29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.07.06 / Er arbeitete bis zur totalen Erschöpfung / Zum 150. Todestag des Komponisten Robert Schumann

© Preußische Allgemeine Zeitung / 29. Juli 2006

Er arbeitete bis zur totalen Erschöpfung
Zum 150. Todestag des Komponisten Robert Schumann

Ein Hauch von Ehrfurcht schwebt über dem alten Bonner Friedhof, dort, wo viele berühmte Menschen ihre letzte Ruhestätte fanden. Die Mutter von Ludwig van Beethoven liegt hier begraben, die Frau und der Sohn Friedrich Schillers, aber auch das Ehepaar Clara und Robert Schumann. Wer einmal vor dem reich verzierten Grabmal gestanden hat und sich vielleicht daran erinnert, daß einst Vandalen diese Gedenkstätte verwüstet haben, der wird sich erschüttert fragen, was ein Mann wie Schumann noch alles ertragen muß. - Selbst im Tod findet er keine Ruhe ...

Die letzten Jahre sind entsetzlich: Wahnbilder peinigen den Mann, der so wunderschöne Melodien aus seinem Innern hervorgezaubert hat. Töne schwingen in seinem Kopf, Töne, die nur er hört, die ihn rasend machen. Peter Härtling hat in seinem 1996 erschienenen Roman "Schumanns Schatten", der jetzt bei dtv als Taschenbuch herausgekommen ist, ein einfühlsames Bild vom Leben und Sterben des Komponisten nachgezeichnet. Anhand von Krankenakten des behandelnden Arztes Richarz konnte Härtling glaubwürdig und genau die Leiden schildern, die Schumann in der Endenicher Heilanstalt bis zu seinem Tod vor 150 Jahren durchgemacht hat. "Er schreit stundenlang, zerreißt die Bettwäsche, rennt in der Stube auf und ab, droht zu stürzen, packt Klingelfeld (den Pfleger und "Schatten", d. Verf.), würgt ihn und Klingelfeld muß grob werden, was ihm schwer fällt. Zum ersten Mal spricht er nach Tagen den Kranken wieder an. Sie tun mir weh, Herr Schumann, beruhigen Sie sich. Und Schumann fällt in sich zusammen, ein Bündel Haut und Knochen, atmet stoßweis und läßt es zu, daß Klingelfeld ihn auf den Armen trägt, wiegt und schließlich behutsam auf dem Sofa bettet. Wir müssen, sagt er, Ihr Bett frisch machen ..."

Was war mit diesem Mann geschehen, der einst dem Leben so zugewandt war, der es schaffte, gegen den Willen seines überaus strengen Schwiegervaters Fried-rich Wieck mit Hilfe eines Gerichtsurteils die Ehe mit Clara Wieck einzugehen? Wie hatte sich der Mann, dem die Musikwelt überaus wundervolle Lieder zu verdanken hat, verändert? Von der Rheinbrücke in Düsseldorf hatte er sich am 27. Februar 1854 (mitten im Karneval) in den reißenden Strom gestürzt, war gerettet worden. Kränkungen, Demütigungen und Intrigen waren dem vorausgegangen. Seine Stellung als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf hatte er nach drei Jahren wieder aufgeben müssen. Clara Schumann hingegen war erfolgreich als Pianistin. Eine Situation, die auch stärkeren Männern zu schaffen machen dürfte. Nach dem Sprung in den Rhein jedoch wurde Schumann auf sein eigenes Bestreben in die Heilanstalt in Endenich eingewiesen. Fachleute sprechen von einer bipolaren Störung (manisch-depressiv), unter der Schumann litt, andere wieder von Schizophrenie, weisen auf die Syphillis hin, die er sich in jungen Jahren eingehandelt hatte. Die Musikologin Veronica Beci, die sich dem "Traumpaar" der Musikgeschichte in einer Doppelbiographie gewidmet hat, kommt zu einer anderen Diagnose: "Robert Schumanns angebliche Geisteskrankheit bestand in einem unüberwindbaren Einsamkeitsgefühl und totaler seelischer Erschöpfung. Ein ,burn out' infolge der unausgesetzten geistigen Arbeit", folgert Beci und führt an, daß Schumann in den letzten Lebensjahren vor seinem Selbstbefreiungsversuch, sprich dem Sprung von der Brücke, pausenlos Höchstleistungen erbrachte. "Er fand keine innere Ruhe mehr. Und er verfügte nicht mehr über die Möglichkeit und wohl auch die

Fähigkeit, seiner seelischen Anspannung ein Ventil zu geben, etwa im Austausch mit Freunden ... Sein eigentlich einziges Kontaktmittel zur Außenwelt, die Musik, entglitt ihm in den letzten Monaten vor seinem Zusammenbruch ..." Auch seine Frau Clara, in dieser Zeit der besonderen Anspannung hochschwanger mit ihrem siebten Kind, konnte ihm nicht zur Seite stehen, ja die Ärzte empfahlen sogar dringend, den Kontakt zu ihm einzustellen, solange er in der Heilanstalt war. Erst zwei Tage vor seinem Tod sah sie ihren Mann wieder, zum letzten Mal ...

Die Klinik in Endenich war nach damaligen Vorstellungen ein modern eingerichtetes Sanatorium für psychisch Kranke. Anders als in den übrigen Einrichtungen, wo man noch mit Schocktherapie, Fesselung oder Kaltwassergüssen Erfolge erzielen wollte, setzte man dort auf Gesprächstherapie. Schumann stand sogar ein Klavier zur Verfügung, auf dem er in der ersten Zeit noch spielte. Doch immer wieder wurde er von seinen Wahnvorstellungen heimgesucht. Der Arzt notierte: "Bei der Morgenvisite auf dem Sofa sitzend ein Anfall von Angst mit convulsivischen Bewegungen in den Gliedern, klagt über Schmerz im Kopf, Druck in der Brust. Angst. Die Sprache sehr behindert, klanglos, unverständlich ..." Er verließ das Bett nicht mehr, verweigerte das Essen, bekam eine Lungenentzündung. Am Nachmittag des 29. Juli 1856 verließ Robert Schumann diese Welt.

Peter Härtling: "Schumanns Schatten, Variationen über mehrere Personen", Roman, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006, 384 Seiten, brosch., 8,90 Euro, Best.-Nr. 5645.

Veronica Beci: "Robert & Clara Schumann, Musik und Leidenschaft", Biographie, Artemis & Winkler im Patmos Verlag, Düsseldorf 2006, 330 Seiten, zahlreiche sw. Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 24,90 Euro, Best.-Nr. 5644.

Robert Schumann: Künstler zwischen Überschwang und Depression Foto: Archiv


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren