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26.08.06 / ... und keiner hat etwas gewußt / Der Fall Günter Grass und die deutschen Medien: 500mal Fehlanzeige in den deutschen Feuilletons

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. August 2006

... und keiner hat etwas gewußt
Der Fall Günter Grass und die deutschen Medien: 500mal Fehlanzeige in den deutschen Feuilletons
von Klaus Apfelbaum

Das Ding mit Grass hätte den Europäischen Marketingpreis 2006 verdient - wenn sich denn nur jemand dazu bekennen wollte: Im Handumdrehen hat der kleine Steidl-Verlag mit dem „Häuten der Zwiebel“ schöne 3,6 Millionen Euro Umsatz generiert und dabei kaum einen Heller für Werbung investieren müssen. Die 2. Auflage kommt mit 100000 Exemplaren schon in den Buchhandel.

Aus einer schon nicht mehr wirklich herbeigesehnten Grass-Biographie einen Bestseller zu machen, das ist wahre Marketing-Kunst. Und: Noch niemals hat jemand in Deutschland aus einem kleinen Engagement zu NS-Zeiten so viel Kapital schlagen können wie jetzt Günter Grass.

Viele Kritiker glauben, der Literatur-Nobelpreisträger habe mit seinem späten Geständnis, der Waffen-SS gedient zu haben, vor allem die Auflagenhöhe seines neuen Buches nach oben treiben wollen - man kann dies für bare Münze nehmen: Zunächst war strengste Geheimhaltung erzwungen; wie sonst kann man sich erklären, daß ein ganzer Verlag, alles Literaturversessene, von April bis heute die „Stellen“ im neuen Grass-Buch nicht entdeckt haben will? Dann als Stufe zwei die Enthüllung der Grass-Vergangenheit mit leichter Selbstanklage, schließlich der Sturm auf die Buchhandlungen, mit den gewünschten ökonomischen Effekten. Ein klassisches Drei-Stufen-Marketingkonzept.

Aber es gibt eine zweite Lesart rund um den Absturz des Moral-Apostels Grass - und die ist noch schlimmer: Es sollte nicht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ allein vorbehalten bleiben, sich in die wahre Lebensgeschichte von Günter Grass einzulesen - der Steidl-Verlag hatte auf Breitenwirkung gesetzt: An die 500 Redaktionen hatten den neuen Grass-Band als Vorab-Exemplar schon auf dem Tisch - und nichts gemerkt, kein Wort irgendwo (die Preußische Allgemeine Zeitung muß hier beklagen, von Grass und seinem Verlag bei dieser flächendeckenden Verteilung übergangen worden zu sein). Ursprünglich sollte der Verkauf Anfang September beginnen. Die Rezensionsexemplare waren Anfang August in der Post - genug Zeit, bis zur erbetenen Sperrfrist 1. September das Werk zu studieren. Sollte man meinen.

Warum das unterblieben ist, wird in jedem einzelnen Fall geklärt werden müssen - eine interessante Fragestellung an bekannte Köpfe in den Redaktionen: „Einen Grass besprechen ist Chefsache“, weiß man im Steidl-Verlag aus Erfahrung.

Aber offensichtlich haben deutsche Feuilletonisten, was die Korrektur ihrer eigenen Geschichts- und Gesellschaftsbilder angeht, eine ausgeprägte Lese-Rechtschreib-Schwäche. Man darf gespannt verfolgen, welche Wiedergutmachung an die Zeitungsleser jetzt bei der Nachlese geleistet wird.

Dieser legasthenische Mißerfolg ist die zweite Niederlage der deutschen Medien im Fall Günter Grass. Wirklich investigative Reporter oder Biographen hätten schon vor Jahrzehnten die Dokumente entdecken müssen, die die Zugehörigkeit zur Waffen-SS eindeutig beweisen.

Grass selbst wußte, daß es diese Belege bei der Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin gibt. Schließlich hatte er vor 13 Jahren seine Zeit als Kriegsgefangener nachweisen und damit Beitragslücken schließen lassen - um mit Hilfe dieser Dokumente seine Rente aufzubessern.


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