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06.05.06 / In geheimer Mission / Adenauer-Biograph Schwarz über anglo-amerikanische Thriller-Autoren, ihre Weltbilder und die Wirklichkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. Mai 2006

In geheimer Mission
Adenauer-Biograph Schwarz über anglo-amerikanische Thriller-Autoren, ihre Weltbilder und die Wirklichkeit

Auf dieses Buch haben die Fans von Spannungs-Schmökern gewartet. Hans-Peter Schwarz, einer der einflußreichsten und produktivsten deutschen Zeithistoriker, erkundet in seinem neuen Buch "Phantastische Wirklichkeit" das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers. Das Vorhaben ist so originell wie gelungen. Doch den Mut zu einem solchen Unternehmen kann wahrscheinlich nur ein Professor aufbringen, der bereits seit einigen Jahren emeritiert ist und dem die abschätzigen Kommentare der Kollegen ziemlich egal sein können. Der Leser merkt, hier ist ein Autor mit Leib und Seele bei der Sache, und so macht die Lektüre nicht nur schlauer, sondern auch großen Spaß.

Selbstverständlich kann Schwarz, der vor allem als Autor der monumentalen Adenauer-Biographie in Erscheinung getreten ist, den Wissenschaftler nicht ganz vergessen machen. Und so gibt es - wie sich das gehört - eine Einführung ins Thema, einen Fußnotenapparat und auch einen theoretisch gehaltenen Rückblick, in dem der Autor schildert, welche Facetten der Spionageroman im 20. und jetzt im 21. Jahrhundert hervorgebracht hat. Schwarzs Buch ist so komponiert wie "The World Atlas of Wine" von Hugh Johnson. In 13 Kostproben kredenzt der Verfasser Leben und Werk der anglo-amerikanischen Meister des Genres.

Der Polit-Thriller ist zwar eine Fortentwicklung des klassischen Abenteuerromans im düsteren Stil des 20. Jahrhunderts, doch steckt in vielen dieser Romane auch ein zeitkritischer Kern. Dies hat die Kritik bisher meist übersehen. Den Lesern war es nicht so wichtig, denn sie wollen ja vor allem unterhalten werden. "Bisher wurde aber weitgehend übersehen, daß Tausende von Polit-Thrillern, die im 20. Jahrhundert auf den Markt kamen, häufig gleichfalls ,littérature engagée' sind", schreibt Schwarz. Und so waren der frühe Eric Ambler, Graham Greene, John Le Carré und Robert Ludlum ganz eindeutig linke Autoren, während John Buchan, Ian Fleming, Colin Forbes, Frederick Forsyth und Tom Clancy konservative Positionen beziehen. Den Deutschen war es übrigens nicht vergönnt, ihr imperiales Schicksal in die Form des Spannungsromans zu bringen. Das Errichten von Gedenkstätten und Museen liege ihnen eben mehr, meint Schwarz etwas polemisch.

Den Anfang machte Erskine Childers, der mit seinem Buch "Das Rätsel der Sandbank" im Jahr 1903 politisch für Furore sorgte. Mit seinem Spionage-Thriller wollte Childers vor der deutschen Gefahr warnen. Das auch heute noch bei Diogenes zu beziehende Werk weist nicht nur schriftstellerische Qualitäten auf und ist eines der schönsten Bücher über das Segeln, es sollte auch die schlaff und träge gewordene britische Öffentlichkeit für die brennende Deutschlandfrage sensibilisieren. Im Gegensatz zu vielen Autoren, die kein sehr aufregendes Leben führen, glich Childers Lebenslauf zunehmend dem späterer Polit-Thriller-Helden. Anfang der 20er Jahre wurde der mittlerweile zum glühenden irischen Nationalisten gewordene Vater des späteren Präsidenten des Freistaates vor ein Erschießungskommando gestellt. Er war damit der erste und bisher einzige Thriller-Autor, für den es - anders als für die meisten Thriller-Helden - kein glückliches Ende gab.

Der eigentliche Klassiker des Thriller-Genres ist der Brite Eric Ambler, der neben Graham Greene auch über die größten schriftstellerischen Fähigkeiten verfügt. Ambler begann in seiner linksradikalen Phase in den Jahren 1936 bis 1940 als Idealist, gilt als Schöpfer des Dritte-Welt-Thrillers und endete als zynischer Konservativer. In den frühen Büchern Amblers ging es noch um die großen weltgeschichtlichen Konflikte zwischen den europäischen Großmächten: "Doch seine Romane seit den 50er Jahren gehören der post-histoire an. Viel Lärm um nichts. So pflegen die kompliziert konstruierten, aber von historischer Substanz entleerten Spionage- und Polit-Thriller häufig im Privatissimum eines schönen Dinners auszulaufen. Alles endet in der Banalität."

Graham Greenes Protagonisten sind dezidierte Anti-Helden: Sie sind anti-patriotisch, anti-heroisch, anti-kapitalistisch, anti-establishment und Verächter des Empire. Nach dem Tod des seinerzeit viel gelesenen, heute etwas in Vergessenheit geratenen Linkskatholiken und Frauenhelden kam ans Tageslicht, daß der Symphatisant linker Regime über Jahrzehnte handfeste Spionage für den britischen SIS betrieben hat. Greene war illoyal und ein persönlich ziemlich unsympathischer Mensch, doch zugleich von überragender Intelligenz und der literarisch bedeutendste Autor von Spionage-Romanen, der selber Spion gewesen ist.

Waren die wesentlichen Bestseller-Autoren zunächst Briten, ist der Einfluß der amerikanischen Spannungsautoren seit den 70er Jahren unübersehbar geworden. Der rechtsrepublikanische Tom Clancy entwirft die Zukunftskriege des 21. Jahrhunderts. Er ist der Meister des Techno-Thrillers. Und auch Clancy hat eine Botschaft, genau so wie seine linken Brüder Ambler, Greene, Le Carée und Ludlum. Und ähnlich wie Erskine Childers und Frederick Forsyth schreibt Clancy sogenannte Wachsamkeits-Thriller, mit denen er die amerikanische Öffentlichkeit vor diversen äußeren Bedrohungen warnen will. Der ungediente Waffen- und Technik-Narr Clancy nimmt dabei insbesondere Japan, China und die islamischen Fundamentalisten ins Visier.

Doch im Gegensatz zu anderen Autoren, die defätistisch geprägt oder von des Gedankens Blässe angekränkelt sind, ist er sich seiner Sache sehr sicher: "So begreift sich auch Tom Clancy als Propagandist des amerikanischen Imperiums, das von allen Seiten bedroht wird, aber jedes Mal obsiegt, weil es die gerechte Sache und den tapferen Idealismus der Amerikaner verkörpere."

Tom Clancy, so lautet Schwarz' Resümee, ist viel mehr als bloß der Autor spannender Techno-Thriller. Er schreibe zwar keine große Literatur, doch bei keinem anderen Autor des zeitgenössischen Amerika trete das imperiale Selbstverständnis dieses Landes so unverhüllt zutage, "zugleich aber auch der uralte amerikanische Mythos in ultramoderner Kostümierung". Die Leser der Spannungsliteratur können sich freuen: Daß die Terrorwelten in den zeitgenössischen Thrillern immer bedrohlicher werden, verspricht wohliges Gruseln im Lesesessel oder im Bett. Schlimm wäre es nur, wenn die Phantasie der Autoren vom Schlage eines Tom Clancy Wirklichkeit werden sollte. Denn schon oft haben die vermeintlichen Trivialautoren Dinge vorausgesehen, die in ähnlicher Form dann auch geschehen sind. Ansgar Lange

Hans-Peter Schwarz: "Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers", Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, 349 Seiten, 22,90 Euro, Bestell-Nr. 5483


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