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03.06.06 / "›Konterbandist‹ im großen Stil" / Vor 100 Jahren lief der Cunard-Liner "Lusitania" im schottischen Clydebank vom Stapel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 03. Juni 2006

"›Konterbandist‹ im großen Stil"
Vor 100 Jahren lief der Cunard-Liner "Lusitania" im schottischen Clydebank vom Stapel
von Manuel Ruoff

Eineinhalb Jahre ist es jetzt her, daß sich der Westen mit den Angelsachsen vorneweg ereiferte, als Saddam Hussein vor dem Zweiten Golfkrieg ankündigte, militärisch relevante Objekte im Irak durch sogenannte menschliche Schutzschilde schützen zu wollen. Dabei haben die Briten selber sich bereits im Ersten Weltkrieg "menschlicher Schutzschilde" zum Schutz ihres militärischen Nachschubs über den Atlantik bedient. Es ist nicht zuletzt dieser "Double Standard", diese Doppelmoral, welche die Pax Americana, die von den Angelsachsen erstrebte Weltordnung mit ihnen als Weltpolizisten, nicht nur in der islamischen Welt, sondern auch in China, Rußland und anderen Teilen der Welt auf Ablehnung und auch Widerstand stoßen läßt.

 

Ausgerechnet zum Diamantenen Krönungsjubiläum von Königin Victoria im Jahre 1897 verlor die Seefahrernation schlechthin jener Zeit das "Blaue Band" für die schnellste Fahrt zwischen New York und Europa an die deutsche Konkurrenz. Das schrie nach Gegenmaßnahmen. Deshalb wurde im September 1904 auf der Werft John Brown & Co. im schottischen Clydebank mit dem Bau der "Lusitania" begonnen. Der Auftraggeber, die Cunard-Linie, die wegen ihrer "Queen Mary 2" auch dem historisch nicht Interessierten ein Begriff sein dürfte, ließ sich Bau und Betrieb durch den britischen Steuerzahler vorfinanzieren und subventionieren. Die Gegenleistung bestand darin, daß das Schiff militärischen Anforderungen der Admiralität genügte, so daß es im Kriegsfall als Hilfskreuzer eingesetzt werden konnte. Dazu gehörten unter anderem eine Dauergeschwindigkeit von 24,5 Knoten und die baulichen Möglichkeiten, im Bedarfsfall massiv aufgerüstet zu werden. Wie bei einem Kriegsschiff hatten alle sensiblen Einrichtungen wie Maschinen, Kessel, Ruderanlagen, Brennstofflager und Steuereinrichtungen unterhalb der Wasserlinie untergebracht zu werden, wo sie vor Geschützfeuer relativ sicher waren. Schäden durch Minen und Torpedos wurden damals noch vernachlässigt. Des weiteren mußte sich Cunard gegenüber der Admiralität verpflichten, englisch zu bleiben sowie das Schiff bei drohenden Feindseligkeiten für den Umbau zum Hilfskreuzer zur Verfügung zu stellen und im Kriegsfall die gesamte Cunard-Flotte dem Befehl der Admiralität zu unterstellen. Die militärische Bedeutung und Geschichte der "Lusitania" begann also nicht erst mit dem Ersten Weltkrieg.

Vor 100 Jahren, am 7. Juni 1906 lief die "Lusitania" vom Stapel. Im darauffolgenden Jahr führte sie ihre Jungfernreise durch. Bei ihrer zweiten Atlantiküberquerung erfüllte sie ihren primären zivilen Zweck: Sie holte das "Blaue Band" zurück. In neuer Rekordzeit von vier Tagen, 19 Stunden und 52 Minuten legte sie die 2780 Seemeilen zwischen Queenstown und Ambrose Leuchtfeuer zurück. Im Juli 1908 wurde mit 25,01 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit darüber hinaus erstmals die 25-Knoten-Grenze überschritten. Die "Lusitania" sollte das "Blaue Band" länger behalten als sie existierte, bis 1929, als es - trotz zwischenzeitlich verlorenem Krieg - wieder nach Deutschland ging

Am 19. Februar 1913 und damit weit über ein Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Cunard von der Admiralität informiert, daß es nun an der Zeit sei, mit dem Umbau der "Lusitania" zu einem Hilfskreuzer zu beginnen. Am 12. Mai lief das Schiff hierfür in Liverpool ins Trockendock. Nach vollzogenem Umbau wurde die "Lusitania" am 17. September als bewaffneter Hilfskreuzer in das Flottenregister der Admiralität aufgenommen.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am Abend des 3. Oktober 1914 teilte der Sekretär der Admiralität Sir William Graham Greene im Rauchzimmer des Reform Clubs dem Cunard-Chef Alfred Booth die geplante Kriegsverwendung des Schiffes mit. Die Zivilreederei wurde aufgefordert, einen Schnelldienst zwischen Liverpool und New York einzurichten und dafür die von ihr wieder in Betrieb zu nehmende "Lusitania" einzusetzen. Für sich selber beanspruchte die Admiralität hinsichtlich der "Lusitania" und der anderen Cunard-Schiffe auf dieser militärisch wichtigen Atlantikroute die Bestimmung des von den Kapitänen zu steuernden Kurses sowie die Verfügungsgewalt über den Frachtraum und die Passagierkabinen. Die von ihr nicht genutzten Transportkapazitäten konnte Cunard auf dem freien Markt verkaufen. Die Folge war eine - gelinde gesagt - völkerrechtlich unsaubere Mischnutzung der "Lusitania". Alfred Booth bringt die Situation auf den Punkt, wenn er seinem Vetter George Booth schrieb: "Kurz gesagt, Sir William nahm mich mit in meinen Club und befahl mir, im Interesse der Nation ein ,Konterbandist' im großen Stil zu werden."

Am 24. Oktober 1914 ging der von der Admiralität befohlene Pendelverkehr der "Lusitania" zwischen Liverpool und New York los. Den Deutschen blieb es nicht verborgen, daß das Schiff nicht nur zum Transport von britischen und US-amerikanischen Zivilisten genutzt wurde. Sie befanden sich jedoch in einer Zwickmühle. Sie konnten entweder der Versuchung widerstehen, sprich die Arme in den Schoß legen und tatenlos zusehen, wie die gegnerischen Truppen in Frankreich über den Atlantik mit todbringendem militärischen Nachschub versorgt wurden, oder sie konnten der Versuchung nachgeben, was bedeutete, mit der "Lusitania" die Existenz Hunderter von englischen und US-amerikanischen Zivilisten zu beenden und damit jenen in England und auch in den Vereinigten Staaten von Amerika in die Hände zu spielen, die mit allen Mitteln die USA auf Seiten der Entente in den Ersten Weltkrieg ziehen wollten.

Kapitänleutnant Walter Schwieger, der Kommandant des deutschen U-Bootes U 20, fällte am 7. Mai 1915 gegen 14.10 Uhr vor der Küste Südirlands die Entscheidung, indem er den Befehl zur Torpedierung der "Lusitania" gab. Die kurzfristige Folge war der Tod von 1198 der 1959 Menschen an Bord, darunter 95 Kinder und 128 US-Amerikaner. Die langfristige Folge war der Kriegseintritt der USA am 6. April 1917, der den europäischen zu einem Weltkrieg machte und an dem - zusammen mit der ebenfalls 1917 stattfindenden Oktoberrevolution in Rußland - gemeinhin der Beginn der Zeitgeschichte festgemacht wird.

Die "Lusitania": Das Passagierschiff, dessen vier Schrauben jeweils durch eine Parsons-Dampfturbine angetrieben wurden, war 232,3 Meter lang, 26,75 Meter breit und für 2165 Passagiere ausgelegt und hatte eine Verdrängung von 44000 Tonnen und einen Rauminhalt von 31550 Bruttoregistertonnen. Foto: Archiv


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