20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.05.06 / Alle wollen Putin / Seine Wiederwahl ist aber nur bei Verfassungsänderung möglich

© Preußische Allgemeine Zeitung / 13. Mai 2006

Alle wollen Putin
Seine Wiederwahl ist aber nur bei Verfassungsänderung möglich
von M. Rosenthal-Kappi

Noch ist die zweite Amtszeit des russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu Ende, da werden immer häufiger Spekulationen über seinen möglichen Nachfolger im Jahr 2008 veröffentlicht. Dabei ist Putin - obwohl sein Ansehen nach der Jukos-Affäre, der Verwaltungsreform, den Niederlagen in Abchasien und Moldawien sowie Fehlern bei der Umsetzung der Sozialreform angeschlagen schien - nach wie vor die Nummer Eins bei seinen Landsleuten. Dies ergab eine Umfrage, die das unabhängige Meinungsforschungsinstitut "Lewada-Zentrum" in der Zeit vom 20. bis 25. April durchführte. Es nahmen 1600 Personen aus 46 Regionen Rußlands an der Umfrage teil.

Demnach würde ein anderer Kandidat für den Präsidentenposten kaum die Mehrheit der Russen für sich gewinnen können.

Die Befragten wurden unter anderem gebeten, ihre Meinung zu einer Kandidatur des derzeitigen Verteidigungsministers Sergej Iwanow und über die Umsetzbarkeit der vorrangigen nationalen Projekte von Vize-Premierminister Dmitrij Medwedjew zu äußern. 19 Prozent sprachen sich für Sergej Iwanow als Präsidenten aus, 16 Prozent für Dmitrij Medwedjew. Das ist für letzteren ein beachtliches Ergebnis, da er erst seit November vergangenen Jahres ein öffentliches Amt bekleidet. Jedoch ist das Maß der Ablehnung beider Kandidaten größer als das der Zustimmung. 44 Prozent der Umfrageteilnehmer sagten, daß sie weder den einen noch den anderen als Präsidenten wünschten. Weitere 21 Prozent gaben an, noch nicht sagen zu können, wem sie überhaupt ihre Stimme geben würden. Beide Kandidaten gehören zu den engsten Vertrauten Putins. Medwedjew ist ein alter Weggefährte des Präsidenten und heute Aufsichtsratsvorsitzender des Gasprom-Konzerns. Sie waren 1990 beide Assistenten des damaligen St. Petersburger Gouverneurs Anatolij Sobtschak. Ebenso zählt Verteidigungsminister Sergej Iwanow zu den alten Seilschaften des Präsidenten. Ihn verbindet mit Putin die gleiche Herkunft aus St. Petersburg sowie eine gemeinsame Vergangenheit im russischen Geheimdienst.

Mit der Politik Putins ist trotz gelegentlich aufkeimender Kritik die Mehrheit der Russen zufrieden. So gaben 49 Prozent der Befragten an, daß der Nachfolger die Politik des Präsidenten weiterführen und Putin bestimmen sollte, wer ihn 2008 ablöst. Für eine Änderung des Kurses sprachen sich 33 Prozent aus. Als wichtigste Aufgabe des zukünftigen Präsidenten nannten 73 Prozent die Förderung der Wirtschaft, 62 Prozent die Schaffung sozialer Gerechtigkeit. Nur 13 Prozent der Teilnehmer interessierte sich für eine Stärkung der Demokratie im Lande und für den Schutz bürgerlicher Rechte, 7 Prozent wünschen sich unantastbares Privateigentum.

Experten führen diese Zahlen auf die konservative Denkweise der Russen und ihre Mentalität zurück, bei der das Gesetz keine dominierende Rolle in der Gesellschaft spielt. So erläuterte der Leiter der Forschungsgruppe Mercator, Dmitrij Oreschkin, daß in Rußland die gesamte politische Maschinerie an Wladimir Putin persönlich gebunden sei und daher die Vorstellung dominierte, daß es keinen Ebenbürtigen gebe. Die Menschen wären sogar zu einer Revision der Verfassung bereit, damit das Gefühl von Stabilität und Ordnung, das die Öffentlichkeit heute empfindet, möglichst lange anhält. Die Situation zu Beginn der 1990er Jahre, die zu einer ernsthaften sozialökonomischen Instabilität geführt hatte, hat bei den Menschen zu einer Angst vor Veränderung geführt.

Die Bevölkerung glaubt nicht, daß von ihr selbst politisch irgend etwas abhängt. So halten nur 33 Prozent der Befragten die Präsidentenwahl für einen realen Wahlkampf. 51 Prozent meinen sogar, daß es nur den Anschein eines Wahlkampfes geben wird, in jedem Falle aber derjenige Präsident würde, den Putin selbst zuvor ausgewählt habe.

Die mediale Inszenierung hat indessen Putin zum Liebling des Volkes gemacht. 55 Prozent der Bevölkerung würden eine Verfassungsänderung begrüßen, damit Putin für eine dritte Amtszeit weiterregieren kann. Sie wären bereit, Verluste demokratischer Prinzipien dafür in Kauf zu nehmen. Die Erfolge der Politik Wladimir Putins sind gewichtiger als seine Mißerfolge: Er hat das Chaos der Jelzin-Ära beseitigt, die Macht der Oligarchen eingeschränkt und ihnen die Kontrolle über die Energiepolitik aus den Händen genommen. Er will Rußland modernisieren, stößt jedoch bei der Umsetzung seiner Reformen immer an Grenzen.

Die Fortsetzung von Putins Politik auch nach 2008 liegt im Interesse der meisten Bürger. Putin selbst hat eine Verfassungsänderung mehrfach abgelehnt und geäußert, daß er für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung stehe.

Eine Möglichkeit, daß Putin weiterhin Präsident bliebe ohne die Verfassung der Russischen Föderation zu ändern, besteht in der bereits mehrfach mit Weißrußland diskutierten Gründung einer Union beider Staaten. Im Kreml herrscht wegen der rigiden Politik Alexander Lukaschenkos seit längerem Angst vor einer "Orangenen Revolution" in Minsk. Um den Einfluß in Weißrußland nicht zu verlieren, drängt Rußland auf eine Beschleunigung des Vereinigungsprozesses. Wladimir Putin könnte Präsident dieser neuen Großrussischen Union werden und hätte weiterhin entscheidenen Einfluß auf Wirtschaft und Politik. Die Russische Föderation bekäme dann einen neuen Präsidenten, dessen Befugnisse jedoch dem Unionspräsidenten unterstellt wären.

Eine Revolution wie in der Ukraine oder in Georgien ist in Moskau kaum denkbar, da die Oppositionsparteien untereinander zu sehr zerstritten sind.

Wahrscheinlicher ist, daß Putin Sergej Iwanow zu seinem Nachfolger designiert. Mit ihm als Präsidenten wäre die Fortsetzung der russischen Politik im Sinne Putins garantiert. Putin selbst wird auch ohne Präsidentenamt seinen Einfluß auf Politik und Wirtschaft weiter ausüben können.

Beliebt: Russen stehen trotz seines vom Westen kritisierten Demokratiedefizits hinter Putin. Foto: Itar-TASSS / Corbis


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren