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06.05.06 / Barfuß durch die "Bronx"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. Mai 2006

Barfuß durch die "Bronx"
von Klaus Rainer Röhl

Der Autor wollte ein paar alte Bekannte von früher in den Berliner Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg besuchen. Er benutzte die U-Bahn, den Bus und wanderte zu Fuß durch die Straßen der einst vielgerühmten Vorzeigeviertel der urbanen Multikultur und Lebenskunst. Was ihm da begegnete, kann man vom Auto aus nicht wahrnehmen: Der multikulturelle Traum ist ausgeträumt. Seit die Millionen Senatsgelder nicht mehr wie ein warmer Regen auf die verwahrlosten Bezirke fallen, herrscht Krieg im "Kiez".

 

Rauch, Himmel und Licht. Patschuli und Flieder. Der Frühlingswind ist noch kühl, aber man sitzt schon gern in der Sonne.

Restaurants, kleine Läden; Verkaufsstände Tür an Tür. Auf den Bürgersteigen vor den zum Teil frisch restaurierten alten Stuckhäusern sitzen, stehen oder liegen ihre Bewohner, fast ausnahmslos junge Leute. Die meisten flanieren auf der Straße, aber ohne Hast. Alle lachen und rufen sich Grüße oder Termine zu; bis bald. Es ist ein lebhaftes Auf und Ab, Mädchen mit roten Haaren, so hennarot und künstlich, daß sie wie Hüte wirken, junge Männer mit übernächtigten Gesichtern und abenteuerlichen Lang- oder Extremkurz-Frisuren (Glatze mit Wikingerzopf). Manche hocken im Schneidersitz samt ihren an Augenlidern, Nase und Mund "gepiercten" Mädchen auf Bastmatten im arabischen Café, schlürfen dicken grünen Pfefferminztee und lesen Foucault. Nebenan ist ein "Italiener", aus dessen offener Tür Operettengeigen zirpen, die Tische stehen draußen, aber viele ruhen lieber entspannt in indischen Korbstühlen im Grünen Garten, probieren genießerisch bei Barcomi frischgerösteten Kaffee aus 13 Ländern der Erde, andere liegen einfach wie absichtslos auf einer weggeworfenen Matratze, Arbeitslose, Schüler, Studenten, Künstler, Ausgeflippte aller Nationen, Araber, Chinesen, Inder - Schwarze, Weiße, Braune, Gelbe, einigt euch und schließt die Reihen - rufen einander Scherzworte in klanglich verschieden gefärbtem Deutsch zu; Deutsch ist, wie ein feinsinniger Redakteur des "Berliner Tagesspiegels" mal bemerkte, hier die lingua franca - eine völkerverbindende Sprache - da freuen wir uns aber.

Durch diese quirlige, aufgekratzte Theaterlandschaft strömen in großen Pulks Schulkinder in allen Hautfarben, lachend und albernd, mit ihren - wenigen - deutschen Mitschülern, Fahrräder zischen atemberaubend knapp durch die Fußgänger. Alle haben Zeit. Offenkundig auch Geld.

Jeder verkauft jedem irgend etwas. Alte Bettgestelle, Bücher, Nippes, angeblich selbstgedrehten Silberschmuck (in Wirklichkeit Ramschware aus Pakistan und Taiwan; den gleichen Schmuck kann man nächtlich an der Seine oder in Knokke am Strand kaufen, vom immer gleichen Hasch- und Patschuliduft umgeben), Vollwertplätzchen, "Greenpeace"-Poster, "selbstgefertigte" Matratzen und hängematten und Korbmöbel (aus Indonesien). Vor ihren Füßen spielen Scharen von Kindern Karate.

Vor einer Tür hockt auf einem Kissen ein sehr blasser, hohlwangiger, nicht mehr ganz junger Mann. Philosoph? Jungfilmer? Soziologiestudent im 30. Semester? Sein nackter Arm ragt aus seinem Wollumhang und hält einen kleinen Plastikbecher, den er den Besuchern entgegenstreckt, und nur seine tiefliegenden Augen sagen: "Haste mal 'nen Euro?"

Hier ist noch Traumland, Multikultiland, Erlebnisurlaub ganzjährig betrieben von einer Traumfabrik namens Berliner Senat, gegründet zur Zeit der rot-grünen Koalition, das ist der schöne, heitere, völkerverbindende Kiez.

Das ist der Kiez, dessen frühere Bewohner, Arbeiter und Rentner, kleine Leute insgesamt, und deren Gemüsehändler, Fleischer und Brötchenbäcker mehr oder weniger vertrieben wurden oder freiwillig wegzogen - oder noch da sind und von ihren Balkons, etwas irritiert durch den täglichen Zirkus, aber auch ein bißchen verbiestert, dem bunten Völkchen da unten zuschauen, abends in der letzten deutschen Bierkneipe ein Bier nach dem anderen trinken, alles Mist, alles Mist rufen und bei der nächsten Wahl die Republikaner wählen - oder die PDS.

Früher war hier eine Arbeitervorstadt. Mietskasernen nannte man die Häuser. Etwa dreihundertfünfzigtausend Arbeiter lebten in Kreuzberg und wählten den SPD-Mann Kreßmann zum Bürgermeister - in dessen Rathaus ich damals die erste Tucholsky-Ausstellung eröffnete. Die Häuser waren verlottert durch Kriegs- und Nachkriegszeit gekommen und hatten meistens kein Bad und keine Etagenheizung. Die Arbeiter versuchten, so gut es ging, am Wirtschaftswunder teilzunehmen, schafften sich einen VW an, schufteten für die Rente und wählten Willy Brandt. Den Kommunismus mit seiner verluderten Wirtschaft verachteten sie und machten viele Witze darüber mit ihrer scharfen Berliner Schnauze.

In der U7 lümmeln ein paar deutsche Halbwüchsige mit überdimensionalen, klobigen Turnschuhen über zwei, drei Sitzplätze. Die alten Leute stehen. Die alten Frauen oder Männer halten die Hände um die Haltegriffe gepreßt, mit etwas verschüchterten Gesichtern (bloß nicht meckern, nicht anecken, nur heil nach Hause kommen!) und sehen zu, wie eine Gruppe junger Türken auf zwei junge Schwarze einredet, Pidgin-Deutsch gegen Pidgin-Englisch, etwas in der Art wie "Wir dich nicht gerufen, Mann".

Dann fliegt die Tür auf und ein abenteuerlich sogar im Gesicht tätowiertes Pärchen (Punker? Drogenabhängige?) mit zwei filmreif struppigen, Speichel sabbernden Hunden rauscht herein. Wir brauchen Geld. Keine Arbeit, keine Wohnung, Sozialhilfe reicht nicht aus. Dies hier ist eine Art Abkassieren, wie es früher der Schaffner tat. Ziemlich aggressiv. Fast alle geben ein paar Münzen. Die türkischen Jugendlichen lachen nur. Die tätowierten Punks oder Drogenfreaks wollen schon wieder gehen, als auf der nächsten Station ihre Gegenspieler, junge uniformierte Wachleute mit kurzen Haaren, den Waggon betreten, auch sie mit Hunden. Die Hunde knurren verhalten. Die Hundebesitzer starren sich an. Es knistert in der Luft. Trotzdem atmen einige von den alten Rentnerinnen spürbar auf und lächeln den jungen Wachmännern aufmunternd zu, endlich mal.

Vom Hermannsplatz einbiegen in die breite, endlos lange Sonnenallee, die sich in viele Nebenstraßen verzweigt. Straßenbild und Passanten täuschen das Bild einer rein türkischen Stadt vor. Mit deutscher Minderheit, kurz vor der Flucht. Kaum ein deutsches Ladengeschäft - auf vielen hundert Metern. Vielleicht sitzen irgendwo in diesen Häusern noch ein paar deutsche Rentner und kinderreiche Familien, die nicht rauskönnen, die niemand hier rausholt. Weg wollen sie alle. Der kleine Papierladen, eingeklemmt zwischen unzählige türkische Läden und Firmen, will demnächst zumachen. Auch die letzte Altberliner Bierkneipe an der Ecke Elbestraße macht dicht. Kommt ja abends keiner mehr hin.

Hier gibt es kein Multikulti und erst recht keinen Schmelztiegel. Es ist eine türkische Stadt, die größte außerhalb der Türkei, mit Reisebüros, Banken, Großhändlern, Maklern; sogar ein riesiges Modegeschäft für Hochzeits- und Beschneidungsfeste findet sich in der Sonnenallee. Ist auch nötig, denn wenn die von ihren Mamas gehätschelten jungen Türken sich ausgetobt haben in ihrer Stadt und die väterliche Dönerbude zu einem "Italiener" oder "Spanier" umgebaut haben, werden sie heiraten. Ein Mädchen, das unter dem Kopftuch und in der Furcht vor dem Herrn großgeworden ist, möglichst aus dem Mutterland. Sicherlich heiraten sie nicht eine der halbemanzipierten, aufgeklärten Schwestern ihrer Freunde aus dem feministischen Ausländerprojekt MaDonna in Neukölln. Im Gegenteil. Frauengruppen, besonders lesbische, werden zunehmend zu einem Ziel türkischer Gewaltkriminalität. Das haben die jungen Machos gar nicht gerne, daß ihre Schwestern abends noch ins Frauenprojekt oder in die Frauenkneipe gehen und vielleicht sogar noch einkaufen im feministischen Sex-Shop und Reizwäscheladen Weibration am Alfred-Döblin-Platz; oft genug überfallen die Jugendgangs lesbische Frauen oder pöbeln sie zumindest an.

U-Bahnhof Kottbusser Tor. Die Menschen, die hier aus der U8 steigen oder vor dem Bahnhof stehen, sind fast ausnahmslos Türken. Riesige Wohnmaschinen, von einem zutiefst menschenfeindlichen Architekten erdacht, bis hoch zum Balkon von groben, phantasielosen Graffiti bedeckt (Berlin hat zwölftausend Graffiti-Schmierer) sind der überwältigende erste Eindruck. Dann fällt der Blick auf die Islam-Bank, das Reisebüro Hara Yollari, die Türkish Airlines, eine türkische Spedition, wir biegen ein in die Oranienstraße, oder sollten wir besser sagen Orhaniye? Kein Berlin-Besucher wird vom Senat hierhergeführt, kein Politiker geht zu Fuß durch diese "Bronx". Es ist eine fremde, harte, gar nicht sehr gastliche Welt, ein wenig wie das abgeriegelte Türkenviertel von Nikosia, eine Art Ostberlin auf der schönen griechischen Insel Zypern.

Oranienplatz, Adalbertstraße, Mariannenstraße, Mariannenplatz, Skalitzerstraße bis Görlitzer Bahnhof, heute mehrheitlich Gülizar genannt. Hier ist jeder zweite Einwohner Türke, bei den Kindern und Jugendlichen ist der Anteil sehr viel höher. Gar nicht multikulti und fröhlich, eher provozierend wirken die lärmenden Gruppen von türkischen Halbstarken, die, in modische Sportklamotten gekleidet, schon mal untergehakt den ganzen Bürgersteig einnehmen und Selbstbewußtsein demonstrieren.

Es ist diese Vielzahl, die das Umkippen des Viertels sichtbar macht, Hunderte, Aberhunderte flanieren auf dieser einen Straße, dazwischen die fröhlich zwitschernden Zweier- und Dreiergruppen türkischer Schülerinnen, eingewickelt in Kopftücher und Schlabberhosen bis zur Zehenspitze. Sie müssen schnell nach Hause, da dürfen sie das Kopftuch ablegen, helfen der Mutter in der Küche und hüten die vielen kleinen Geschwister. Es ist auch ihre Stadt. Ihre und die der deutschen Sozialhilfeempfänger und Problemfamilien, die verstärkt in die freiwerdenden Wohnungen eingewiesen werden, Alkoholiker oft oder Drogenabhängige.

Der Regen macht die Riesenlöcher im Bürgersteig sichtbarer, in jedem der Löcher bildet sich eine tiefe Pfütze. Zwischen den Pfützen breiten sich unübersehbar viele Haufen von Hundekot zu breiten Fladen aus.

Also gehen wir schwimmen? Geht auch nicht mehr. Es wimmelt angeblich von Pilzen, die ohnehin seit drei Jahren die Modekrankheit aller Alternativen sind, im großen neuen Spaß- und Freizeitbad - von tagelang nicht gewaschenen Füßen in billigen Kunststoffsöckchen, die in den teuren Marken Turnschuhen der Kinder Stecken; überzeugen Sie sich selbst - im Erlebnisbad.

Türkische Mädchen dürfen ohnehin von der fünften Klasse an nicht ins Schwimmbad, wenn auch nur die geringsten Anzeichen von Weiblichkeit sich zeigen, wenn die "Kopftuchzeit" beginnt. In der Schule dürfen sie nicht mitturnen, aber ihre 68er Lehrerin ist voller Verständnis. Klar, das verstehen wir, eine andere Mentalität, aber dafür machen wir morgen ein gemischtes Klassenfest mit türkischen Teppichen an der Wand und kleinen Häppchen und Saft, jeder soll etwas kochen und mitbringen. Die türkischen Mütter bringen Pommes frites mit Mayo und Ketchup mit. Sie wissen, was ihre Jungens wollen, auf keinen Fall Fladenbrot und Knoblauchquark, das bringen nur die Deutschen mit zum Kinderfest.

Und die vielen Sozialhilfe- und Asylantenkinder spielen heimlich und mit großer Spielfreude (Da müßte man ansetzen, meint die Lehrerin) Karate- und Horrorfilme nach, die sie am Abend vorher gesehen haben, und die die deutschen alternativen Kinder nie sehen dürfen - die meisten dieser Familien haben gar kein Fernsehen. Höchstens ein ganz kleines, altes Schwarzweißgerät, um Nachrichten zu sehen, den Irakkrieg oder die drohenden Transporte mit Atommüll.

Die alternativen Lehrerinnen sind, ehrlich gesagt, ziemlich am Ende ihres Soziologenlateins. Sie werden von den türkischen Eltern oft abgelehnt, weil "sie nur eine Frau sind" und können viele der jede Woche massenhaft aus den türkischen Provinzen nachziehenden analphabetischen Bauernkinder kaum verstehen, obwohl sie - Höhepunkt des Irrsinns - ihrerseits Türkischkurse besuchen. Aber in der Umgebung der Nüringerschule sprechen die Kinder fast nur die Provinzdialekte von Denizli und Samsun am Schwarzen Meer. So kann natürlich kein Kind integriert werden. Die Kinder können am Ende zwar den Koran auswendig, aber weder richtig Deutsch noch Türkisch.

Bei Erreichen von etwa 80 Prozent Ausländeranteil in den Schulklassen melden linke Eltern, die eben noch "tief betroffen" eine Demonstration oder eine Mahnwache gegen Ausländerfeindlichkeit organisiert haben, ihre Kinder unter den abenteuerlichsten Begründungen in Neukölln und Kreuzberg ab und in einem der noch nicht umgekippten Berliner Bezirke an. Plauderte die "taz" aus dem alternativen Nähkästchen.

Über die jugendlichen Banden der arbeitslosen Türken, die sich das Geld für ihre Modeklamotten und Designerturnschuhe einfach klauen (Türken betteln nie!), wird ein besonders feines linksdrehendes Soziologenblech geredet: Was bleibt, sind individuelle Überlebens- und Darstellungsstrategien, die selbstorganisierte Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und das Zurschaustellen der eigenen physischen Existenz. Von der Öffentlichkeit werden die Protestformen dieses Lumpenproletariats in Markenklamotten als Vandalismus, Kriminalität oder Machogehabe interpretiert.

Die "taz" schlägt Alarm: Wir erleben im Moment im linksliberalen Milieu ein lustvolles Türkenbashing. Au Backe. Türkenbashing heißt auf deutsch Türkenklatschen, ein Wort aus der Sprache der Skinheads. Ausländerfeindlichkeit im linken Lager?

Das Folgende muß nicht übersetzt werden: Endlich darf, ja muß über das geredet werden, was man bislang dem politischen Gegner auf der Rechten mit emphatischer moralischer Geste verbieten wollte - Fundamentalismus, türkische Gewaltkultur und Nationalismus. Die bunten Multikulti-Jahre sind vorüber. Im Kiez herrscht der Kampf.

Dicht gedrängt flanieren die Besucher am 1. Mai beim Straßenfest im Berliner Bezirk Kreuzberg durch die Straßen: Das "Myfest" wird seit einigen Jahren von Initiativen und Anwohnern Kreuzbergs selbst organisiert, um ein Gegengewicht zu den Ausschreitungen und Krawallen am Rande der Mai-Demonstrationen zu setzen. Foto: pa


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