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24.06.06 / Parkinson: Neue Hoffnung / Mit einer Pumpe kann der Patient sich selber versorgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 24. Juni 2006

Parkinson: Neue Hoffnung
Mit einer Pumpe kann der Patient sich selber versorgen
von Hans-J. Mahlitz

Mit unsicheren Schritten nähert sich Veit S. dem Rednerpult, er scheint ruhiger zu werden, als es ihm beim ersten Versuch gelingt, das Mikrophon zu ergreifen. Noch ein paar hastige Bewegungen, und er beginnt zu reden: „Ich bin heute mit der Bahn hierhin gereist, fast 300 Kilometer weit!“ Tosender Beifall – das fachkundige Publikum weiß, was diese so banal klingende Mitteilung zu bedeuten hat.

Veit S., 64 Jahre alt, leidet seit zwei Jahrzehnten an Parkinson, seit vielen Jahren bereits im weit fortgeschrittenen Stadium. Aus der fränkischen Heimat ist er nach Frankfurt a. M. gereist, um auf einem wissenschaftlichen Symposium im Rahmen des Deutschen Parkinson-Kongresses über neue Therapiemöglichkeiten zu berichten. Was er vorträgt, findet bei den vielleicht 150 Zuhörern – Mediziner (überwiegend im Professorenrang), Pharma-Forscher und Fachjournalisten – lebhaftes Interesse. Wie er es vorträgt – frei redend, für einen Parkinson-Patienten auffällig unaufgeregt – beeindruckt auch emotional. Und die Tatsache, daß er erstmals eine solche Reise mit einem öffentlichen Verkehrsmittel wagen konnte, verstärkt diese Wirkung noch.

Parkinson (wissenschaftlich: Morbus Parkinson, benannt nach einem britischen Arzt, der die Symptome 1817 erstmals beschrieb) ist eine neurodegenerative Erkrankung des Gehirns. Sie zerstört Nervenzellen, die den Botenstoff Dopamin herstellen. Solche Stoffe haben die Aufgabe, Impulse zwischen den Nerven weiterzuleiten; Dopamin ist unter anderem für die „Befehlsübertragung“ im motorischen System des Körpers zuständig. Steht es nicht ausreichend zur Verfügung, gerät der gesamte Bewegungsapparat aus dem Gleichgewicht.

Die Krankheit tritt etwa ab dem 45. bis 50. Lebensjahr auf, bei Männern nahezu doppelt so häufig wie bei Frauen. In Deutschland leben zur Zeit rund 400000 Parkinson-Patienten. Die Fachmediziner rechnen mit steigenden Zahlen; auch beobachten sie, daß immer häufiger auch Jüngere erkranken (laut Prof. Dr. Wolfgang Oertel, Uni Marburg, sind bereits zehn Prozent der Parkinsonkranken unter 40).

Drei markante Symptome sind typisch für Parkinson: Rigor, Tremor und Bradykinese. Rigor bedeutet eine Versteifung der Muskulatur, welche zu unnatürlicher Körperhaltung führt und mit starken Schmerzen verbunden ist. Beim Tremor handelt es sich um ein unkontrolliertes rhythmisches Zittern von Händen, Armen oder Beinen – für den Laien das auffälligste Merkmal eines Parkinson-Patienten. Bradykinese schließlich ist die zunehmende Verlangsamung aller möglichen Bewegungen. Sie äußert sich zum Beispiel in einer auffälligen Veränderung der Mimik, der Sprache oder des Bewegungsablaufs beim Gehen.

Für den Patienten hat die Krankheit aber noch weitaus stärkere Auswirkungen. Schon in der Frühphase werden häufig Depressionen und Schlafstörungen beobachtet. Sprechstörungen, Verlangsamung der Denkfähigkeit und Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit führen dazu, daß der Kranke für geistesgestört (dement) gehalten wird, obwohl seine geistige Leistungsfähigkeit weitgehend erhalten bleibt (der eingangs beschriebene Auftritt auf dem Ärzte-Symposium war ein eindrucksvoller Beleg dafür).

Große Probleme entstehen, wenn schnelle Reaktionen gefordert sind, etwa wenn man ins Stolpern gerät. Der Gesunde gleicht das mit wenigen, meist unbewußten Bewegungen aus, während der Parkinsonkranke bei der geringsten Störung total aus dem Gleichgewicht gerät und zu stürzen droht. Dies und der Wechsel zwischen hyperaktiven und geradezu apathischen Phasen hat oft eine gesellschaftliche Stigmatisierung, ja Diskriminierung zur Folge – neben Schmerzen und körperlichen Leiden ein dramatischer Verlust an Lebensqualität!

Eine Heilung, also eine Therapie der Ursachen, ist bis heute nicht möglich. Man kann nur Symptome lindern und den Krankheitsverlauf verlangsamen. Hier haben sich drei Typen von Medikamenten bewährt: Levadopa (L-Dopa), eine Art Dopamin-Vorstufe, die im Hirn die Produktion des Botenstoffs anregt, Dopamin-Agonisten (Ersatzstoffe, welche die Wirkung von Dopamin nachahmen), sogenannte Hemmer, die den Abbau von Dopamin (MAO-B-Hemmer) beziehungsweise L-Dopa (COMT-Hemmer) bremsen.

Im fortgeschrittenen Krankheitsstadium zeigen diese Mittel aber auch deutliche Nachteile. Die Verabreichung wird für den Patienten immer komplizierter, die Wirkung immer schwächer, der Wechsel zwischen Zuständen guter (On) und schlechter Beweglichkeit (Off) immer häufiger; am Ende droht ein schmerzerfülltes Leben im Rollstuhl.

Neue Hoffnung gibt diesen Patienten das auf dem Symposium vorgestellte Therapiekonzept Duodopa. Es handelt sich um eine Kombi-Substanz aus L-Dopa und einem COMT-Hemmer, die über eine Sonde direkt in den Dünndarm gelangt. Der Patient trägt am Körper einen Beutel, nicht größer als ein Portemonnaie, mit einer Pumpe und einem 24-Stunden-Vorrat des Medikaments. Damit kann er situationsgerecht selber den L-Dopa-Spiegel steuern.

Wie die Marburger Neurologin Dr. Karla Eggert berichtet, hat sich das von „Orphan Europe“ entwickelte Therapiekonzept in vierjähriger klinischer Erprobung bestens bewährt. Es ist seit 2004 in Deutschland zugelassen und wird von den Krankenkassen bezahlt. Mit Duodopa behandelte Patienten haben doppelt so lange Zeiten normaler Beweglichkeit, signifikant weniger Tremor-Erscheinungen und Schmerzen und insgesamt eine deutlich höhere Lebensqualität. So können endlich auch Parkinson-Kranke im weit fortgeschrittenen Stadium zumindest begrenzt am öffentlichen Leben teilnehmen. Und Patient Veit S. konnte nur deshalb zu diesem Symposium nach Frankfurt reisen, weil er seit ein paar Monaten auf die Duodopa-Pumpe drückt.

Eine Krankheit, die auch einen dramatischen Verlust an Lebensqualität bedeutet.

Muhammad Ali entzündete 2002 in Salt Lake City das olympische Feuer: Der berühmte Boxer ist einer der prominentesten Parkinson-Patienten. Auch der US-Schauspieler Michael J. Fox, die 2003 verstorbene Schauspielerin Katharine Hepburn, der Opernsänger Peter Hofmann und der 1989 verstorbene surrealistische Maler Salvador Dali leiden beziehungsweise litten unter der heimtückischen Krankheit. Foto: pa


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