang Rolls-Royce mit dem 40/50 HP, der 1906 auf der London Motor Show vorgestellt wurde. Als Werbegag, wie man heute sagen würde, brach Rolls' und Royce' Mitarbeiter Claude Johnson, der sogenannte Bindestrich zwischen Rolls und Royce, den damaligen Rekord im Nonstopfahrten mit einem 40/50 HP, den er mit einer prachtvollen versilberten beziehungsweise silberfarbenen Karosserie hatte ausstatten lassen. Aufgrund der Farbe und der legendären Laufruhe der Rolls-Royce-Motoren nannte er den Wagen "Silver Ghost" (silberner Geist), eine Bezeichnung die sich schließlich als Bezeichnung für die gesamte Modellreihe durchsetzte. Die Bedeutung dieses Typs für Rolls-Royce spiegelt sich nicht zuletzt darin wider, daß die Produktion erst Mitte der 20er Jahre nach rund 6500 gebauten Einheiten eingestellt wurde. Die Nachkriegsmodelle "Silver Cloud", "Silver Shadow", "Silver Wraith", "Silver Spirit", "Silver Spur" und "Silver Dawn" bis hin zu dem noch bis in unser Jahrtausend hinein hergestellten "Silver Seraph" sind der Versuch, an diesen Vorkriegserfolg anzuknüpfen.

Im Gegensatz zu Royce erlebte Rolls das Produktionsende des in seiner Bedeutung für Rolls-Royce unübertroffenen und zeitweise ausschließlich produzierten "Silver Ghost" nicht mehr. Bereits 1910 trat er von seinem Direktorenposten zurück, um sich nach dem Automobil nun einem noch moderneren Fortbewegungsmittel zuzuwenden, dem Flugzeug. Viel Zeit verblieb ihm dafür aber nicht mehr. Am 11. Juli des Jahres fährt er in Begleitung der damals bereits berühmten Flugzeugbauer Wilbur und Orville Wright mit einem "Silber Ghost" zu einer Flugschau in Bournemouth, um am Steuer eines ihrer Produkte daran teilzunehmen. Zum Verhängnis wird ihm nicht sein Auto, sondern deren Flugzeug. Er stürzt damit ab und wird damit zum ersten Todesopfer der britischen Luftfahrtgeschichte.

Als Royce vom Tode seines Partners erfährt, bricht er zusammen. Ein Krebsleiden kommt hinzu. Auf Empfehlung seines Arztes läßt er sich in seinem Automobilwerk kaum noch blicken, behält jedoch aus der Ferne die Zügel in der Hand. In seine Ära fällt noch der Modelwechsel vom "Silver Ghost" zum "New Phantom" beziehungsweise "Phantom I" 1925 und die Ablösung von letzterem durch den "Phantom II" im Jahre 1929. Um dessen Chancen auf dem Markt zu erhöhen, wird 1931 der Konkurrent Bentley geschluckt, was für Jahrzehnte Bentleys zu sportlicheren Varianten der luxuriöseren Rolls-Royce werden läßt.

Nachdem er noch wenige Jahre zuvor die Ehrung seines Lebenswerkes durch die Erhebung in den Adelsstand erfahren hat, stirbt Sir Henry Royce am 22. April 1933 - im Gegensatz zu seinem draufgängerischen Partner eines natürlichen Todes. Der "Phantom III" löst zwar erst 1935 den "Phantom II" ab, aber entspricht doch noch - als letzter Rolls-Royce - dem Royce-Prinzip: Koste es, was es wolle. Wie meinte doch der perfektionistische Firmengründer? "Die Qualität bleibt bestehen, wenn der Preis schon vergessen ist."

Die weitere Firmengeschichte nahm einen aus englischer Sicht unrühmlichen Verlauf. Die anfangs erfolgreiche Produktion von Flugzeugmotoren führte RR in Turbulenzen und in die Pleite. Schließlich wurde der Kfz-Sektor des Unternehmens in Einzelteilen verkauft. So landete die britischste aller britischen Marken schließlich in Deutschland, dem Mutterland des Automobils - Bentley bei VW, Rolls-Royce bei BMW.

Charles Stewart Rolls (1877-1910) Foto: Rolls-Roce Group plcFoto: pa

Frederick Henry Royce (1863- 1933) Foto: Rolls-Roce Group plcFoto: pa


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