24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.08.06 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. August 2006

Krise am Empörungsmarkt / Jürgen Rüttgers leidet unter Liebesentzug, die Jugend unter Perspektivlosigkeit und das Gesundheitswesen unter uns allen
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Mögen Sie Jürgen Rüttgers? Nein? Sie sollten ihn aber mögen, schon aus pädagogischen Gründen. Liebesentzug kann das seelische Gleichgewicht aus den Angeln heben. Die Betroffenen reagieren dann sehr unterschiedlich. Die einen ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück, andere fangen an zu randalieren. So wie Rüttgers, der sich einen Schlagstock aus dem Agitprop-Magazin der Bolschewiken ausgeliehen hat, die "Kapitalismus-Kritik", mit dem er auf die eigene Partei, die CDU, eindrischt.

Und warum macht er den Quatsch? "Kapitalismus" ist nichts anderes als das rote Buhwort für Marktwirtschaft und wurde entsprechend bislang eher im PDS-Jargon aufgefunden. Spinnt der? Der "Süddeutschen Zeitung" hat ein anderer CDU-Ministerpräsident zugetuschelt, was den Rüttgers quält: "Der ist sauer, daß er bei der Frage nach dem beliebtesten Politiker im Land immer noch auf null Prozent kommt." Da haben wir's. Es ist das Trauma, daß ihn niemand von uns lieb hat. Wir sollten uns schämen.

Kanzlerin Merkel will nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub ein "klärendes Gespräch" mit Jürgen Rüttgers führen. Klingt nach "übers Knie legen". Aber so meint sie das gewiß nicht. Zuvor soll CDU-Generalersatzmerkel Roland Pofalla nämlich erstmal mit Rüttgers am Niederrhein radeln gehen, was nicht auf eine bevorstehende Züchtigung hindeutet. Klar doch, die Kanzlerin kennt den Platz in der Ecke ja noch aus eigener Erfahrung. "Mein Mädchen" - wie viele schreckliche Jahre mußte sie sich diese Kohlsche Onkelei anhören!

Die Chefin kann genau nachfühlen, wie der arme Rüttgers leidet. Sie wird ihm seicht durchs schüttere Haar fahren und den Gebeutelten aufrichten: "Sieh mal, Jürgen, stimmt doch gar nicht, daß dich keiner leiden kann. Ich zum Beispiel und der Roland, wir finden dich eigentlich ... ähäm ... ganz dufte!" Dabei wird ihre Nase vor Glaubwürdigkeit glänzen wie damals bei der Wahlkampfrede zur Mehrwertsteuer.

Angela Merkel hat neue Ruhe gewonnen bei einer Dolomitenwanderung mit Bergsteigerstar Reinhold Messner. Der ist von der Kanzlerin hingerissen: "Sie ist so natürlich, so authentisch, nichts ist gekünstelt." Ja, das fürchten die Deutschen auch. Ihnen schwindet nach und nach die letzte Hoffnung, hinter ihren wässrigen Sprüchen verberge die ausgekochte Taktiererin bloß das, was man "inhaltliches Profil" nennt. Irgendwann würde sie gestiefelt und gespornt auf dem Kampfplatz erscheinen und Klarheit schaffen - darauf hatten wir gewartet. Immer wieder wurde sie ja mit der Thatcher verglichen, die sich für ihre Überzeugungen lieber ins Schwert gestürzt hätte, als sie faulen Kompromissen zu opfern. Langsam scheint es wahrscheinlicher, daß sich der Kyffhäuser öffnet und Barnbarossa Merkel die Zügel aus der Hand nimmt, als daß die Kanzlerin selbst einen klaren Kurs findet und durchhält.

Den Deutschen wird mulmig. Nun behaken sich angeblich auch noch irgendwelche Parteiflügel in der Union, was zwar auch Bewegung erzeugt. Physikerin Merkel sollte aber wissen, daß Flügelschlagen ohne Vortrieb kaum Auftrieb bringt.

Derweil werden die Möglichkeiten für junge Menschen, sich gewinnbringend in die Gesellschaft einzubringen, immer prekärer. Man spricht von der "Generation Praktikum", die arbeitet und lernt und lernt und arbeitet - dabei aber nirgends ankommt.

Früher gab es ja so zahlreiche Möglichkeiten für den Nachwuchs, eine aufregende Lebensstellung zu erreichen. Selbst wer nichts gelernt hatte, konnte wenigstens als "Neonazi" Ruhm und Ansehen - oder zumindest: Aufsehen - erlangen. Heute ist auch das nicht mehr so einfach. Der Fall des deutsch-schweizerischen Rockmusikers, der aus Verzeiflung über seine musikalische Bedeutungslosigkeit eine Karriere als Neonazi einschlagen wollte (siehe Seite 3: Des Flitzers neue Kleider), spricht Bände über die Misere am Empörungsmarkt.

In den Zeiten der antifaschistischen Hochkonjunktur war für jeden ein Platz da. Damals reichte es, als 15jähriger die entsprechenden Einführungsgesten wie Armheben zu vollführen, und schon war einem die Stellung als "Gefahr für die Demokratie" sicher. Jetzt werden hoffnungsfrohe Berufsanfänger wie der Deutschschweizer, der beteuert, einen Äthiopier verprügelt zu haben, als "unglaubwürdig" aus den Bewerbungslisten gestrichen.

Gut, jedes Ding hat zwei Seiten. Es sind nicht nur die Bauern, die beklagen, daß die von der Arbeitsagentur geschickten Erntehelfer nicht ihren Vorstellungen entsprächen. Von Ausbildungsbetrieben hört man, daß viele Bewerber weder in Haltung noch mit ihren Kenntnissen den Anforderungen gerecht würden.

Der Nazimarkt bleibt von diesem Niedergang nicht verschont. Beobachter beklagen, daß heutige Jungnazis herumliefen wie Kreti und Pleti, weshalb man sie kaum noch von Durchschnittsjugendlichen unterscheiden könne. Einst marschierten sie vorschriftsmäßig mit Glatze und Stiefel auf, heute trügen sie Haare und Schlabberhosen. Die Bilder der Fotoagenturen, auf denen "richtige" Neos zu sehen sind, werden sichtlich älter. Die meisten kennen wir mittlerweile.

Wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nazis sind nicht bloß zu unserer Unterhaltung da, für den kalten Schauer danach zur besseren Verdauung oder so. Sie erfüllen eine wertvolle Aufgabe, nicht bloß als Arbeitsbeschaffer für die Antifaindustrie.

Auch hatte das Volk etwas, womit es beschäftigt war, etwas, wogegen man sein konnte, so richtig aus vollem moralischen Herzen und ganz ohne Nebenwirkungen. Für Regierungen ist so etwas immer nützlich, es lenkt die Blicke ab vom eigentlichen politischen Geschehen, und das muß ja nun wirklich nicht jeder mitkriegen, sonst wird er noch aufmüpfig.

Die Regierenden sinnen auf Ersatz. Irgendwelche Leute, an denen sich Empörung und "dringender Handlungsbedarf" abarbeiten können, damit der Pöbel die Regierenden in Ruhe machen läßt und sich nicht zu sehr einmischt in die Politik.

Die Suche hat nicht lange gedauert. Die Raucher boten sich geradezu an: Sie sind in der Minderheit und wissen überdies, daß sie Unsinn machen, werden sich also nicht wehren.

Und es kommt noch besser: Im Fach "Gesundheitsreform" hat Schwarz-Rot eine glatte sechs eingefahren, das wissen die Verantwortlichen selber. Wie in der "Reformierten Oberstufe" an Gymnasien würde man das Fach daher gern abwählen, damit es einem nicht den Notendurchschnitt versaut.

In diesem Sinne: Weg mit der gesetzlichen Gesundheitsfürsorge und alles wird gut. Hat man den Rauchern erst einmal die Leistungen gekürzt, kann man bei den Alkoholtrinkern gleich weitermachen und sodann bei "Extremsportlern", bei den zu Dicken, den zu Dünnen, denen, die zuviel in der Sonne gelegen und denen, die zuviel in der Bude gehockt haben, und jenen, die "fahrlässig" auf ungesunden Bürostühlen saßen. Und was ist eigentlich mit "passiv Autofahren" und "passiv Fliegen", von wegen der Abgase?

Unter diese Klappe passen Fliegen von unbegrenzter Zahl. Für Beitragserhöhungen bei gleichzeitigen Leistungskürzungen sind dann weder die Regierenden noch eine aufgeschäumte Gesundheitsbürokratie verantwortlich, sondern einzig und allein die "Risikogruppen", die pressewirksam vorgeführt werden.

Natürlich zerren wir sie immer fein der Reihe nach an den Pranger, damit die Mehrheit sich jeweils nicht gemeint fühlt. Sonst geht den Abgezockten noch auf, was mit "Risikogruppe" in Wahrheit gemeint ist: Die Gruppe aller Versicherten an sich. Am Ende des Prozesses steht ein Gesundheitssystem, das seinen Namen wirklich verdient hat: ein System für die Gesunden, in das alle solidarisch einzahlen. Wer unbedingt krank werden will, kann ja Eigenvorsorge betreiben.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren