19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
25.03.06 / Israel braucht Freunde - keine blinden Prosemiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. März 2006

"Moment mal!"
Israel braucht Freunde - keine blinden Prosemiten
von Klaus Rainer Röhl

Fast jeden Abend gibt es im Nahen Osten Krieg gegen Frauen und Kinder. Palästinensische Selbstmord-Attentäter sprengen sich inmitten eines Schulfestes in die Luft, reißen Dutzende von israelischen Kindern mit in den Tod. Blutlachen, laute Trauerklagen, geballte Fäuste. Am selben Abend starten israelische Kampfflugzeuge in den nächsten palästinensischen Ort, (die Entfernung beträgt dort nur Minuten, die meiste Zeit geht für die Vorbereitung der Raketen drauf), beschießen einen Wohnblock, in dem der Attentäter gewohnt hat, mit Raketen. Dutzende Tote, Kinderleichen, Blutlachen, Trauerklagen, geballte Fäuste. Von einer bestimmten Zahl von Toten an muß das alles ins Fernsehen. Wenn es nur Verletzte gibt, nicht unbedingt.

Seit eine der Selbstmörder-Gruppen, die Hamas, selber als größte Partei ins palästinensische Parlament gewählt wurde, weiß keiner mehr, wie es weitergehen soll. Auch die Europäische Union muß passen, jedenfalls bis zur nächsten israelischen Wahl. Unsere sonst so engagierten Journalisten, die linken von der "taz" und die eher rechten von der "FAZ" und der "Welt", wollen sich hier im Nahen Osten ungern engagieren, keiner möchte sich da die Finger verbrennen, Partei ergreifen. Das hat Gründe.

Das fängt damit an, daß niemand offen ausspricht, daß die Palästinenser Heimatvertriebene sind, die nach drei großen, von der arabischen Seite angezettelten Kriegen fast ihr ganzes Land an die Israelis verloren haben. Das, was sie jetzt noch ihr Land nennen, sind mehr oder weniger unfruchtbare Landstriche und Flüchtlingslager, die zu großen Betonstädten ausgewuchert sind. Kleine Ortschaften und Städtchen, die biblische Namen tragen, sind oft genug durch israelische Industrieanlagen oder moderne Tierfarmen und Gewächshäuser unterbrochen. Sie haben nie Gelegenheit gehabt, sich wie Ostpreußen, Pommern oder Sudetendeutsche irgendwo zu integrieren. Warum spricht niemand in unserer so vielfältigen Presselandschaft darüber?

Ja. Warum wird die acht Meter hohe, aus besonders stabilem Stahlbeton gefertigte Mauer, die die Israelis im Nahen Osten bauen, in den meisten deutschen Zeitungen grundsätzlich nur Schutzzaun genannt? Allen Besuchern und Journalisten Israels ist die Ähnlichkeit des Bauwerks mit Ulbrichts "antifaschistischem Schutzwall" natürlich gleich bei den ersten Metern aufgefallen. Auch Ulbrichts Mauer war ja keineswegs aus Einzelsteinen errichtet, sondern aus vorgefertigten Betonteilen zusammengefügt, an den Nahtstellen besonders gut gesichert, und auch sie führte durch das ganze weite Land in Form von Sperranlagen, Gittern und elektronischen Sicherungen. Auch die israelische Mauer, die im restlichen Europa auch so genannt wird, führt quer durch das ganze Land, das ehemalige Palästina. Sie soll, als sicher unzulängliches letztes Mittel, das nach 1948 entstandene Land Israel und sein in drei Kriegen hinzugewonnenes Territorium vor Überfällen palästinensischer Terroristen schützen. Was die weitgehend fertig gestellte Mauer besonders abstoßend und deshalb für fast alle Europäer unannehmbar macht, ist die Absicht, sie um alle die zahllosen, kleinen und großen "Siedlungen" herumzuführen, die quer durch das ganze Westjordanland, teilweise noch nach (!) dem Osloer Abkommen, auf palästinensischem Gebiet gebaut worden sind. Viele der älteren Siedlungen unterhalten, hochsubventioniert und mit ausländischem Kapital ausgestattet, modernste Obst- und Gemüseplantagen und Verarbeitungsanlagen, die bisher mit der Hilfe palästinensischer Arbeiter aus der Umgebung betrieben wurden, die wiederum nur dort Arbeitsplätze fanden. Die acht Meter hohe Sperrmauer um sämtliche der 36 großen und unzähligen kleinen Siedlungen herumzuführen bedeutet, daß das geplante selbstständige Palästina in unzählige kleine und kleinste Einzelteile zerteilt wird, ein von allen Ländern der EU und mehrheitlich von der Uno bereits als unerträglich bezeichneter Zustand.

Der Abscheu in den Medien der Welt über diese Mauer ist allgemein. Nur nicht in Deutschland. Die Springer-Parole: "Die Mauer muß weg!" gilt hier nicht. In Deutschland findet die Mauer in der Regel gar nicht statt. Ein ziemlich strikt eingehaltenes Tabu gegenüber Israel veranlaßt die gesamte linksliberale und teilweise auch die konservative Presse, das acht Meter hohe Monstrum nur unter der stark verharmlosenden Bezeichnung Sperrzaun zu erwähnen oder - und das ist meistens der Fall - zu verschweigen. Das gilt auch für die Zeitungen des Springer-Konzerns, allen voran "Bild" und "Welt", seit ihrer Gründung strikt antitotalitär und beim Kampf gegen das Unrecht, welcher Art auch immer, stets allen anderen voran. Die ohne Scheu die Entgleisungen der Amerikaner oder Engländer bei der Behandlung politischer Gefangener in Afghanistan und im Irak beim Namen nennen und dabei auch das Wort "Folter" nicht scheuen, sind im Falle Israels von einer dauerhaften Sehschwäche befallen. Die sonst so glaubwürdig gegen Terrorismus und Willkür überall auf der Welt schreibenden "Welt"- und "Bild"-Redakteure sind, wenn es um Israel geht, auf einem Ohr taub und auf einem Auge blind. Dies hat nicht etwa mit einer allgemeinen Angst zu tun, die Gebote der politischen Korrektheit zu verletzen. Den Verboten dieses neuen Tugendterrors mit seinen zahlreichen, zerquälten Phrasen begegnen diese Kollegen seit seinem Auftreten in Deutschland ebenso furchtlos wie gelassen. Im Falle Israels geht es aber um eine ziemlich simple Sache, über die jedermann infomiert ist und über die buchstäblich niemand spricht: Die sogenannten Springer-Essentials.

Lassen Sie mich dazu eine ganz kleine Geschichte erzählen, die ich selber erlebt habe und also den Vorzug hat, aus erster Hand zu sein: Ende 1997 wurde ich in der "Welt am Sonntag" in einer Buchbesprechung zunächst als "Tucholsky dieser Republik" gelobt und wenig später, also in der Zeit vor den Bundestagswahlen von 1998, vom damaligen Chefredakteur Claus Jacobi als Kolumnist zur "WamS" geholt. Dort schrieb ich zweieinhalb Jahre lang regelmäßig alle vier Wochen die Kolumne "Moment mal!", die stets auf Seite 2 des großen Sonntagsblattes stand. Die Themen dieser Kolumnen wurden von mir selbst gewählt, dann mit der Chefredaktion abgesprochen und von den Lesern gut aufgenommen, wie viele Leserbriefe, aber auch Befragungen ergaben, die dort über jede einzelne Ausgabe angestellt werden. In all diesen Jahren wurde nie eine der von mir geschriebenen Kolumnen abgelehnt. Bis in einem einzigen Fall. Es handelt sich um die Glosse über das geplante Holocaust-Denkmal, das damals diskutiert wurde und gerade beschlossen worden war. "Warum kein Mahnmal für tote Deutsche?"

Diese Kolumne wurde nie in der "Welt am Sonntag" gedruckt. Sie sollte auch nicht, was gelegentlich der Fall war, gekürzt oder in einigen Sätzen verändert werden, sie wurde, ohne lange Debatte, einfach "gekippt". An ihrer Stelle erschien ein Text eines der anderen Kolumnisten. Eine richtige Begründung dafür wurde mir nie gegeben, aber nach langem Insistieren wurde mir angedeutet, daß dies etwas mit den Springer-Essentials zu tun habe, die man offenbar durch diesen Abdruck zu verletzen fürchtete. Die Kolumne erschien in aktualisierter Form in der PAZ.

Eine Ablehnung eines meiner Texte aus politischen Gründen war für mich, der 30 Jahre lang Herausgeber und also mein eigener Chefredakteur gewesen war, etwas Neues. Ich kannte, selbst in meiner Kommunistenzeit, keine Essentials, die die Ablehnung eines Textes nahelegten. Deshalb bin ich der Sache nachgegangen. Den Wortlaut der "Springer-Essentials" kenne ich nicht, höre aber, daß sie Bestandteil jedes Arbeitsvertrags bei Springer sind. Sie verpflichten den Redakteur, die Lehren aus der deutschen Vergangenheit zu ziehen und also stets der Verpflichtung zu gedenken, die wir den Opfern des jüdischen Volkes schulden und dem Staat Israel, den die Überlebenden des Mordes an den Juden in Europa gegründet haben.

Ich bezweifele nur, daß der Verlagsgründer, lebte er heute noch, dieser leidenschaftliche Gegner allen Unrechts und ganz besonders der unmenschlichen Diktatur der deutschen Kommunisten, mit der Umbenennung und Verharmlosung der israelischen Mauer in einen "Schutzzaun" oder einen "Sicherheitszaun" einverstanden wäre. Axel Springer war jederzeit in der Lage, die Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das sollten auch die bedenken, die er dazu bestimmt hat, sein journalistisches und moralisches Erbe zu hüten und darüber zu wachen.

Bauen wir den Schutzzaun um Israel ab, den wir alle nach 1945 aus achtenswerten Gründen, erschüttert über die jüdischen Opfer der Hitlerdiktatur, errichtet haben und der heute oft nur noch aus wohlfeilem Prosemitismus aufrechterhalten wird. Und behandeln wir Israel endlich als das, was es am liebsten sein möchte, als ein normales Land. Einen der wichtigsten Partner Europas. Israel ist nach der Herkunft des überwiegenden Teils seiner Bewohner ein europäisches Land, die aus den USA stammenden Einwanderer kommen ebenfalls aus einem Land mit europäischen Wurzeln, europäischer Bildung und Kultur. Sie haben eine ähnlich strukturierte Wirtschaft, sie hören die gleichen Lieder, lesen die gleichen Bücher und sehen die gleichen Filme wie Franzosen und Deutsche und Polen, selbst die kurzlebigen Idole der Pop-Kultur der Jugend sind die gleichen. Die im Land geborenen Israelis fühlen sich als aufgeklärte Erbauer und Nutznießer einer hochentwickelten Zivilisation inmitten einer von religiösem Fanatismus beherrschten, fremden und unterentwickelten und Jahr für Jahr weiter verelenden arabischen Bevölkerung, mit der sie in Frieden leben und deren Wirtschaft sie aufbauen könnten.

Israel gehört weit eher in die EU als die Türkei. Vor allen Dingen: Israel ist eine funktionierende Demokratie. Eine Demokratie freilich mit einem zur Zeit ausufernden militärischen Machtapparat, der jeden Ansatz von Verständigung im Keim erstickt, wie auf der anderen Seite die Haßprediger und Terroristen jeden Ansatz von Vernunft im besetzten Palästina unterdrücken.

Es wird Zeit, das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis gründlich zu überdenken. Laßt uns die lange Epoche der gutgemeinten, aber längst zu einem anbiederischen und heuchlerischen Ritual des Polit-Tourismus gewordenen Beziehungen zu Israel einschließlich der obligatorischen Jerusalem-Besuche mit wohlfeilen Schuldbekenntnissen beenden und die Israelis als zukünftige Verbündete behandeln, die mit uns einen gemeinsamen Feind haben: den Terrorismus. Mit islamistischer Motivation und einem Anhängerstamm aus verarmten, gering ausgebildeten und ständig ohne Perspektive lebenden Menschen.

Ich glaube, Israel braucht jetzt eine andere Art von deutscher Hilfe als die bisher aus schlechtem Gewissen unentwegt, aber auch immer mit Murren getätigten Geldzuwendungen und die ständig dorthin pilgernden Besuchergruppen mit Selbstbezichtigungen auf den Lippen. Es braucht Freunde. Reichen wir als Deutsche den Israelis die Hand, aber von nun an ohne kollektive Schuldgefühle, Befangenheit und ohne heuchlerischen, anbiederischen Prosemitismus. Und als Freunde sagen wir ihnen ganz offen die Wahrheit: Israel mit seiner bisherigen Politik war bisher offene Flanke des Westens gegen den militanten Islamismus. Ein großen Teil des Zulaufs für den Terrorismus und dessen außergewöhnliche Steigerung in den letzten Monaten basiert auf der israelischen Besatzungspolitik in dem von ihm in drei Kriegen eroberten Land. Jedenfalls wird diese Besatzungspolitik der Armee, die manchmal sogar eine Besatzer-Willkür ist, von den Untergrundhetzern der Al Kaida und den Haßpredigern der Hamas und des Dschihad Islami zum willkommenen Anlaß genommen, neue Wellen psychisch verwirrter Selbstmörder und Selbstmörderinnen ins Land zu schicken. Aber diese jungen Leute brauchen keine jahrelange Gehirnwäsche, um von explodierendem Haß erfüllt zu sein. Es genügt oft, Augenzeuge einer einzigen Militäraktion der israelischen Armee gewesen zu sein, mit erschossenen oder von Raketen zerrissenen Frauen und Kindern. Bis sie weit und breit keinen Ausweg mehr sehen als diesen jämmerlichen, ohnmächtigen Selbsthaß, aus dem die Bereitschaft zur Selbsttötung kommt, und kein anderes Gefühl als diesen Haß, der durch keine Mauer aufgehalten werden kann. Das muß ein Ende haben.

Die Israelis haben es nicht nötig, daß wir ihre Mauer und ihre Militär-Aktionen und Hinrichtungen durch verbale Schutzräume und Schreibtabus verteidigen. Offenheit tut not, wie sie der international renommierte und in Deutschland vielgelesene Schriftsteller Amos Oz schon 2003 bewies:

"Woche um Woche zeigen Meinungsumfragen in Israel und Palästina sehr eindrücklich, daß auf beiden Seiten mehr als 70 Prozent für eine Waffenruhe sind, für den Friedensplan und für die Zwei-Staaten-Lösung - Israel und Palästina Seite an Seite.

Der Feind des Friedens ist die ‚Koalition' der Fanatiker auf beiden Seiten. Diejenigen, die jeden Kompromiß ablehnen und der anderen Seite nur das Recht zugestehen, entweder zu sterben oder zu verschwinden.

Wie kommt es, daß diese Gruppierungen fanatischer Araber und extremistischer Juden es immer wieder schaffen, den Weg zum Frieden zu blockieren und uns in den Teufelkreis von Gewalt und Rache hineinzuzwingen?

‚Gleichzeitigkeit' ist das Stichwort. Palästina muß die Terrorgruppen entwaffnen, und zugleich muß Israel, notfalls mit Gewalt, die illegalen Siedlungen auflösen."

Mauer wird als "Schutzzaun" verharmlost

Israel gehört weit eher in die EU als die Türkei

Die Springer-Presse unterdrückt Kritik wegen des Holocausts


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren