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03.06.06 / Froh, daß er keine Bombe hatte! / Messerattacke am neuen Hauptbahnhof schürt Angst vor Attentaten bei der WM - Protokoll eines Amoklaufs

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juni 2006

Froh, daß er keine Bombe hatte!
Messerattacke am neuen Hauptbahnhof schürt Angst vor Attentaten bei der WM - Protokoll eines Amoklaufs
von Markus Schleusener

Die Eröffnungsfeier des Berliner Hauptbahnhofs vergangenens Wochenende wurde auf tragische Weise vom Amoklauf eines 16jährigen überschattet. Am Freitagabend überstürzten sich die Ereignisse dramatisch:

Kleine Pannen und Ärgernisse hatte es vorher zuhauf gegeben. Journalisten konnten in den Tagen vorher aus "technischen Gründen" (Bahn-Pressestelle) keine Besuchstermine mehr wahrnehmen. Das Gerücht, der Bahnhof werde nicht pünktlich fertig, machte die Runde.

Das war falscher Alarm. Bahnhofseinweihung und Eröffnungsfeier gingen fast reibungslos über die Bühne. Der lange feststehende Termin wurde sogar noch um zwei Tage vorverlegt. Verärgert waren aber die nichtprominenten Gäste. Ihnen soll der Bahnhof ja ein Mehr an Mobilität verschaffen. Doch zur großen Eröffnungssause mußten sie zu Fuß anmarschieren. Die Bahn hatte ausgerechnet an diesem Tag den Zugverkehr zum dortigen S-Bahnhof eingestellt - Logistikplanung Marke Mehdorn.

Trotz Regens nahmen dann rund 500000 Neugierige an der Party vor dem Glas-Titanen teil. Einige entschlossen sich vor Beginn des Feuerwerks gegen 22.30 Uhr jedoch, den Heimweg vorzeitig einzuschlagen. Der eine oder andere ist dadurch dem Schicksal entgangen, ein Messer in den Rücken gejagt zu bekommen.

Um 20.00 Uhr bereits erschien die Frühausgabe der "BZ" für den folgenden Tag. Euphorischer Titel: "Das Bahnhofswunder - die Eröffnung, die Party, der Stolz der Berliner". Wie ein mit einer Glaskugel ausgestatteter Wahrsager berichtete die größte Zeitung Berlins über eine Feier, die noch nicht einmal angefangen hatte.

Gegen 23.27 Uhr holte die Wirklichkeit die "BZ" ein. Mike Rene P. begann seinen Amoklauf. Wahllos stach der besoffene Neuköllner auf Passanten ein. Seine Wahnsinnstat begann hinter dem Reichstag, am Friedrich-Ebert-Platz. Zwei Minuten später ging der erste Rettungsruf bei der Feuerwehr ein: "Hier liegt eine Frau mit Messerstich im Rücken."

Trotz verstopfter Straßen schafften es die ersten Ärzte in nur sieben Minuten bis zum Opfer. Doch von da an prasselten immer neue Hilferufe. Der Verrückte war jetzt offenbar messerschwingend zur Wilhelmstraße gelaufen und Richtung Hotel Adlon abgebogen.

Um 23:45 Uhr löste die Feuerwehr "MANV" aus. Das Kürzel steht für "Massenanfall von Verletzten". Auf den Straßen herrschten längst Panik und Chaos. Passanten leisteten Erste Hilfe. Nach einer Stunde waren alle Opfer in Krankenhäuser verbracht, die meisten davon ins Vivantes-Krankenhaus Friedrichshain.

Der Täter rannte inzwischen nach Norden. In der Kapellestraße wurde er gestellt. Ein Wachmann nahm ihn fest, ließ ihn aber wieder gehen. Schließlich griff die Polizei zu. In einer anderen Version heißt es, private Sicherheitskräfte hätten den Täter der Polizei übergeben.

In den frühen Morgenstunden verbreitete sich die Nachricht von über 20 Verletzten wie ein Lauffeuer. Die "BZ" brachte am Sonnabendmorgen ein Bild des Festgenommenen: "Messer-Amok - Wer ist der Irre im weißen Anzug?"

Auf dem Bahnhof begann der Betrieb. Nicht der Zugbetrieb, der folgte erst am Sonntag. Aber die zahlreichen Geschäfte eröffneten auch ohne Zugverkehr, weil ab zehn Uhr morgens mit erheblichem Publikumsverkehr gerechnet wurde. Um die Mittagszeit war der gigantische Bau tatsächlich proppenvoll. Besucher staunten über den Luxusbahnhof, aber die Angst blieb: Alles war voll mit Uniformierten.

Um 14 Uhr gab die Polizei eine Pressekonferenz. "Soviel Leute hab' ick hier noch nicht jesehen", bemerkt einer der routinierten Reporter vor Beginn der Konferenz. Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) erklärte, sie gehe davon aus, daß es sich um versuchten Mord gehandelt habe. Schließlich sei der Täter heimtückisch vorgegangen. Trotzdem fand Schubert einen Haftbefehl für einen 16jährigen, über den ein Richter zu entscheiden hat, "problematisch".

SPD-Innensenator Erhard Körting hielt wohl nur das gemeinsame Parteibuch davon ab, seiner Parteifreundin offen zu widersprechen. "Ich kann mir bei 28 Verletzten nicht vorstellen, daß es keine Haft gibt", sagte er. Er fordert nun "stärkere Stopschilder" und behauptet, Gewaltfilme und brutale Computerspiele seien schuld an der Gewaltbereitschaft. Hilflos - so wirkten die Aussagen von Augenzeugen wie Politikern. Aus dem Umfeld der offiziell Verantwortlichen hieß es sogar unter der Hand: "Wir können froh sein, daß der keine Bombe hatte." Dafür hat er möglicherweise mehrere Opfer mit dem Blut eines HIV-Positiven infiziert, auf den er vor ihnen eingestochen hatte.


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