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01.07.06 / Flach und fast ohne Falten / Mit dem Torfkahn unterwegs über Hamme und Wümme durch das Teufelsmoor

© Preußische Allgemeine Zeitung / 01. Juli 2006

Flach und fast ohne Falten
Mit dem Torfkahn unterwegs über Hamme und Wümme durch das Teufelsmoor
von Helga Schnehagen

Das Land nordöstlich von Bremen ist eine Region für Entdecker. "Es ist ein seltsames Land ... Wenn man auf dem kleinen Sandberg von Worpswede steht, kann man es ringsum ausgebreitet sehen, ähnlich jenen Bauerntüchern, die auf dunklem Grund Ecken tiefleuchtender Blumen zeigen. Flach liegt es da, fast ohne Falten. Und die Wege und Wasserläufe führen weit in den Horizont hinein. Dort beginnt ein Himmel von unbeschreiblicher Veränderlichkeit und Größe", schrieb vor 100 Jahren Rainer Maria Rilke über den abgeschiedenen Landstrich zwischen Bremervörde im Norden, Ritterhude im Westen und Fischerhude im Osten, besser bekannt als Teufelsmoor.

Wer sich heute in die rund 600 Quadratkilometer große Niederung begibt, wird Moor und Teufel vergeblich suchen. Der Beiname "Nasses Dreieck" allerdings ist augenfällig nachvollziehbar. Leitet er sich doch aus den zahlreichen Flüssen und Flüßchen her - Oste, Hamme, Wümme, Wörpe, welche noch immer das ehemalige Sumpfland durchfließen.

1751 hatte das Kurfürstentum Hannover begonnen, sich durch die Errichtung eines dichten Systems von Entwässerungsgräben der Urbarmachung des Moores zuzuwenden. Scharen landhungriger Siedler drängten in das neu erschlossene Land, um Torf zu stechen, auf Wasserwegen in die Städte zu transportieren und dort als Brennmaterial zu verkaufen. Ganze Flotten durchzogen die Niederung von Hamme und Wümme. Allein 1875 passierten 18000 Schiffe Sankt-Jürgen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Moorkähne mit ihren dunklen Segeln aus der Landschaft verschwunden. Nur vereinzelt wurde noch bis in die 50er Jahre hinein aus Not Torf abgebaut und per Schiff nach Bremen transportiert.

Aufgeregt galoppieren die Schwarzbunten am Ufer entlang, bleiben kurz stehen, mobilisieren alle Sinne und starren mit aufgerissenen Kuhaugen zwischen weit gestellten Ohren auf den vorbeifahrenden Kahn. Obwohl die Torfkähne nun schon seit Jahren wieder von Mai bis Oktober als Touristenattraktion zum Landschaftsbild gehören, sind sie für das Milchvieh noch immer eine Sensation in ihrer göttlichen Ruhe.

Das Teufelsmoor hat seinen Namen tatsächlich nicht vom Teufel erhalten. Aus alten Karten und Dokumenten geht hervor, daß es "Duftes Moor" - also "taubes Moor" oder "unfruchtbares Moor" hieß. Und doch: Jedes Sumpfgebiet hat etwas Teuflisches. Schrieb nicht die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff einst in ihrem Gedicht "Der Knabe im Moor" die Zeilen: "O schaurig ist's über's Moor zu gehen"?

Bis heute sind alle Versuche gescheitert, die Region in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Kiebitz, Uferschnepfe und Rohrammer, Kranich, Graureiher, Möwe und Höckerschwan, Turmfalke und Kornweihe lassen es sich gefallen. Unbeschwert genießen sie die Idylle zwischen Sumpfdotterblumen, Wiesenschaumkraut, Trompetenflechten und blühenden Gräsern.

Leise gurgelt das Wasser zum Summen des Motors. Unter Segeln fahren die Kähne meist nur kurze Strecken. Das liegt am Wind. Auf der Hamme ist er zu schwach und auf der Wümme bläst schon die starke Brise der Nordsee scharf ins Gesicht. Windschief halten sich die Weiden mit ihren Wurzeln im Schlick fest. Der Skipper meint, nach der Schleuse von Ritterhude und der Wümmeabzweigung bräuchte man einen Seeschein. Doch keine Angst, er besäße einen solchen.

Immerhin: Der Tidenhub beträgt jetzt 1,5 Meter. Deiche, vor denen sich das Schilf im Wind wiegt, schützen das Ufer. Grün, Braun, Beige, Schwarz sind die Farben, die unter dem Blau des Himmels die Fahrt begleiten. Legte man einen Rahmen darum, könnte man meinen, auf eines der Landschaftsbilder von Fritz Mackensen, Otto Modersohn, Hans am Ende, Fritz Overbeck, Carl Vinnen oder anderen weniger bekannten Malern zu schauen, die es ab 1889 in die feuchte Moorluft gezogen hatte.

Eine Idee übrigens, die längst von der Tourismuswerbung aufgegriffen worden ist. Seitdem ist Worpswede, die einstige Kommandostelle der Moorkolonisierung, Künstlerkolonie. Besonders üppige Kunststipendien halten hier bis heute die kreative Tradition aufrecht.

Von den Begründern der Künstlerkolonie blieb Heinrich Vogeler (1872-1942) am längsten in Worpswede, bevor er sich den Idealen des Sozialismus verschrieb und schließlich 1932 für immer nach Rußland zog. Im Gegensatz zu seinen Malerkollegen interessierte ihn nicht die Natur und ihre Natürlichkeit, sondern die Gestaltung. Als Stimmungsmensch, Lyriker und Ästhet machte er - ganz im Geiste des Jugendstils - sein Leben selbst zum Kunstwerk.

"14 Verwandte des berühmten Ahnen leben noch in Worpswede", verrät Urenkelin Daniela Platz, die zusammen mit Großcousine Berit Müller in der Pension Haus im Schluh Kultur-Urlaub bei Familie Vogeler anbietet. Bruder Carsten Platz sitzt mir im Moorkahn gegenüber. Die Ähnlichkeit mit der zarten, blonden Urgroßmutter und dem empfindsamen Urgroßvater ist unübersehbar. Auch der Name des Torfkahns "Johann Christian Findorff" hat seine Geschichte. Erinnert er doch an jenen Moorkommissar, der im Auftrag der Hannoverschen Regierung im 18. Jahrhundert das Kultivierungsprogramm des Teufelsmoors leitete und dabei nicht weniger als 50 Moordörfer rund um Worpswede gründete.

Verblüffend ähnlich: Carsten Platz erinnert an seinen Urgroßvater Heinrich Vogeler.

Weites Land: Gemächlich ziehen die Torfkähne durch das "Nasse Dreieck". Fotos (2): Schnehagen


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