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22.07.06 / Hungrig nach Helden / Das Phänomen Klinsmann: Was wir von dem eigenwilligen Fußball-Lehrer lernen können

© Preußische Allgemeine Zeitung / 22. Juli 2006

Hungrig nach Helden
Das Phänomen Klinsmann: Was wir von dem eigenwilligen Fußball-Lehrer lernen können
von Rebecca Bellano

Er ist smart, sportiv und alles andere als die Personifikation germanischer Mannsbilder, doch seit einigen Wochen prägt Schwiegermutters Liebling Jürgen Klinsmann das Bild des deutschen Mannes in der Welt. Er nahm das Ausland positiv für Deutschland ein und zog die Deutschen in seinen Bann. Doch nun ist der völlig unerwartet von den Deutschen auf den Heldenthron Gehobene von Amt und Würden als Bundestrainer zurückgetreten, und weilt schon daheim bei seiner Frau und den Kindern in den USA. Erstaunlicherweise ist die Fußball- und Medien-Welt schneller als erwartet wieder zum Alltag zurückgekehrt.

Ist es jetzt also wirklich an der Zeit, die Ära Klinsmann hinter sich zu lassen? Nicht wirklich, denn das „Phänomen Klinsmann“ hat bei allen individuellen Besonderheiten dieses Spitzen-Sportlers doch auch etwas in der deutschen Gesellschaft offenbart: ein Mangel an Vorbildern.

Nahezu begierig hoben die Menschen in diesem Land Klinsmann auf einen Thron, was keineswegs auf seinen doch eher durchschnittlichen Erfolg als Trainer zurückzuführen ist. Obwohl die deutsche National-Elf nicht Weltmeister wurde, nur das ansonsten als Spiel um die goldene Ananas disqualifizierte kleine Finale um den dritten Platz gewann, wurde er gefeiert, als ob er die deutschen Fußballer zu einem Sieg geführt hätte. Zugegeben, auch Rudi Völler wurde 2002 gefeiert. Doch „Tante Käthe“ erreichte, obwohl einen Platz besser abgeschnitten, nie den Heldenstatus, den Klinsmann jetzt hat. Völler war zwar allen sympathisch, nur: Nettsein macht keine Helden.

Klinsmann hingegen ist konsequent, unbequem und schwer einzuschätzen. Bei ihm kann man sich nur darauf verlassen, daß er nie das tut, was man von ihm verlangt. Besonders die alten Männer vom Deutschen-Fußball-Bund (DFB) hat der Ex-Nationalspieler und nun auch Ex-Nationaltrainer außerordentlich gereizt.

Zurück bleibt Joachim Löw, der, nun vom Klinsmann-Assistenten zum Trainer befördert, an den Leitlinien seines umjubelten Vorgängers festhalten will. Der DFB ist letztendlich erleichtert, weil er den renitenten, unkalkulierbaren Sturkopf Klinsmann gegen eine finanziell erheblich günstigere und aus Sicht des Fußballbundes auch vermeintlich fügsamere Alternative eingewechselt bekommen hat. Die Medien konnten salbungsvolle „Nachrufe“ auf den Markt bringen, und die Deutschen werden die Riesenparty, die sie auch Klinsmann zu verdanken haben, nie vergessen.

Als Klinsmann völlig überraschend zum Nationaltrainer ernannt wurde, herrschte große Überraschung. Ohne Trainererfahrung sollte der zugegeben Ex-Weltklasse-Spieler neuen Wind in die Nationalmannschaft bringen. Als er das tat, zuckte der gesamte DFB-Vorstand schmerzverzehrt zusammen, denn das hatte er sich anders vorgestellt. Siegen Ja, Modernisierung Nein. Alles was den DFB so ausmachte, seine festen Hierarchien, haute Klinsmann über den Haufen, und egal was dabei herauskam, bei vielen Zuschauern kam dabei durchaus ein Gefühl von Schadenfreude auf. Zudem: Eigentlich hätte der DFB wissen müssen, was er sich da als Trainer ins Haus geholt hatte, denn Klinsmann galt schon während seiner überaus erfolgreichen internationalen Spielerkarriere als Individualist und Rebell.

Fitneßtrainer, Sportpsychologe, neue Assistenten, Spieleraustausch, neue Taktik; das war zu viel für die alten Herren vom DFB. Und als Klinsmann das Glück nicht mehr hold war, Freundschaftsspiele gegen einfache Mannschaften verlorengingen, kam die Rache. Nicht nur Beckenbauer äußerte plötzlich seinen Unmut darüber, daß der Bundestrainer seinen Wohnsitz immer noch in den USA hatte und nicht bei „seinen Jungs“ in Deutschland weilte.

„Die Mächte sind gegen ihn. Jetzt aber muß er einsehen, daß Sturheit und Eigensinn keine Chance haben. Ein Volk von 80 Millionen Leuten steht dagegen, mit all deren Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Das hält kein Mensch aus“, kritisierte Bayern-Manager und DFB-Ligaverbandsvertreter Uli Honeß nach dem haushoch verlorenen Freundschaftsspiel gegen Italien im März dieses Jahres. Damals mochte plötzlich kaum noch jemand den Mann, der wenige Monate später zum Helden der Nation ausgerufen wurde.

„Die Mächte sind gegen ihn!“ Ja, das haben alle geglaubt, doch sein Festhalten an seinen Überzeugungen und auch eine gehörige Portion Glück haben ihn bestehen lassen. Ein Mann, der so volksnah mit aufgekrempelten Hemdsärmeln sogar „gegen die Mächte“ besteht, dem mußten die Herzen der Deutschen einfach so zufliegen. Klinsmann, der ohne Ausnutzung irgendwelcher Netzwerke nur mit Hilfe seiner Überzeugung und seiner Fähigkeit etwas gewagt hat, hat den Menschen dieses Landes gezeigt, daß es auch anders geht. Als moderner Siegfried besiegte er den Drachen – wobei der Drache nicht auf dem Fußballfeld stand.

Doch Klinsmann wollte nicht der Held der Deutschen sein. Ob er nun ein Egoist ist, der „seine Mannschaft“ im Stich läßt oder jemand, der weiß, wann es am Besten ist zu gehen, daß sei dahingestellt. Sein Ziel einen „guten Job“ zu machen, hat er jedoch erfüllt, und war es dann nicht schlüssig und auch für ihn einnehmend, daß er, anstelle an seinem Stuhl zu kleben, den Zeitpunkt seines Abgangs mit Würde selbst gewählt hat?

Das „Phänomen Klinsmann“ hat gezeigt: Den Deutschen hungerte es nach einem Vorbild, doch leider wurde der Hunger nur kurzfristig gestillt. Der Wahlamerikaner und Modernisierer des DFB hat sie in ihrer reformbedürftigen Republik allein zurückgelassen, vorher hat er ihnen aber noch bewiesen, daß ein freier, unabhängiger Geist mit Fortunas Hilfe auch in ihrer scheinbar so verkrusteten Welt etwas bewegen kann.


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