28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.06.06 / Startschuß für ein neues Wettrüsten / Die USA umwerben osteuropäische Staaten als Stützpunkt für ihr Raketen-Abwehrsystem

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juni 2006

Startschuß für ein neues Wettrüsten
Die USA umwerben osteuropäische Staaten als Stützpunkt für ihr Raketen-Abwehrsystem
von Dietrich Zeitel

In den vergangenen Tagen ließ die US-Regierung durch ihr Angebot, Europa unter ihr teures, technisch gesehen aber unausgereiftes Raketenabwehrsystem holen zu wollen, aufhorchen. Konkret wurden Polen und die Tschechei als mögliche Standorte für Abwehrraketen ins Gespräch gebracht, von denen aus feindliche Langstreckenraketen abgeschossen werden könnten. Von wo diese Raketen erwartet werden, daran ließ die Regierung Bush keinen Zweifel aufkommen; explizit wurde der Iran als möglicher Aggressor genannt. Mit dieser Offerte ist das fragwürdige US-Raketenabwehrsystem, das US-Präsident Ronald Reagan 1983 als sogenannten "Krieg der Sterne" aus der Taufe gehoben hatte, wieder in die Diskussion gekommen. Dieses Unternehmen ist eines der bislang teuersten Rüstungsprojekte der Vereinigten Staaten und stellt bisher nach Ansicht vieler Experten einen, um es vorsichtig zu sagen, Mißerfolg dar. Angeblich sollen in dieses System bis heute etwa 100 Milliarden US-Dollar investiert worden sein. Offizielle Zahlen seitens des Pentagons gibt es nicht, da es bisher keine Gesamtkostenschätzung veröffentlicht hat. Allerdings liegen Zahlen des US-Rechnungshofs vor, das bei einer Weiterverfolgung dieses Projekts bis zum Jahre 2024 Gesamtkosten in Höhe von 247 Milliarden Dollar kalkuliert hat.

Wird das Raketenabwehrsystem eines Tages jene Effizienz erlangen, die sich deren Protagonisten erhoffen, dann würden feindliche Langstreckenraketen mit Hilfe von Sensoren zu Lande, zu Wasser und in der Luft sowie im Weltraum rechtzeitig identifiziert, über Radar verfolgt und mittels Abfangraketen rechtzeitig vernichtet werden, und zwar entweder direkt nach dem Start oder spätestens in der Endphase ihres Fluges in Richtung USA. Von diesem Szenario sind die USA aber weit entfernt. Trotz der dürftigen Ergebnisse der bisherigen Tests erwägt das Pentagon, Abfangraketen in Alaska und auf der Luftwaffenbasis Vandenberg in Kalifornien zu stationieren. Wohl auch, um die finanziellen Lasten etwas erträglicher zu gestalten, versucht die US-Regierung seit längerem, befreundete Staaten unter ihr Raketenschutzschild zu holen; eine Initiative, die bisher nur in Osteuropa, insbesondere in Polen und der Tschechei, eine gewisse Resonanz fand, so daß das US-Angebot an diese beiden Staaten nicht besonders überrascht. In Europa waren darüber hinaus bis dato nur Dänemark und England bereit, ein Frühwarn-Radarsystem zu installieren. Auch Japan signalisierte Interesse an der einen oder anderen Komponente des Abwehrsystems.

Das aktuelle Angebot der USA in Richtung Osteuropa hat allerdings Implikationen, die geeignet sind, das strategische Wettrüsten, das mit dem Ende des Kalten Krieges gegenstandslos geworden ist, wieder nachhaltig anzuheizen. Der Hinweis auf eine angebliche Bedrohung Europas durch iranische Raketen dürfte angesichts der eher bescheidenen militärischen Optionen des Irans doch zu fadenscheinig sein, um als ernsthaftes Argument gelten zu können. Vieles spricht dafür, daß die US-Offerte vor allem ein eindeutiges Signal in Richtung Rußland ist. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die geplante Ausdehnung des US-Raketenschildes zu nennen, sondern auch die Neuausrichtung der US-Atomwaffenpolitik insgesamt, wie es zum Beispiel in dem militärischen Planungsdokument "CONPLAN 8022" zum Ausdruck kommt, das auch den Einsatz von Nuklearwaffen vorsieht. Bis vor kurzem war über das in diesem Dokument entfaltete Szenario und dessen Variante "8022-2" (zusammen als "Global Strike" bezeichnet) wenig bekannt geworden. Neuerdings hat aber die renommierte "Federation of American Scientists" (FAS) eine Studie über dieses Planungstableau veröffentlicht, das einen guten Überblick über dessen Kernelemente gibt. "Global Strike" fußt demnach auf der Doktrin des "präemptiven Nuklearkriegs", die die Bush-Regierung in der "Nuclear Posture Review" (NPR) aus dem Jahre 2002 formuliert hat. Sie schließt den Einsatz von Kernwaffen bei "chirurgischen Schlägen" nicht aus. Das bedeutet mit anderen Worten: Der NPR bildet die Grundlage für den Einsatz von taktischen Atomwaffen unterhalb der Schwelle von Atomwaffen im Rahmen "konventioneller Konflikte". Unter Kernwaffen wird hier eine neue Generation von taktischen Kernwaffen verstanden ("low field mini-nukes"), die eine Explosionskraft von bis zu sechs Hiroshima-Bomben haben sollen, für Zivilisten aber angeblich "ungefährlich" sein sollen, da sie unter der Erde explodierten. Nach Auffassung der Regierung Bush seien sie als "Abschreckungsmittel" gegen "Schurkenstaaten" wie den Iran oder Nord-Korea unverzichtbar. Die Notwendigkeit, Präventivschläge zu führen, wird also daraus abgeleitet, daß "Schurkenstaaten" und "Terroristen" Massenvernichtungswaffen nicht als "letztes Mittel" betrachteten, wie es der Publizist Florian Rötzer ausdrückte, sondern als "Option" verständen, die sie auch gegen die USA und ihre Alliierten einsetzen würden, "wenn sie im Besitz von entsprechenden weitreichenden Raketen sind". Zudem hätte die Geschichte gezeigt, daß es trotz größter Bemühungen seitens der USA "militärische Überraschungen und ein Scheitern von Diplomatie, Geheimdiensten und Abschreckung geben könne" (Online-Magazin "Telepolis", 6. April). Aus dieser Deutung wird noch eine weitere Schlußfolgerung abgeleitet, die jetzt im Hinblick auf Polen und die Tschechei nochmals augenfällig geworden ist. Da die Vereinigten Staaten von jedem Standort auf dem Globus bedroht werden könnten, müßten sich auch ihre Verteidigungsmaßnahmen dieser Herausforderung anpassen, was auf deren Globalisierung hinausläuft.

"CONPLAN 8022" stellt in diesem Zusammenhang die operative Umsetzung der NPR dar. Hierfür wurde dem US-Strategic Command (USSTRATCOM) in Nebraska die Rolle eines "Projektkoordinators" zugewiesen, der für die Abstimmung aller einschlägigen Operationen zuständig ist. Weiter wurde mit dem "Joint Functional Component Command Space und Global Strike" (JFCSGS) eine neue Befehlsebene ins Leben gerufen, die die Aufgabe hat, die Auslösung eines "präemptiven" nuklearen Angriffs gegen "Schurkenstaaten" zu überwachen. Aber auch Ziele ganz anderer Art sind denkbar, wie Hans Kristensen vom "Nuclear Information Project" im "Japanese Economic Newswire" Ende Dezember 2005 anmerkte. Kristensen schrieb sinngemäß, das es nichts gebe, was die Amerikaner daran hindern könnte, "CONPLAN 8022" "bei begrenzten Szenarien gegen russische und chinesische Ziele anzuwenden". Dieses Urteil kommt nicht von irgend jemandem; Kristensen wird zu den seriösesten unabhängigen Experten im Hinblick auf die US-Nuklearpläne gezählt. Entsprechend nervös hat das russische Verteidigungsministerium auf die mögliche Ausdehnung des US-Raketenschildes in Richtung Osteuropa reagiert. Schon vor Bekanntwerden der aktuellen US-Offerte an Europa behaupteten die Russen, Raketen getestet zu haben, die angeblich in der Lage seien, den US-Raketenschild zu umgehen. Aktuell hat das russische Verteidigungsministerium laut dem bereits zitierten Florian Rötzer ("Telepolis",

23. Mai) deutlich gemacht, daß die Stationierung von Abfangraketen in Polen "einen negativen Einfluß auf das gesamte europäisch-atlantische Sicherheitssystem" haben werde. "Die Wahl des Standortes dieses Systems" sei "seltsam, um es vorsichtig zu sagen". Die Russen dürften längst begriffen haben, daß der Startschuß für ein neues Wettrüsten seitens der USA längst abgefeuert worden ist.

Noch aber stellt, folgt man den Ausführungen der "National Security Strategy" des Weißen Haus vom 16. März dieses Jahres, der Iran "die größte Bedrohung für die USA" dar.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren