19.03.2024

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Suchen und finden
20.05.06 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / 20. Mai 2006

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied und Familienfreunde,

immer wieder entnehme ich aus Zuschriften und Anrufen die unterschwellig gestellte Frage: Lohnt sich denn überhaupt noch ein Suchen? Ich könnte den Zweiflern mit dem bekannten Zitat "Die Hoffnung stirbt zuletzt" entgegnen, aber eine reale Antwort geben die Erfolge, die trotz der großen Zeitspanne zwischen Geschehen und Suche zu verzeichnen sind. Nicht nur durch unsere Ostpreußischen Familie, über die ich ja in den letzten Folgen berichten konnte. Ein ungewöhnliches Wiederfinden nach über 60 Jahren durfte Brandamtmann a. D. Erwin Syska erleben. Er hat uns dazu einen Bericht zugesandt. Da der Schreiber aus dem Kreis Ortelsburg stammt, fügt sich dieses Geschehen gut in unsere Ostpreußische Familie ein.

Die Geschichte beginnt, als zu Beginn des Rußlandfeldzuges ein 18jähriges Mädchen aus Kiew zur Zwangsarbeit nach Deutschland transportiert wird. Die junge Ukrainerin hat Glück, denn sie kommt auf den Bauernhof der Familie Syska in Wallen, wo sie voll in das Familienleben integriert wird. Sie wird nur "unsere Sonja" genannt, arbeitet im Haushalt, gelegentlich auch auf dem Feld und betreut die vier Kinder. Als im Januar 1945 die Familie Syska vor der Roten Armee fliehen muß, geht Sonja mit. Was sich als Glücksfall erweist, denn bei Elbing gerät der Flüchtlingswagen in die Hände der Rotarmisten. Bei der Plünderung entdecken sie einen Sack, in dem sich auch eine schwarze Panzeruniform mit einem Totenkopf befindet. Diesen Sack hat kurz zuvor eine nahe Verwandte, deren eigener Fluchtwagen liegenblieb, auf das Gefährt der Familie Syska gepackt, weil sie zu Fuß weiter wollte. Die Uniform gehörte ihrem Sohn - aber wie das den Russen verständlich machen, die als Träger den Familienvater vermuten? Kurzerhand wird Fritz Syska an die Wand gestellt - aber da geschieht das Wunder: Sonja ist zu einem Offizier gelaufen und hat ihm das Mißverständnis lautstark zu erklären versucht. Tatsächlich lassen die Russen von dem Mann ab. Im weiteren Verlauf gerät das Gehöft, auf dem sich die Familie befindet, in eine Panzerschlacht und in Brand. Frau Syska und Sonja wollen noch einige auf dem Wagen verstaute Sachen retten, da schlägt eine Granate ein und verwundet die beiden Frauen schwer. Deutsche Soldaten bergen die Verletzten und bringen sie zum Hauptverbandsplatz. Von dort geht es mit einem Lazarettzug nach Danzig und weiter nach Westen. In Goslar sind die beiden Frauen noch zusammen - dann verliert sich die Spur von Sonja.

Soweit das damalige Geschehen. Die Syskas haben immer nach Sonja geforscht, glaubten, daß sie mit den Amerikanern gegangen sei. Aber alles Suchen, auch über die betreffenden Organisationen und Botschaften, war erfolglos. Durch die wiederholten Erzählungen seiner Eltern blieb auch für Erwin Syska der Name "Sonja Jaratmenko" unvergessen. Immer wieder versuchte er, die Retterin seines Vaters zu finden, leider vergeblich. Bis der 73jährige vor kurzem die Zeitschrift "Verständigung und Aussöhnung" der Organisation Ukrainische Nationale Stiftung in die Hände bekam. Er schrieb an die angegebene Adresse in Kiew und sandte Fotos per E-Mail. Die Organisation leitete den Suchwunsch an die Medien weiter, auch an das Fernsehen, und siehe da, es geschah ein Wunder: Sonja Jaratmenko meldete sich! Das Wiederfinden muß für sie wie für Erwin Syska unbeschreiblich gewesen sein, wenn es vorläufig auch nur schriftlich zustande kam. Aber nun soll es auch persönlich stattfinden, denn Herr Syska will der Retterin seines Vaters danken und versuchen, gutzumachen, was sie für die Familie getan hat. Noch in diesem Jahr will er die Frau besuchen, die für ihn noch immer "unsere Sonja" ist, und hofft dabei, daß ihm auch Freunde und Mitfühlende mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht melden sich ja auch Leserinnen und Leser, die Erfahrungen mit Besuchen in der Ukraine haben oder ihm sonstwie behilflich sein können (Erwin Syska, Brandamtmann a. D., Südwinkel 18 in 30890 Barsinghausen, Telefon 0 50 35 / 9 20 70, Fax 0 50 35 / 9 20 72, E-Mail: esyba@t-online.de).

Die Erlebnisse jener Tage sind so gravierend im Leben jedes Vertriebenen, daß er sie nie vergißt, wohl manchmal verdrängt - aber sie kommen immer wieder und zwingen zur Klärung von Ereignissen, die nur noch schemenhaft in der Erinnerung sind. Vor allem, wenn man damals noch Kind war und die Vorgänge nicht voll erfassen konnte. So hat auch Frau Waltraut Monzel geborene Perk noch Erinnerungen an das Verlassen ihrer Heimatstadt Mehlsack, denn die 13jährige mußte mit ihrer Mutter und vier Geschwistern im Alter zwischen fünf und 14 Jahren über das Haffeis und die Frische Nehrung nach Pillau flüchten. Es war der 10. Februar 1945, Stunden voller Angst, Grauen, Verzweiflung und unsäglicher Strapazen. In Pillau gelang es der Mutter, mit ihren fünf Kindern auf ein Schiff zu kommen. Es war die "Hektor", die ehemalige "Orion", davor "Kurmark". Sie legte am 14. Februar in Pillau ab, brachte aber die Flüchtlinge nur bis Gotenhafen. Dort mußten sie von Bord, aber sie konnten auf ein anderes Schiff gelangen, "ein sehr großes", wie es Frau Monzel noch in Erinnerung hat. Wie es sich dann jetzt bei ersten Nachforschungen, die von ihrem Ehemann, Herrn Dr. Rudolf Monzel, betrieben werden, bestätigte, war es die "Deutschland", das Fährschiff der Deutschen Reichsbahn. Frau Monzel erinnert sich, daß sie sogar eine Kabine mit sanitärer Einrichtung hatten. Schon 18 Stunden später lag das Schiff auf Reede vor Saßnitz, die Flüchtlinge wurden bei tiefer Dunkelheit auf kleine Boote gebracht - ohne Gepäck. Frau Perk kam mit ihren Kindern nach Schleswig-Holstein, sie wurden bereits am 27. Februar in Hemme bei Heide registriert. Soweit die wenigen Erinnerungen und Angaben nach bisherigen Recherchen. Nun möchte das Ehepaar mehr über den Fluchtweg und die Ereignisse jener Februartage wissen. Wer war damals auch dabei, in Pillau, Gotenhafen oder auf einem der genannten Schiffe, und kann sich an Einzelheiten erinnern. Herr Dr. Monzel hat bereits vor Jahren versucht, mehr Informationen zu bekommen, leider hat die angesprochene Stelle nicht geantwortet. Hintergrundinformationen bietet die einschlägige Literatur, aber das Ehepaar ist an persönlichen Erlebnissen und Eindrücken interessiert, um die eigenen Erinnerungen von Waltraut Monzel zu untermauern. Und da bin ich ganz sicher, daß unsere Ostpreußische Familie nicht stumm bleiben wird! (Dr. Rudolf Monzel, Nikolausstraße 15 in 54550 Daun, Telefon 0 65 92 / 28 44)!

Eure Ruth Geede


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