28.03.2024

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08.07.06 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / 08. Juli 2006

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied und Familienfreunde,

jetzt kommen die ersten - nein, Urlaubsgrüße möchte ich nicht sagen, es sind Heimatgrüße, denn sie kommen von der Kurischen Nehrung und der Samlandküste, aus Masuren und dem Ermland, da, wo die Schreiber "tohuus" sind. Oder deren Vorfahren es waren, denn auch die nachfolgenden Generationen zieht es jetzt zur Ferienzeit in das Land, von dem sie bisher viel oder wenig wußten und sich nur auf die Erzählungen der dort Geborenen verlassen mußten. Daß es da zu Irrungen und Wirrungen kommen kann, merke ich immer wieder, zumeist finden sich die Suchenden aufgrund ungenügender Ortskenntnisse, vor allem durch die Namensänderungen bedingt, nicht zurecht. In manchen Dörfern und Siedlungen ist eine Orientierung nach mündlichen Übermittlungen überhaupt nicht mehr möglich, weil kein Stein mehr auf dem andern steht. Und 60 Jahre sind eine lange, sehr lange Zeit.

Aber es gibt immer wieder eindrucksvolle Erlebnisse, die nicht auf Kenntnissen beruhen, sondern auf Erkenntnissen. So kann man es schon formulieren, was unser Landsmann Hartmut Klingbeutel erlebte. Als der Erste Vorsitzende der LO Landesgruppe Hamburg mich kürzlich besuchte, erzählte er mir von seinen wundersamen Eindrücken, die er in dem Heimatdorf seiner Vorfahren erhielt, und ich dachte gleich: Dieses Erlebnis muß ich an meine Ostpreußische Familie weitergeben. Das war auch der Wunsch von Herrn Klingbeutel, und so will ich es tun.

Seine Familie stammt aus Natangen, aus einem kleinen Ort nördlich von Domnau, es ist Skoden, von den Russen "Munio" genannt. Hartmut wurde nicht mehr dort geboren, er ist ein Nachkriegskind. Sein Vater verstarb bereits früh, er hinterließ weder Fotos noch andere Dokumente über den Heimatort. Der einzige Informant, der ihm auf seiner Reise in die Vergangenheit helfen konnte, war ein Onkel, der aus der Erinnerung heraus einige Angaben machte. Eine Orientierungshilfe, die sich aber bald als fehlerhaft erwies. Zwar fand Herr Klingbeutel den Weg nach Skoden, nachdem er das ehemalige Gut Garbnicken erblickt hatte, von dem aus ein Weg zu dem kleinen Ort führte, der einmal durch Aufsiedlung entstanden war. Es gab etwa 15 Häuser, das der Familie Klingbeutel wurde 1936 erbaut. Der Onkel hatte beschrieben, wo es zu finden sei: Nach der Überquerung eines kleinen Bachs müßte links das Haus mit Stall, Scheune und Bienenkörben zu sehen sein. Aber Herr Klingbeutel ist bei Erreichen seines Zieles irritiert, es gibt keinen Bach, zwar sind hinter Bäumen einige Häuser zu sehen, aber die anderen Angaben stimmen nicht. Ein altes Mütterchen, das er mühsam befragt, weist auf ein größeres Haus auf der anderen Straßenseite. Da stehen zwar Bienenkästen, leuchtend bunt bemalt, aber es gibt weder Stall noch Scheune. Die weitere Fahrt in den Ort hinein bringt zwar die erfreuliche Begegnung mit hilfsbereiten Menschen - nur keine Orientierungshilfen. Bienenkörbe gibt es überall, aber keinen Bach! Zwar findet Hartmut Klingbeutel eine Wasserkuhle und auf der anschließenden Höhe ein Bauernhaus mit großer Scheune, aber es kann nicht das Gesuchte sein. Auch als er fast resigniert umkehrt und noch einmal an den ersten Häusern hält, schütteln die Jungen auf der Dorfstraße nur den Kopf, als er nach einem Bach fragt. Eine Frau, die in dem Garten mit den bunten Bienenkästen arbeitet, mischt sich in das Gespräch ein: Nein, sie wisse auch nichts von einem Bach, aber ob der Besucher nicht hereinkommen wolle. Herr Klingbiel folgt der Einladung und wird überreich bewirtet. Speck, Mettwurst, Salat, Brot, Butter - alles schmeckt, der mitgebrachte Kaffee beflügelt noch das Gespräch, an dem auch der Mann teilnimmt. Das Ehepaar freut sich sichtlich, daß es auch einmal Besuch bekommt, bei den Nachbarn seien schon die ehemaligen Bewohner gewesen, die Stimmung in der behaglichen Wohnstube ist wärmend und wohltuend - und plötzlich ist eine Vertrautheit da, die der Gast sich nicht erklären kann. Gast? Nein, auf einmal hat Hartmut Klingbeutel die Eingebung: Dies hier ist mein Vaterhaus! Sie wird zunehmend zur Gewißheit, die er nicht erklären kann und auch nicht will, und in der er bis zum Ende seines Besuches verharrt. Und dann verdichtet sich dieses Gespür zur Gewißheit. Denn als er fortfahren will, fällt ihm plötzlich beiderseits des Weges unter hohem Krautwuchs eine Bodenvertiefung auf, und er entdeckt einen schmalen Graben mit einem dünnen Rinnsal, verborgen und leicht zu übersehen: der alte Bach! Als er nach seiner Rückkehr die in Skoden gemachten Aufnahmen seinem Onkel zeigt, bestätigt dieser: Ja, das ist das Haus deines Vaters! Stall und Scheune gibt es nicht mehr. "Vielleicht ist dieses Erlebnis eine Anregung für andere Nachfahren, auf Spurensuche in dem Ursprungsland ihrer Familie zu gehen", meint Hartmut Klingbeutel.

Auf Spurensuche sind wir eigentlich immer, denn es vergeht ja keine Woche, in der nicht Suchwünsche eintreffen. Aber wie selbst die tiefsten Spuren im Dünensand verwehen, so auch die im Sand der Zeit. Das mußte leider auch unserer Leserin Herta Tuschewitzki erfahren, die sich wiederholt mit Suchfragen an uns gewandt hat, aber leider immer ohne Erfolg. Trotzdem resigniert sie nicht, denn sie stellt eine erneute Suchfrage, diesmal für ihren 85jährigen Onkel Kurt Gedack aus Lethenen, Kreis Labiau, der immer noch hofft, zwei alte Freunde zu finden. Sie stammen ebenfalls aus Ostpreußen: Horst Kohnert aus Königsberg-Ponarth und Gustav Laske aus Postnicken, Kreis Samland. Sie wurden 1939 / 1940 zur Wehrmacht eingezogen und kamen gemeinsam zur 21. Infanterie-Division, Regiment 45. Nach ihrem Einsatz im Nordabschnitt in Rußland wurden sie getrennt, die Spuren verlieren sich. Sie müßten nun auch Mitte 80 sein, wenn sie alle Stürme überlebt haben. Aber wenn sie sich nicht selber mehr melden können, wäre der Suchende wohl dankbar, wenn er etwas über das Schicksal seiner Kameraden erfahren könnte. (Kurt Gedack, Nordwall 11 in 45701 Herten-Westerholt, Telefon 02 09 / 6 27 67.)

Zwischen den Zeilen steht oft mehr, als das Niedergeschriebene dokumentiert, vor allem, wenn es um Familienangelegenheiten geht. Trennungen, Zwistigkeiten, Ablehnungen, hinterlassene Spuren, unter denen vor allem die leiden, die sie nicht verursacht haben, bei Ehestreitigkeiten sind es zumeist die Kinder. Wenn sie fragen, bekommen sie bei den Betreffenden keine Antwort, so bleibt die Ungewißheit bestehen, aber auch der Wunsch, eine Antwort auf die ungelösten Fragen zu finden - damit auch Menschen, von denen sie wissen, daß es sie gibt. Zwei Briefe sind es, die mich in dieser Hinsicht sehr berührt haben. Der eine stammt von Gerda Thomson, * 1920 in Königsberg, deren Alterswunsch es ist, endlich etwas über das Schicksal ihres Vaters zu erfahren und vielleicht Verwandte zu finden. Der Vater: Erich Artur Thiel, * 1899 in Berlin - die Mutter: Luise Charlotte Marschewski, * 1897. Die letzte gemeinsame Wohnung des Ehepaares war Schreberstraße 5 in Königsberg-Ponarth. 1931 ließen sich die Eltern scheiden, die damals elfjährige Tochter blieb bei der Mutter. Der Vater hat wenig später noch einmal geheiratet, aus dieser Ehe sollen vier Kinder hervorgegangen sein. Mehr weiß Gerda Thomson über ihren Vater nicht, denn es gab so gut wie keinen Kontakt mehr zu ihm, auch nicht zu seinen Schwestern Frieda und Herta und der Großmutter Berta, Witwe des im Ersten Weltkrieg gefallenen Großvaters. Gerda Thomson ist mit ihrer Mutter Ende Januar 1945 aus Bartenstein geflüchtet, wohin sie 1943 gezogen waren. Nach der Flucht hat die Tochter versucht, über den DRK-Suchdienst etwas über den Verbleib ihres Vaters zu erfahren. Sie erhielt auch eine Adresse in Traunstein, ihr Brief wurde aber nie beantwortet und kam auch nicht zurück. Das beschäftigt die nunmehr 85jährige noch heute. Sie würde gerne wissen, wie und wann der Vater mit seiner Familie aus Königsberg herausgekommen ist und ob die Halbgeschwister noch leben. "Vielleicht hat einer oder eine von ihnen Interesse, mit mir in Verbindung zu treten", hofft Frau Thomson. Und wir hoffen mit. (Gerda Thomson, Malmedyer Straße 1 A in 30519 Hannover, Telefon 0511 / 84 22 43, E-Mail: geroltho@arcor.de )

Eure Ruth Geede

 

Ruth Geede Foto: privat

Hartmut Klingbeutel vor seinem Vaterhaus in Skoden, nahe Domnau. Foto: Klingbeutel


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