29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.04.06 / Die Einheitsidee kam

© Preußische Allgemeine Zeitung / 15. April 2006

Die Einheitsidee kam von der SPD
Vor 60 Jahren wurde im Berliner Admiralspalast die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gegründet
von Manuel Ruoff

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß die Vereinigung der (mittel)deutschen Kommunisten und Sozialdemokraten nach dem Zweiten Weltkrieg ursprünglich nicht von den Kommunisten, sondern vielmehr von sozialdemokratischer Seite vorgeschlagen wurde.

Hintergrund war zum einen das vorausgegangene gemeinsame Leiden von SPD- und KPD-Mitgliedern in NS-Haft. Es war aber auch ein in der SPD weit verbreitetes Geschichtsbild, das später die 68er in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung gesellschaftsfähig gemacht haben: Die Spaltung der Arbeiterschaft beziehungsweise Arbeiterklasse in Kommunisten und Sozialdemokraten sei eine Tragödie, welche die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten als lachende Dritte erst möglich gemacht habe. Die SPD habe in der Novemberrevolution von 1918 vor der Wahl gestanden, entweder mit den bürgerlichen Parteien des Liberalismus und des Katholizismus eine bürgerlich-liberale, kapitalistische Ordnung zu errichten oder mit den Kommunisten den Sozialismus aufzubauen. Die SPD habe sich für ein Bündnis mit den Bürgerlichen entschieden und sei 1933 von den bürgerlichen Koalitionspartnern bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz schmählich verraten und im Stich gelassen worden. Während die Bürgerlichen sich mit den neuen Machthabern in hohem Maße arrangiert hätten, hätten die Sozialdemokraten und mehr noch die Kommunisten für ihren Widerstand in den Konzentrationslagern einen hohen Blutzoll entrichtet. Weimar sei insofern eine Lehre und eine Wiederholung zu verhindern.

Derartige sozialdemokratische Vereinigungswünsche scheiterten anfänglich, sprich unmittelbar nach dem Ende der NS-Herrschaft, an den unter dem Einfluß der aus dem russischen Exil zurückkehrten Apparatschicks stehenden Kommunisten. Die Stalinisten glaubten, zumindest in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands aus eigener Kraft die Meinungsführerschaft erringen zu können. So gründeten die Kommunisten ihre KPD neu und die Sozialdemokraten mußten nolens volens mit ihrer SPD das gleiche tun.

Um auf möglichst viele Deutsche attraktiv zu wirken (und um die Beziehungen der Sowjetunion zu den Westalliierten zu schonen), gaben sich die Kommunisten ein im Vergleich zur Weimarer Zeit ausgesprochen gemäßigtes Parteiprogramm, das kurioserweise "rechter", sprich bürgerlicher und weniger sozialistisch war als das der SPD. Dort bekannten sich Walter Ulbrichs Genossen zur parlamentarischen Demokratie und den bürgerlich-liberalen Idealen der 1848er Revolution, was die KPD auch für gemäßigte Sozialdemokraten akzeptabel erscheinen ließ.

Mehr noch als auf ihr gemäßigtes Parteiprogramm setzten die Kommunisten auf ihr enges Verhältnis zur sowjetischen Besatzungsmacht und die daraus resultierende Privilegierung. Trotz dieser Bevorzugung durch die Russen oder gerade deshalb gelang es der KPD aber nicht, die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Die Deutschen erkannten, daß die Loyalität der KPD nicht den deutschen Arbeitern, sondern den russischen Besatzern gehörte. Angesichts der Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch Rotarmisten, der Deportationen Deutscher in die Weiten Rußlands, der enormen Demontagen und Reparationen in beziehungsweise aus der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sowie der Verantwortung der Sowjetunion für die Vertreibung der Ostdeutschen wirkte die Identifizierung der KPD als "Russenpartei" fatal auf deren Akzeptanz in Deutschland.

Desillusionierend mußten auf die Stalinisten in Deutschland und Rußland die Ergebnisse der im November 1945 abgehaltenen Parlamentswahlen in Ungarn und Österreich wirken, die ja auch mindestens teilweise sowjetisch besetzt waren. In Ungarn erreichten die Kommunisten nur 70 Parlamentssitze, während die Partei der Kleinlandwirte 245 und die Sozialdemokraten immerhin 69 der insgesamt 409 Sitze gewannen. Und in Österreich wurden die Kommunisten mit nur vier Sitzen von der Volkspartei mit 85 und den Sozialisten mit 76 Mandaten klar deklassiert.

Diese Wahlergebnisse enthielten die klare Lehre, daß die KPD alleine Wahlen in Deutschland nicht würde gewinnen können, und bereits 1946 standen Parlamentswahlen in der sowjetischen Besatzungszone an. Ein Sieg bei diesen Wahlen war bestenfalls mit den Sozialdemokraten möglich, und deshalb bemühten sich Besatzungsmacht wie KPD, bis dahin eine Vereinigung zu erreichen.

Unter den Sozialdemokraten hatte mittlerweile das Interesse an einer Vereinigung indes stark nachgelassen. Man war enttäuscht, wie hemmungs- und rücksichtslos entgegen allen Bekenntnissen zur Demokratie sich die Kommunisten von der Besatzungsmacht begünstigen ließen. Zudem hatten auch die Sozialdemokraten mitbekommen, daß die Deutschen eher zu ihnen denn zu den Kommunisten tendierten, und das gab ihnen Selbstbewußtsein. Otto Grotewohl, Vorsitzender des Zentralausschusses (ZA) der SPD, brachte dieses neue Selbstbewußtsein in jenem Herbst 1945 zum Ausdruck, in dem er den Führungsanspruch seiner Partei anmeldete: "Wenn heute ein neuer Staat aufzubauen ist, so ist die deutsche Arbeiterklasse und in ihr die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zuerst dazu berufen, diesen neuen Staat zu errichten." In der SPD sah er den zukünftigen "Sprecher für die deutsche Arbeiterklasse ..., der berechtigt und berufen ist, im Namen des gesamten deutschen Volkes mit den Alliierten und damit mit der Welt einmal wieder zu reden". Er begründete das damit, daß die bürgerlichen Parteien nicht von der Sowjetunion und die KPD nicht von den Westalliierten als Vertretung des deutschen Volkes anerkannt würden.

Nichtsdestotrotz verkündete eine paritätisch von der KPD und der SPD mit je 30 Vertretern beschickte sogenannte Sechziger-Konferenz als Ergebnis ihrer Zusammenkunft am 20. und 21. Dezember 1945 die Herausgabe einer gemeinsamen Zeitschrift mit dem programmatischen Titel "Einheit" und ein Kommuniqué mit der Zielvorgabe einer "Verwirklichung der politischen und organisatorischen Einheit der Arbeiterbewegung", das hieß die "Verschmelzung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Partei Deutschlands zu einer einheitlichen Partei". Das war eine Vorentscheidung.

Am 19. und 20. April 1946 tagten in Berlin der 15. KPD- und der 40. SPD-Parteitag. In beiden fand der Antrag auf Vereinigung eine Mehrheit. Am 20. und 21. April traten daraufhin entsprechenden der Anzahl der Parteimitglieder 548 SPD- und 507 KPD-Delegierte im Admiralitätspalast der Reichshauptstadt zusammen und beschlossen einstimmig die Vereinigung der beiden Parteien zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Als Parteiemblem wurde der Händedruck des Vorsitzenden des Zentralkomitees (ZK) der KPD, Wilhelm Pieck, und des Vorsitzenden des Zentralausschusses der SPD, Otto Grotewohl, gewählt, die nun beide als (formal) gleichberechtigte Vorsitzende an der Spitze der neuen Einheitspartei standen.

Die Frage, ob es sich um eine Zwangsvereinigung handelte, hängt maßgeblich mit der Frage nach den Gründen für die Zustimmung der Sozialdemokraten zusammen. Um diese Zustimmung zu erreichen, nutzten die Sowjetische Militäradministration und die KPD Zuckerbrot und Peitsche.

Zu dem Zuckerbrot gehörten neben der Korrumpierung sozialdemokratischer Funktionäre durch die Besatzer mit materiellen Vorteilen beziehungsweise der Aussicht auf solche der Grundsatz der paritätischen Besetzung der Parteivorstände auf allen Ebenen durch Sozialdemokraten und Kommunisten sowie die auf dem SED-Gründungsparteitag beschlossenen sogenannten Grundsätze und Ziele. Diese "Grundsätze und Ziele", welche die Rolle eines provisorischen Parteiprogrammes einnahmen, erhielten nämlich ein Bekenntnis zu dem vom KPD-Chefideologen Anton Ackermann vorgeschlagenen besonderen, nämlich demokratischen deutschen Weg zum Sozialismus.

In der Tat läßt sich feststellen, daß die SED, die vor 60 Jahren zur Abstimmung stand, hinsichtlich der dort beschlossenen "Grundsätze und Ziele" sowie des Organisationsstatuts vielmehr einer sozialdemokratischen Massenpartei denn einer bolschewistisch-leninistischen Kaderpartei, einer sogenannten Partei neuen Typs nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), glich. Letztere wurde sie erst später, nachdem die Beute, sprich die mitteldeutsche Sozialdemokratie, im Sack war und als Ergebnis des Kalten Krieges und der deutschen Spaltung auf die Westmächte und die Öffentlichkeit in den deutschen Westzonen keine Rücksicht mehr genommen wurde.

Dort, wo das Zuckerbrot nicht wirkte, kam die Peitsche zur Anwendung. Erklärte Gegner der Vereinigung erhielten von der Sowjetischen Militäradministration Redeverbot, wurden verhaftet und mußten ihren Widerstand teilweise sogar mit dem Leben bezahlen. Der mecklenburgische Landessekretär Willi Jesse etwa wurde noch nach der Vereinigung festgenommen, angeklagt und für mehrere Jahre in der Sowjetunion inhaftiert. Um die Verhandlungsposition des SPD-Zentralausschusses zu unterminieren, versuchten Besatzungsmacht und KPDler die Vereinigung auf unterer Ebene schon vor dem offiziellen Zusammenschluß durchzusetzen, um so von unten her Druck herzustellen. Der bei einer demokratischen Partei wie der SPD naheliegende Versuch einer Urabstimmung unter den Parteimitgliedern in der SBZ oder zumindest doch der Reichshauptstadt wurde von der Besatzungsmacht unterbunden.

Daß die Sowjets dafür ihre guten Gründe hatte, zeigt die Abstimmung in West-Berlin, die sie nicht unterbinden konnten. Von den 73 Prozent der abstimmungsberechtigten 32547 Sozialdemokraten, die sich an der Abstimmung beteiligten, sprachen sich am 31. März 1946 82 Prozent gegen eine sofortige Vereinigung mit den Kommunisten aus. Zur vollständigen Wahrheit gehört allerdings auch, daß 62 Prozent sich für "ein Bündnis, welches gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf ausschließt", aussprachen.

Ein Händedruck, der zum Parteiemblem wurde: Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl auf dem Gründungsparteitag der SED im Berliner Admiralspalast (von links nach rechts). Rechts daneben sitzt Walter Ulbricht, der einige Jahre später die Führung der Partei übernehmen wird. Foto: Archiv


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren