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27.05.06 / "Wir brauchen eine gemeinsame Kraft" / Italienische Istrier fordern europäischen Gedenktag für Vertriebene - Massimiliano Lacota im Gespräch

© Preußische Allgemeine Zeitung / 27. Mai 2006

"Wir brauchen eine gemeinsame Kraft"
Italienische Istrier fordern europäischen Gedenktag für Vertriebene - Massimiliano Lacota im Gespräch

Herr Lacota, Sie vertreten die Union der italienischen Istrier, die Unione degli Istriani. Wie darf man sich Ihren Verband in Struktur und Zielvorgaben vorstellen?

Lacota: Die Unione degli Istriani ist mit über 350000 Mitgliedern der größte Vertriebenenverband der aus Istrien stammenden Italiener, die zwischen 1947 und 1956 massenweise aus Istrien, Fiume - das heutige Rijeka - und Dalmatien flüchteten. Nach der Unterzeichnung des Pariser Friedensvertrages am 10. Februar 1947 und des Londoner Memorandums vom 6. Ok-tober 1954 fielen diese Regionen an Titos Jugoslawien.

Unsere Organisation wurde um 1950 gegründet und zwar in Triest. Hier leben noch heute über 50 Prozent der Vertriebenen der ersten und zweiten Generation. Der Verband ist nach den einzelnen Herkunftsstädten in Familien unterteilt: Zum Beispiel gibt es die Capodistria-Familie aus dem heutigen Koper, die Cittanova-Familie aus dem heutigen Novigrad. Diese Struktur gilt für alle Ortschaften Istriens, das heute, nach den Bal-kankriegen der 90er Jahre, zwischen Slowenien und Kroatien aufgeteilt ist.

Was genau erstrebt Ihre Vereinigung?

Lacota: Unsere Organisation wahrt mit vielen Aktionen die Interessen und Ansprüche der aus Istrien Vertriebenen. Zunächst auf völkerrechtlicher Ebene, vor allem mit der Klage auf Ungültigkeit der nach 1947 unterzeichneten italienisch-jugoslawischen Abkommen, die den Pariser Friedensvertrag verletzen, dessen Anhang XIV den Italienern das Eigentumsrecht garantierte.

Ihr eigenes Vaterland hat gemeinsam mit dem Vertreiberstaat Jugoslawien auf Ihr Eigentumsrecht offiziell verzichtet?

Lacota: Ja, der Grund hierfür ist einfach. Nachdem die Höhe der italienischen Reparationszahlungen für den Einfall der italienischen und deutschen Truppen in Jugoslawien im April 1941 festgesetzt worden war, hatten beide Länder auf Belgrader Druck hin heimlich vereinbart, daß die italienische Regierung nicht Geld, sondern die Immobilien der Vertriebenen abtreten und damit die Kriegsschäden ausgleichen sollte. Bitte bedenken Sie, 92 Prozent der Vertriebenen hatten Eigentum.

Wurden Sie von Ihrem Vaterland entschädigt?

Lacota: Italien hatte damals ga-rantiert, den Vertriebenen in Raten Entschädigung zu zahlen. Aber 60 Jahre danach sind erst 20 Prozent der Gesamtentschädigung geleistet. Wir hatten also das Nachsehen: ein schändlicher Betrug, vielleicht der größte in einem zivilen Land wie dem unsrigen, der erst vor einigen Jahren unter meinem Vorsitz vor der Uno und der EU angeprangert wurde.

Haben Uno und EU darauf reagiert?

Lacota: Im vergangenen Oktober hat sich die Uno für eine Prüfung der Situation der italienisch-jugoslawischen Abkommen nach 1947 ausgesprochen. Es gibt ganze leer stehende Dörfer, deren Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer wir von den heutigen Regierungen Sloweniens und Kroatiens fordern.

Im Januar hat außerdem eine Delegation istrianischer Vertriebener in Straßburg anläßlich einer Plenarsitzung des EU-Parlaments demonstriert und die Einrichtung einer Diskussionsrunde vor dem Europarat erreicht.

Wie sieht es mit Ihren Aktivitäten im kulturellen Bereich aus?

Lacota: Die Unione degli Istriani pflegt jene Kultur und Traditionen sehr aktiv, die es heute in der ursprünglichen Heimat nicht mehr gibt, obwohl dort eine sehr kleine italienische Minderheit überlebt hat. Diese hat allerdings ihre Eigenheiten darunter Dialekte, Religiosität, Lebens- und Arbeitsgewohnheiten vollkommen verloren. Es gibt eine sehr rege Bücherproduktion mit durchschnittlich 25 Neuerscheinungen jährlich, wissenschaftliche Studien zu Sprache und Dialekten, sowie 15 Zeitschriften und zweimonatlich erscheinende Zeitungen. Darüber hinaus werden die Gräber auf den Friedhöfen in den Herkunftsorten geschützt, obwohl die Beziehungen zu den slowenischen und kroatischen Behörden aus offensichtlichen Gründen ziemlich kühl sind.

Man hat hierzulande allenfalls am Rande von den Morden in den Karsthöhlen gehört. Wie vollzog sich die Vertreibung der Istrier?

Lacota: Die Vertreibung der Italiener aus Istrien, Fiume, dem heutigen Rijeka und Dalmatien wird als Völkermord betrachtet. Ein unvollständiger Völkermord, denn nach den ersten Jahren systematischer Hinrichtungen in der Zeit zwischen dem Waffenstillstand vom 8. September 1943 und Ende 1946 verließ die gesamte italienische Bevölkerung ihr Hab und Gut und suchte Schutz in Italien. Wehrlose Italiener wurden zu Tausenden von den jugoslawischen Partisanen als Faschisten und einheimische Kollaborateure betrachtet, in Karsthöhlen verschleppt und dort umgebracht. Es wird geschätzt, daß sich die Zahl der Todesopfer in den Karsthöhlen auf 10 bis 12000 beläuft. Darunter waren einfache, patriotisch gesinnte Leute, Grundbesitzer, die von den kommunistischen Partisanen als Ausbeuter des Volkes betrachtet wurden, Beamte des italienischen Staates, die einfache institutionelle Ämter innehatten. Sogar Portiers, Kommunalangestellte, Briefträger und Lehrer. Alle hatten eines gemein, nämlich die Mitgliedschaft in der Faschistischen Nationalen Partei. Eine Eigenschaft, die unter der Mussolini-Diktatur obligatorisch war.

Haben Sie versucht, Ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen?

Lacota: Natürlich hat die Unione degli Istriani den Menschengerichtshof in Straßburg angerufen, aber ohne Erfolg. Ende 1999 wurden mit Unterstützung zweier Rechtsanwälte, von denen einer in den USA tätig ist, 85 Pilotverfahren eingeleitet, die allerdings bisher aus verschiedensten Gründen abgelehnt worden sind. Zum Teil, weil nicht alle nationalen Rechtsinstanzen in Slowenien beziehungsweise in Kroatien durchlaufen wurden. Tatsächlich haben wir im vergangenen Jahr in Slowenien, das seit dem 1. Mai 2004 EU-Mitgliedsstaat ist, 21 Pilotverfahren für große private Wirtschaftsbetriebe, darunter 2 Werften, 15 landwirtschaftliche Betriebe und 4 Hotels, angestrengt. Wir werden dabei von der Universität Udine unterstützt.

Was Kroatien betrifft, wurden die Klagen in erster Instanz abgewiesen. 15 Verfahren haben wir schon verloren. Allerdings haben in fünf Fällen Kommunalverwaltungen, in denen sich die Immobilien befinden, Angebote über eine finanzielle Entschädigung gemacht.

Und wie haben Sie reagiert?

Lacota: Wir haben die Angebote aber konsequent abgelehnt, da das eingeklagte Eigentum noch unbewohnt ist. Im Februar 2006 haben wir einen detaillierten Bericht über den Stand der Dinge nach Straßburg geschickt, denn wenn bewiesen wird, daß das kroatische Rechtssystem die Einleitung eines ordnungsgemäßen Verfahrens für die Rückerstattung nicht zuläßt, ist es möglich, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus wichtigem Grund direkt anzurufen. Schnell hatten wir übrigens ein offizielles Gespräch mit dem EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn wegen des für 2009 geplanten EU-Beitritts Kroatiens. Wir haben in diesem Rahmen gefordert, daß die internationalen Konventionen eingehalten werden und somit der EU-Beitritt Kroatiens an die Bedingung der Restituierung der noch freien Güter geknüpft wird.

Werden Sie von den italienischen Behörden in Triest und Rom politisch unterstützt?

Lacota: Wenn nach 60 Jahren die Situation unverändert ist, dann liegt das an den vielen falschen Versprechen der italienischen Regierungen jeglicher Couleur den Vertriebenen gegenüber. Die Triester Behörden haben hingegen immer das Rückkehrrecht der Vertriebenen unterstützt, denn dies ist ein sakrosanktes, in allen internationalen Menschenrechtskonventionen bestätigtes, aber systematisch verletztes Recht. Andererseits ist dieses Faktum vor dem Hintergrund nachvollziehbar, daß über die Hälfte der Einwohner Triests Vertriebene sind. Ich glaube, daß in der Vergangenheit unser größter Fehler war, der Politik und den Parteien blind zu vertrauen. Folge: ein totales Scheitern und ein absehbarer Verrat.

Die Unione degli Istriani hat sich unter meiner Führung vollkommen von der Parteienpolitik gelöst und einen unabhängigen Weg eingeschlagen, der im letzten Jahr erfolgreicher war als die vergangenen 20 Jahre zusammen. Nun wurde in Italien eine Mitte-Links-Regierung gewählt, deren Parteien sicherlich unsere Forderungen unterstützen. Allerdings glaube ich, daß alles von der Fähigkeit und Unabhängigkeit unserer Verbände abhängt, die Achtung der Menschen- und Eigentumsrechte einzufordern und dabei eher die Rolle einer Gewerkschaft und nicht die einer politischen Partei zu übernehmen.

Haben Sie Fürsprecher in Kroatien und Slowenien? Auch dort gibt es doch Menschenrechtler.

Lacota: In Kroatien gibt es einen einzigen Ansprechpartner, der unsere Rückkehr unterstützen könnte: die Dieta Democratica Istriana, die Istrianische demokratische Versammlung. Dabei handelt es sich um eine unabhängige Bewegung, die die Region Istrien regiert und die Wiedereingliederung der alteingesessenen Italiener, die bis 1947 die absolute Mehrheit der Bevölkerung in Istrien bildeten, vorgeschlagen hat. Um aber eine operative Zustimmung zu erhalten - dabei darf nicht vergessen werden, daß Italien der Region Istrien jedes Jahr Finanzmittel in Höhe von 8 Millionen Euro für die Wahrung der italienischen und venezianischen Kultur gewährt -, bedarf es eines allgemeinen Rucks, der alle Vertriebenen von der Ostsee bis zur Adria wachrüttelt.

Was stellen Sie sich konkret unter einem solchen Ruck vor?

Lacota: Die Vertriebenen in Europa brauchen eine gemeinsame Kraft. Mit unserem vereinigten Gewicht müßten sich wirklich in einer gezielten und strategisch vorbereiteten Aktion bei den europäischen und nationalen Institutionen eine Hebelwirkung erzielen lassen. Wir müssen auf diesem Wege eine Diskussionsrunde eröffnen, um alle Möglichkeiten für eine Lösung der noch offenen Fragen zu prüfen. Meiner Meinung nach ist dies die einzige bedeutende Chance, die noch bleibt, bevor sich das Problem mit dem Versterben der Vertriebenen von selbst löst. Ich verschweige nicht, daß unser Ziel ein großer europäischer Vertriebenenverband ist, der als offizielle Einrichtung europaweit und weltweit anerkannt wird und als solcher Teilnehmer an die Verhandlungs- und Diskussionstische entsendet. Ich bin davon überzeugt, daß alle involvierten Staaten, von Polen bis Serbien, gezwungen werden können, sich an einen Tisch zu setzen, um bestimmte, Freiheit und Demokratie widersprechende Positionen zu überdenken.

In der Europäischen Union herrscht das Prinzip der Freizügigkeit und des freien Kapitalverkehrs. Wäre für Sie ein Beitritt Kroatiens nicht von Vorteil?

Lacota: Der Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union wäre für den gesamten Bau unseres gemeinsamen Hauses von Vorteil. Aber die Fristen und Bedingungen müssen interpretiert werden, denn wenn Zagreb heute beitreten sollte, müßten die kroatischen Gesetze geändert werden. Es ist in keinem Fall hinnehmbar, daß ein Großteil der Vertreiberstaaten der EU beigetreten ist und dabei in seinen Rechtsordnungen Richtlinien und Dekrete belassen hat, die in erschreckendem Widerspruch zu EU-Gesetzen und Rechtsvorschriften stehen. Man denke nur an Tschechien und die Benes-Dekrete.

... und an Polen und die Bierut-Dekrete.

Lacota: Ja, und jetzt, da diese Länder Mitgliedsstaaten der EU sind, müssen sie zumindest für die Wiederherstellung der historischen Wahrheit sorgen. Als Prüfstein haben wir gemeinsam mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft einen Gesetzesentwurf für einen Europäischen Gedenktag für die Vertriebenen in Europa erarbeitet, so wie wir ihn seit ein paar Jahren in Italien haben. Den wollen wir jetzt gemeinsam mit deutschen Vertriebenen auf Europa ausdehnen. Wir wollen einen jährlichen Gedenktag, der in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union feierlich begangen wird zum Gedenken an die Opfer der ethnischen Säuberungen, der Massaker und zu Ehren der über 18 Millionen Menschen, die von den totalitären, kommunistischen Regimes, den Nachfolgeregimes des Nationalsozialismus und des Faschismus in der Nachkriegszeit, von ihrem Grund und Boden vertrieben oder ins ständige Exil gezwungen wurden. Dies ist ein erstrebenswertes Ziel, von dem ich meine, daß es im EU-Parlament auf breite Unterstützung stoßen könnte. Dies alles ganz im Zeichen des Mottos unseres Verbandes: Frieden mit Gerechtigkeit für eine echte Völkerfreundschaft.

Das Gespräch führte Bernd Knapstein.

Pause auf der Flucht: In Folge des Zweiten Weltkriegs verließ die italienische Bevölkerung Istrien. Foto: privat


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