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15.04.06 / "Knallrot, Blitzblau, Donnergrün" / Das Papiertheater brachte einst die große Welt in die stille Stube, heute wird es im Museum bestaunt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. April 2006

"Knallrot, Blitzblau, Donnergrün"
Das Papiertheater brachte einst die große Welt in die stille Stube, heute wird es im Museum bestaunt
von Silke Osman

Einen großen Zeitraum von mehreren Jahren habe ich meine ganz Freizeit außer der Schule mit der Direktion meines Puppentheaters ausgefüllt: zwei Schulkameraden, Krebs und Olhuus, waren dabei meine Gehilfen. Eine alte Jungfrau, bei der Olhuus wohnte, half uns die Puppen, die freilich nur aus Papier waren, ausschneiden und eiserne Drähte daran befestigen. Sie ließ in den Aufführungen den Papageno tanzen und sang dazu mit einer schönen Fistelstimme: ,Der Vogelhändler bin ich ja, hops heissa lustig, hopsasa!' was mir die ungemischteste Freude machte", erinnerte sich der Dichter Theodor Storm an seine frühe Jugend.

Mozarts "Zauberflöte" und Schillers "Räuber" standen auf dem Programm der jungen Theaterleute, doch bald wurde es ihnen zu langweilig, fremde Theaterstücke genügten ihnen nicht mehr. Also machten sie sich daran, selbst Stücke zu schreiben und diese zur Freude ihres Publikums aufzuführen. Dafür mußten natürlich auch die Kulissen entworfen werden. "Ich malte Felsdekorationen mit unzähligen Uhus, Fledermäusen und Teufeln mit roten Augen", so Storm, der sich übrigens in seiner Begeisterung für das Papiertheater in guter Gesellschaft befindet.

Thomas Mann läßt Hanno Buddenbrook, sein Alter Ego, die Freude über ein solches Theater erleben. Franz Werfel und Albrecht Goes waren "Regisseur, Sprecher und Zuschauer", und schon Friedrich Schiller spielte als Junge mit selbst gemalten Pappfiguren. Der Sänger Friedrich Fischer-Dieskau bekannte: "... zwischen den Pappkulissen aus dem Neuruppiner Bilderbogen hat sich mein Schicksal geformt." Auch bei dem späteren Krimi-Filmer Jürgen Roland war es ein Figurentheater, das ihn in seiner Jugend begeisterte und mit dem er als Sextaner Klassiker aufgeführt hat.

Nicht immer mußten die Regisseure und Puppenspieler auch für die passende Kulisse sorgen. Die wurde meist in gedruckter Form von entsprechenden Verlagen geliefert. Joseph Scholz in Mainz hatte um 1840 mit der Produktion begonnen; er verwendete Vorlagen von Karl Friedrich Schinkel, dem großen preußischen Baumeister, der ja auch Bühnenbilder entwarf. Der Bühnenausschnitt war durchschnittlich 30 x 40 Zentimeter groß. Ab 1880 brachte Schreibers Kinderbuchverlag in Esslingen große Blätter im Format 50 x 60 Zentimeter mit Proszenium (Teil der Bühne zwischen Vorhang und Orchester), Dekorationen und Figuren heraus. Die für ihre Neuruppiner Bilderbogen berühmten Verlage Gustav Kühn und Oehmigke & Riemschneider (in mehr als acht Jahrzehnten erschienen weit über 20000 Bilderbögen, die an heutige Comics erinnern) druckten auch Theaterbilderbögen in hohen Auflagen und erreichten ein breites Publikum. Eine frühe Werbeanzeige des Verlags Kühn versuchte die Interessenten mit einem flotten Spruch zu ködern: "Knallrot, Blitzblau, Donnergrün, gedruckt und zu haben bei Gustav Kühn." Weit über 50 Verleger und Drucker veröffentlichten allein in Deutschland die beliebten Theaterbögen.

Entstanden war die Liebe zum Theater im Miniaturfomat im frühen Biedermeier. Begünstigt durch die Erfindung der Lithographie durch Aloys Senefelder 1798, mit der man Drucke in hohen Auflagen und dazu noch preisgünstig herstellen konnte, und durch die Begeisterung des Bürgertums für das Theater fand sich bald in fast jedem bürgerlichen Haushalt ein solches Mini-Theater. Das Welttheater in der stillen Stube war oft auch für diejenigen, die sich einen richtigen Theaterbesuch gar nicht leisten konnten, eine gelungene Alternative.

Allerdings war Geschicklichkeit gefordert: Bis in die kleinsten Details mußten die Vorlagen ausgeschnitten werden, Sägen, Schmirgeln und Leimen inbegriffen. Um schließlich das Lieblingsstück ohne Probleme über, oder besser auf die Bühne zu bringen, brauchte man natürlich auch den richtigen Text. Den lieferten die Verlage gleich mit - inklusive der Regieanweisungen. Die meist stark gekürzten Fassungen der Stücke erregten zwar so manches Mal auch ungewollte Heiterkeit im Publikum, doch konnten die Akteure mittels Blitz (durch kolophoniumgefüllte Papierröhren) und Donner (durch ein entsprechend zu bearbeitendes Blech) die Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen lenken.

Possen und Märchen wie "Schneewittchen", "Rotkäppchen" oder "Aschenbrödel" waren natürlich sehr beliebt, doch auch vor großen Opern, die heute längst zu den Klassikern zählen, machte man nicht halt. So wurde Carl Maria von Webers "Der Freischütz" von nicht weniger als 16 Firmen mit 25 verschiedenen Figurenbögen angeboten.

Im 20. Jahrhundert schließlich verlor das Papiertheater an Bedeutung. Das lag einmal an dem Wandel in der Theaterwelt, auch konnte sich bald jeder einen Platz im Theater leisten. Hinzu kam natürlich auch die rasante Entwick-lung der Massenmedien. Film, Radio und später das Fernsehen liefen dem (Papier)theater den Rang ab. Heute sind es Sammler, die durch Ausstellungen und öffentliche Aufführungen dem zum Kinderspielzeug degradierten Papiertheater wieder Geltung verschaffen.

In Europa gibt es nur zwei Museen, die sich ausschließlich mit Papiertheatern beschäfigen, eins im schwedischen Nyköping (Gripemuseet, Prästgatan 12), eins im Schloß Philippsruhe in Hanau. Seit 1990 kann der Freund der Miniaturwelt im linken Obergeschoß des Schlosses die Sammlung bestaunen. Dem Verein Forum Papiertheater, der diese Abteilung betreibt, steht auch ein kleines Theater zur Verfügung, in dem bis zu 30 Zuschauer Platz finden. Auf der kleinen Bühne zeigen regelmäßig zwei Spielgruppen aus Hanau ihre Stücke. Besonders begeisterte Freunde der Miniaturwelt vergessen bei den Aufführungen natürlich nicht, ein Opernglas mitzubringen.

Im kleinen Museum sind Beispiele aus verschiedenen Sammlungen zu sehen, darunter zwei Bühnen mit der Ausstattung zu Wagners "Lohengrin". Auch der wohl beliebteste Dramatiker selbst für kleinste Bühnen, Friedrich Schiller, ist dort vertreten. Ihm ist ein ganzer Raum gewidmet. Wilhelm Tell, Maria Stuart, die Jungfrau von Orléans, die Räuber und Wallenstein dürfen bestaunt werden. Doch auch die Moderne wird gewürdigt, so sind unter anderem Figuren und Kulissen aus dem Musical "Joseph" zu sehen. Ein Theater in einer Streichholzschachtel weckt immer aufs neue die Neugier der Besucher. Diese kleinsten Schöpfungen sind übrigens auch im Museumsladen zu erwerben.

Papiertheater ist nicht nur eine liebenswerte Spielerei, davon ist Helmut Wurz, der mit anderen Sammlern das Museum erst möglich machte, überzeugt: "Zahlreiche Inszenierungen aus dem

19. Jahrhundert sind uns nur dank des Papiertheaters erhalten geblieben." Und so kümmern sich die Hanauer nicht nur um eine Erweiterung der Sammlung, sie katalogisieren und archivieren alte Papiertheater, bearbeiten Anfragen von Sammlern und Organisationen und beraten in Fragen der Spieltechnik. Alle zwei Jahre richten sie darüber hinaus ein Symposium aus, das europaweit Beachtung findet. Denn nicht nur in Deutschland interessiert man sich (wieder) für diese Miniaturwelt. Internationale Festivals der Papiertheaterfreunde finden im französischen Troyes, im britischen Ramsgate, in New York und in Preetz statt. Dort, in Schleswig-Holstein, treffen sich alljährlich im September Menschen aus aller Welt zum größten Festival dieser Art, tauschen Erfahrungen aus und beleben die alte Tradition des Papiertheaters, von dem der dänische Schriftsteller Peter Høeg einmal sagte: "Es ist nichts, nur Papier, und doch ist es die ganze Welt."

Das Hanauer Papiertheatermuseum, Schloß Philippsruhe, 63446 Hanau, ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Im Internet gibt es unter www.papiertheater-forum.de oder unter www.invisius.de weitere eingehende Informationen.

Papiertheater in Schloß Philippsruhe: Nur Papier und doch die ganze Welt

Foto: Papiertheatermuseum Hanau


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