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20.05.06 / Umdenken / Biedenkopf über Missstände

© Preußische Allgemeine Zeitung / 20. Mai 2006

Umdenken
Biedenkopf über Missstände

Kurt Biedenkopf ist mit 76 Lebensjahren, mit fast einem halben Jahrhundert Bildungsarbeit als Hochschulprofessor und 30 Jahren in den Positionen der politischen Führungskader reich an Erfahrung. Seinen 15 Enkelkindern und jedem, der es wissen möchte, teilt er dies auch mit. Seine jüngste Publikation "Die Ausbeutung der Enkel" stellt sich vor dem Hintergrund der fatalen wirtschafts- und sozialpolitischen Entwicklung in Deutschland als Plädoyer für eine Rückbesinnung auf die Vernunft dar.

Biedenkopf seziert auf akademischem Niveau und daher streckenweise auch sehr trocken die Regulierungswut des Staates und die Auswüchse des Sozialstaates. Die bestehende Krise ist für ihn eine Krise des Denkens. Der Wohlstandsstaat und das exponentielle Wachstum der Wirtschaft in früheren Jahren habe in allen Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Lebens zu einem Verlust von Maßstäben, zu einer Entgrenzung und Relativierung geführt. Ob nun die keine Grenzen kennende Politik jedes Detail des menschlichen Lebens meint bürokratisch regeln zu müssen, oder ob der einzelne meint, die Steuergesetze nicht mehr einhalten zu müssen. Das Gleichgewicht befindet sich auf einer Schiefebene. So weit so schlecht.

Leider verharrt Biedenkopf weitestgehend in allgemeiner Andeutung und kommt nur selten auf konkrete Änderungserfordernisse zu sprechen. Dennoch, die Knute des Autors schlägt bisweilen blutige Wunden in des Sozialstaates Fleisch. Dieser sei an seiner unaufhaltsamen Expansivität gescheitert. Die heute vorgelegten öffentlichen Haushalte seien die Zeugnisse des Versagens. Deshalb bedürfe es eines "Controllings der selbstverwalteten Sozialsysteme".

Der Familie räumt Biedenkopf eine wesentliche Funktion in einer freiheitlich und am Subsidiaritätsprinzip orientierten Wirtschafts- und Sozialordnung ein. Subsidiarität bedeutet - hier wird der frühere sächsische Ministerpräsident einmal konkret -, daß der Staat nicht gesetzlich zu regeln hat, ob nun der Vater oder die Mutter oder beide zu welchen Anteilen die Möglichkeiten des Elterngeldes nutzen. Es darf nicht "oben" (Staat) geregelt werden, was besser "unten" (Familie) geregelt werden kann. Hier verweigere der Staat der Familie genau den Schutz, den er ihr nach Artikel 6 des Grundgesetzes eigentlich gewähren müßte. Der Schutzauftrag des Grundgesetzes sei eben keine Ermächtigungsgrundlage zur Vormundschaft, sondern der Auftrag, die Rechtsinhaber vor Vormundschaft zu schützen.

Biedenkopf fordert aber nicht nur dem Staat, sondern auch jedem einzelnen Bürger ein radikales Umdenken ab. Nichts werde mehr sein, wie es einmal war. Ad hoc und hoffnungsvoll denkt der Steuerzahler an die bierdeckelgroße Steuererklärung und das Ende aller Schwarzarbeit.

Biedenkopf, der sich vorwerfen lassen muß, als Ministerpräsident auch privat Dienstvilla, Hubschrauber, Dienstwagen und Personal unentgeltlich - also "entgrenzt" - genutzt zu haben, ist sicherlich nicht der erkorene Hüter der Moral. Aber er kann für sich in Anspruch nehmen, in führender politischer Funktion mit der erste gewesen zu sein, der vor rund 25 Jahren auf die dramatische demographische Entwicklung hingewiesen hat. Alles nur Kassandrarufe? B. Knapstein

Kurt Biedenkopf: "Die Ausbeutung der Enkel", Propyläen, Berlin 2005, geb., 224 Seiten, 16,95 Euro, Best.-Nr.: 5448


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