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03.06.06 / Er hat Farben und Formen revolutioniert / Später Ruhm eines unverstandenen Malergenies - Zum 100. Todesjahr von Paul Cézanne

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juni 2006

Er hat Farben und Formen revolutioniert
Später Ruhm eines unverstandenen Malergenies - Zum 100. Todesjahr von Paul Cézanne
von Uta Buhr

Quelle honte - welche Schande! Fast 100 Jahre haben meine Mitbürger gebraucht, um endlich das Genie Paul Cézannes zu begreifen. Henri Pontier, der Direktor des Museums der Schönen Künste in Aix, hat sich seinerzeit geweigert, jemals ein Werk Cézannes zu zeigen. Zum ersten Mal wurde er dort 1984 ausgestellt." Josianes dunkle Augen blitzen vor Zorn. Sie selbst ist in Aix-en-Provence geboren, Studentin der Rechte an der dortigen Universität und stolz auf ihre schöne Stadt. Bei strahlendem Sonnenschein schlendern wir mit ihr den Cours Mirabeau, die Prachtstraße mit ihren barocken Bürgerhäusern, belebten Cafés und sprudelnden Brunnen, hinunter. Bunte Fahnen, die auf die Festivitäten zu Ehren des großen Sohnes hinweisen, flattern in der leichten Brise. Die "Route Cézanne" wird durch runde, in das Straßenpflaster eingelassene Bronzeplaketten markiert. Und schon stehen wir vor dem "Musée Granet" an der Place Jean de Malte, in dem ab der nächsten Woche 110 Werke des Meisters unter dem Titel "Cézanne en Provence" ausgestellt werden.

Eine Menschentraube hängt schon jetzt vor dem Portal, babylonisches Stimmengewirr dringt an unser Ohr. Mit Kameras behängte Japaner steigen im Schlepptau einer resoluten Führerin die Freitreppe hinauf, gefolgt von einer Gruppe Amerikaner, die sich laut darüber auslassen, daß sie schon einen Teil des Œuvres aus der National Gallery in Washington kennen. Nun sind sie ganz wild darauf, weitere Werke von "Ssässenn" zu sehen.

Anläßlich der Ausstellung zum 100. Todesjahr des Malers wurde das Museum völlig neu gestaltet und von 700 auf 4000 Quadratmeter erweitert. Die zwölf Säle präsentieren mit Ölbildern, Aquarellen, Stilleben und Selbstporträts einen Querschnitt seines Schaffens. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die weltberühmten "Badenden" sowie die Gemälde des magischen Kalksteinmassivs Sainte Victoire.

"Wer hier geboren wurde, ist verloren. Nichts anderes gefällt einem mehr", soll Paul Cézanne über seine Heimatstadt Aix-en-Provence gesagt haben, die er trotz ihrer kalten Ablehnung bis an sein Lebensende geliebt hat. "Das Licht der Provence und das milde Klima haben ihn selbst mit den Ignoranten und Kunstbanausen versöhnt", lacht Josiane und führt uns weiter durch die Stadt.

Auf unserer Spurensuche streifen wir das Haus in der Rue de l'Opéra, wo Cézanne am 19. Januar 1839 das Licht der Welt erblickte. Hinter den Mauern des Stadtpalais ging es streng und prosaisch zu. Vater Louis-Auguste war ein erfolgreicher Hutfabrikant mit Geschäftsräumen am vornehmen Cours Mirabeau. Später erwarb er noch eine Bank und wurde sehr reich. Dennoch galt er der feinen Gesellschaft von Aix auf Grund seiner proletarischen Herkunft als Parvenu. Es war sein innigster Wunsch, seinen Sohn als Advokaten zu etablieren, damit die Familie endlich "dazu gehöre". Nach dem Besuch des Collège Bourbon, wo er enge Freundschaft mit Émile Zola schließt, studiert er auf Geheiß des Vaters zunächst Jura. Selbstverständlich findet er keinen Geschmack an der trockenen Materie. Die liebevolle Mutter setzt sich für ein Kunststudium ein, indem sie argumentiert, nicht umsonst hieße der Filius Paul wie Rubens und Veronese! Der Vater gibt schließlich nach und schickt Paul auf die Académie Suisse in Paris, wo er Camille Pisarro kennen- und schätzenlernt. Eine Freundschaft, die ein Leben lang halten soll.

Cézanne verliebt sich in ein Modell und heiratet es heimlich. In Aix erzählt man sich gern die Anekdote vom Sohn, der seinem Vater ein Schnippchen schlug, indem er ihm seine in aller Stille geschlossene Ehe mit Horthense Fiquet verheimlichte. Er richtete sich mit seiner kleinen Familie in Auvers-sur-Oise ein, blieb aber der folgsame Sohn, der regelmäßig die Eltern besuchte. Durch die Verspätung der Straßenbahn erschien Paul eines Tages verspätet an der väterlichen Tafel. Der Patriarch hatte inzwischen einen von Horthense an Paul gerichteten Brief gelesen, der ihm zufällig in die Hände gefallen ist. Empört kürzte er Paul die monatliche "Apanage". Ein Schlag für den Maler, der die Seinen von seiner Kunst nicht ernähren konnte. Der "Verrat" wog um so schwerer, als Paul Cézanne in den vornehmen Salons von Paris kategorisch abgelehnt wurde und seine Werke lediglich in den "Salons des Refusés" (Salons der Abgelehnten) ausstellen durfte. Doch verbissen arbeitete er weiter und studierte akribisch den Faltenwurf auf den Madonnenbildern der alten Meister. Dieser findet sich in seinen Stilleben wieder, auf denen Früchte, Krüge und Kannen auf drapierten Tüchern dargestellt sind.

"Jas de Bouffan", die ehemalige herrschaftliche Sommerresidenz des Gouverneurs der Provence, erscheint dem Bankier Louis-Auguste Cézanne der angemessene Wohnsitz für einen erfolgreichen Bankier zu sein. In die ländliche Stille der provenzalischen "Bastide" verschlägt es auch Paul, der zunehmend menschenscheu wird und die Einsamkeit sucht. In seinem neuen, inmitten eines schattigen Parks mit alten Kastanienbäumen und üppigen Blumenbeeten gelegenen Domizils arbeitet er unermüdlich. Hier lebt er von 1859 bis 1899. Die Idylle hat er auch in seinen Gemälden "Bäume in Jas de Bouffan" und "Wasserbecken in Jas de Bouffan" festgehalten. Leider ist das einst prächtige Haus heute etwas heruntergekommen, der Park romantisch verwildert. Nur der Salon ist für das Publikum geöffnet. Hier läuft eine Audio-Video-Schau, die das Leben des Künstlers vor Ort beleuchtet. "Cézanne würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, was aus seinem einstigen Refugium geworden ist", sagt die Leiterin von "Jas de Bouffan" und weist auf die laute Umgehungsstraße, die um das Anwesen herum gebaut wurde. Die pastorale Stille, die der Künstler so genoß, und die unberührte Naturszene, die er von seinem Atelierfenster im ersten Stock des Hauses sehen konnte, gehören seit langem der Vergangenheit an. Gesichtslose mehrstöckige Gebäude erheben sich dort, wo sich zu Cézannes Zeit Felder und Wiesen bis zum Horizont erstreckten.

1901, fünf Jahre vor seinem Tod, findet Cézanne nach langer Suche auf dem Hügel von Les Lauves endlich sein Traumatelier. Da er nach dem Tod seines Vaters ein vermögender Mann geworden ist, kann er es sich leisten, seinen Kunsttempel mitten in einem Olivenhain nach eigenen Entwürfen gestalten zu lassen. Durch riesige Fenster strömt das gleißende Licht der Provence ungehindert herein. Seinen Verehrern gilt das Haus in der heutigen Avenue Paul Cézanne 9 als Wallfahrtsort. Der große, grau gestrichene Raum im Erdgeschoß ist angefüllt mit sehr persönlichen Gegenständen: Strohhut und Liegestuhl des Malers, Pfeife und dem eigens für die Arbeit an den "Badenden" konstruierten Gerüst. Anrührend ist der Anblick des Amors aus hellem Sandstein mit dem abgebrochenen rechten Arm. Auch ihn hat Cézanne liebevoll porträtiert. Eine unvollendete Skizze steht noch auf der Staffelei. Das "Atelier des Lauves" ist ein Ort, an dem der Besucher noch den Geist des Künstlers zu spüren meint.

"Die im Atelier gemalten Bilder kommen gegen die in freier Natur geschaffenen einfach nicht an", schrieb Cézanne einst an seinen Freund Emile Zola. "Die Landschaft ist großartig, und ich sehe wunderbare Dinge. Ich muß mich daher entschließen, nur noch im Freien zu arbeiten." Seinem idealen Sujet begegnet Cézanne auf längeren Ausflügen schließlich etwa 30 Kilometer von Aix entfernt zwischen Beaureceuil und Saint-Antonin in der heroischen Landschaft um den 945 Meter hohen Berg Sainte-Victoire. Wie ein Besessener malt er den schroffen Kalksteinfelsen, am liebsten vom Château Noir aus oder aus der Perspektive des Steinbruchs von Bibémus, der mittags ockergelb aufleuchtet und später in der Abendsonne in rötliches Licht getaucht ist. Fast jeden Tag bahnt er sich mit dem Skizzenblock unter dem Arm seinen Weg durch wildes Gestrüpp und Geröll. Seine Liebe zur Malerei im Freien wird ihm an jenem schwülen Tag im Oktober 1906 zum Verhängnis. Ein Gewitter überrascht ihn auf freiem Feld. Keine Mensch ist in der Nähe, und er muß lange auf Hilfe warten. Kurz darauf erkrankt er an einer schweren Lungenentzündung, der er am 22. Oktober desselben Jahres erliegt - im Alter von gerade einmal 67 Jahren.

"Cézanne hat natürlich nicht nur in und um Aix herum gemalt", erklärt Jean-Claude, ein Kunststudent aus Marseille, der seine Besucher durch L'Estaque führt. Der alte Hafen in der Bucht von Marseille war einst das Eldorado aufstrebender Künstler. 1870 führt der Krieg gegen Preußen Cézanne hierher. Das Meer mit seinen wechselnden Farben verzaubert ihn. Begeistert schreibt er an seinen Freund Pissarro: "Rote Dächer vor dem blauen Meer. Die Sonne ist hier so erbarmungslos, daß es mir scheint, als ob alle Gegenstände sich als Silhouetten abhöben. Und das nicht nur in Schwarz oder Weiß, sondern in Blau, in Rot, in Braun und Violett." Auch eine Industrieanlage mit qualmendem Schornstein bringt er ebenso auf die Leinwand wie das "Haus mit den blauen Fensterläden" auf dem Hügel, das heute noch - frisch renoviert, aber immer noch reizvoll - am Impasse de L'Épargne zu sehen ist. "Auf den Spuren Cézannes folgten Raoul Duffy und Georges Braque", sagt Jean-Claude und führt uns zu Stellen, an denen die beiden Künstler mit ihren Staffeleien gestanden haben. "Man sagt auch, der Kubismus sei in L'Estaque geboren worden. Sehen Sie sich die würfelartigen Häuser von Cézanne an. Er hat nicht nur die Farben, sondern auch die Formen in der Malerei revolutioniert. "

"Wer noch nicht in Les Baux-de-Provence gewesen ist, weiß nichts von erhabener Schönheit", heißt es im Volksmund. Treffender hätte es auch Rainer Maria Rilke nicht sagen können, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts das felsige Plateau inmitten einer grünen, von roter Erde durchsetzten Ebene besuchte. "Man kommt von Saint-Rémy, wo die Erde der Provence lauter Felder von Blumen trägt. Und auf einmal schlägt alles in Stein um", schrieb er in sein Tagebuch. Wer sich die holperige, steil ansteigende Straße bis zur Oberstadt hinaufgearbeitet hat, genießt in unmittelbarer Nachbarschaft der Kapelle St. Blaise einen herrlichen Rundblick auf die provenzalische Landschaft. Im Tal wartet eine weitere Köstlichkeit auf den Besucher. In der "Cathédrale d'Images", einem gigantischen Steinbruch, findet zur Zeit eine hinreißende visuelle Bilderschau unter dem Titel "Les couleurs de Cézanne" statt. Die Steinbrüche dienen als Kulisse und riesige Leinwand für dynamische Projektionen. Sie lassen den Betrachter in eine furiose Bilderwelt voller Emotionen und Farben eintauchen. Das Schauspiel ist einfach atemberaubend. Landschaften, Porträts und Stilleben werden an die Wände, Decken und den Fußboden geworfen. Zu den verschiedenen Bildern wurde Musik ausgewählt, die genau zu den Sujets paßt. Wie durch einen Schleier gleiten die "Badenden" an uns vorbei, untermalt von einer Komposition des Komponisten Claude Debussy - perlend und durchsichtig wie Wasser. Die Meinung der Besucher ist einhellig, bis auf wenige Stimmen, die diese Präsentation etwas kitschig finden: Ein hinreißendes Spektakel - eine lange überfällige Hommage an Paul Cézanne, den Wegbereiter der modernen Kunst!

Das "Musée Granet", Place Jean de Malte, Aix-en-Provence, ist täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet, am Dienstag bis 23 Uhr, Eintritt 10 Euro. Anmeldung ist unbedingt erforderlich: Von Deutschland unter der Nummer (00 33) 4 42 16 10 91 (vor Ort 42 16 10 91). Auskünfte: Maison de la France - Französisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 10 01 28, 60001 Frankfurt / Main, Telefon: (09 00) 1 57 00 25, E-Mail: info.de@franceguide.com oder im Internet unter www.franceguide.com.

Paul Cézanne: Den gewaltigen Berg Sainte-Victoire hat er sehr oft gemalt. Fotos: Archiv

 

Paul Cézanne wird am 19. Januar 1839 als Sohn des Hutfabrikanten und späteren Bankiers Louis-Auguste Cézanne in Aix-en-Provence geboren. Als er fünf Jahre alt ist, heiraten die Eltern. In der Schule freundet er sich mit Émile Zola (1840-1902), dem späteren Dichter, an. 1858 schließt er Ausbildung ab und erhält ersten Zeichenunterricht. Mit 20 Jahren nimmt er auf Wunsch des Vaters ein Jurastudium auf, das er allerdings bald abbricht. 1861 geht er nach Paris auf die Académie Suisse geht. Er ist 30 Jahre alt, als er eine Beziehung zu Horthense Fiquet aufnimmt, die ihm 1872 den Sohn Paul gebiert, die er jedoch erst 1886 heiratet. 1874 nimmt er an der ersten Impressionisten-Ausstellung teil, drei Jahre später an der dritten Ausstellung dieser Kunstrichtung. Wiederholt wird er von der Jury des Pariser Salons abgelehnt, so daß er sich schließlich wieder in seine Heimat zurückzieht.

Als Paul Cézanne am 22. Oktober 1906 in Aix-en-Provence stirbt, hinterläßt er ein reiches Werk. Os

Paul Cézanne: Selbstbildnis (Ausschnitt)


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