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09.09.06 / Die Modelle der Mitbestimmung

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. September 2006

Auf einen Blick:
Die Modelle der Mitbestimmung

Bei der Arbeitnehmermitbestimmung gibt es in Deutschland drei Varianten - je nach Branche oder Betriebsgröße. Die Unterschiede sind erheblich.

Montanmitbestimmung: In der Montanindustrie gilt die uneingeschränkt paritätische Mitbestimmung in Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten. Dies regelt das Montanmitbestimmungsgesetz. Sollte es zu einer Pattsituation zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmervertretern kommen, so wird eine von beiden Seiten akzeptierte Persönlichkeit zur Vermittlung eingesetzt. Dieser "Neutrale" muß versuchen, in der streitigen Frage die Mehrheit der Stimmen hinter sich zu bringen.

Mitbestimmung im Unternehmen: Nach dem Mitbestimmungsgesetz wirken die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften mit mehr als 2000 Beschäftigten an den unternehmerischen Entscheidungen mit. Jeder dritte Aufsichtsrat in Gesellschaften mit wenigstens 500 Beschäftigten ist nach dem Drittelbeteiligungsgesetz vom 18. Mai 2004 ein Vertreter der Arbeitnehmer.

Betriebliche Mitbestimmung: Das Betriebsverfassungsgesetz regelt die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat), seine Informations-, Anhörungs- und Mitwirkungsrechte. Ein Betriebsrat kann in einem Betrieb mit wenigstens fünf Mitarbeitern gewählt werden. Der Betriebsrat wirkt in Bezug auf die Ordnung im Betrieb, die Gestaltung der Arbeitsplätze, die Arbeitsabläufe, der Gestaltung von Richtlinien zur Personalauswahl, über Leistungskontrollen, Personalentscheidungen und Sozialeinrichtungen mit. Je nach Betriebsgröße werden die Mitglieder des Betriebsrates von der Arbeit freigestellt. Einfluß auf unternehmerische Entscheidungen hat der Betriebsrat hingegen nicht. Im öffentlichen Dienst gelten die Personalvertretungsgesetze des Bundes und der Länder entsprechend. Sie regeln die Rechte des Personalrates.

Durchbruch in Montanindustrie / Geschichte der Mitbestimmung reicht bis ins Jahr 1848 zurück

Der Beginn der Geschichte der betrieblichen Mitbestimmung wird allgemein auf das Jahr 1951 datiert. Am 7. Juni jenes Jahres trat das "Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen der Eisen- und Stahlerzeugenden Industrie" in Kraft - die sogenannte "Montanmitbestimmung" war geboren. Sie wurde zum Vorbild für das branchenübergreifende Mitbestimmungsgesetz 25 Jahre später.

Doch die historischen Wurzeln der Arbeitnehmermitbestimmung in der deutschen Wirtschaft reichen bedeutend tiefer. Schon 1848 hatte eine Minderheit von Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung einen Gesetzentwurf in das erste demokratisch gewählte deutsche Nationalparlament eingebracht, der die Einführung paritätisch zu besetzender Gewerbekammern vorsah. Paritätisch heißt: Ebenso viele Arbeitnehmer- wie Arbeitgebervertreter. Außerdem setzten sie sich für "Vorgesetztenwahl" ein.

Die Revolution scheiterte, und mit ihr verschwand der Gedanke der betrieblichen Mitbestimmung ebenso für lange Zeit in der Versenkung.

Zur treibenden Kraft wurde seit ihrer ersten Parteigründung 1863 fortan die Sozialdemokratie. Gehemmt durch die Sozialistengesetze Bismarcks konnte die SPD erst ab 1891, dem Jahr nach der Entlassung des Eisernen Kanzlers, ihre Kampagne für mehr Arbeitermitbestimmung legal fortsetzen. Zunächst wurden sogenannte "Arbeiterausschüsse" gebildet.

Nach Streiks im Bergbau erließ der Preußische Landtag 1905 das "Preußische Berggesetz", das die Einführung offizieller Arbeiterausschüsse in Bergbaubetrieben mit mehr als 100 Beschäftigten vorsah. 1916 folgte reichsweit das "Gesetz des Vaterländischen Hilfsdienst". Fortan hatten Arbeiter- und Angestelltenausschüsse in sämtlichen kriegswichtigen Unternehmen ein Anhörungsrecht in sozialen Fragen. Hierzu zählten auch alle Betriebe, die für die prekäre allgemeine Versorgungslage von Belang waren.

Die junge Weimarer Republik führte 1920 schließlich das Betriebsrätegesetz ein. Alle Unternehmen ab 20 Beschäftigten sollten einen Betriebsrat wählen, der sowohl die wirtschaftlichen wie sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten wahrnahm.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Betriebsrätegesetz außer Kraft gesetzt. Ab 1946 erlaubten die Besatzungsmächte erneut die Bildung von Betriebsräten nach Weimarer Vorbild.

Das Gesetz zur Montanmitbestimmung schließlich regelten ab 1951 die "Paritätische Mitbestimmung" in den Aufsichtsräten von Bergbaubetrieben ab 1000 Beschäftigten. Um Pattsituationen zu vermeiden, sah man einen Neutralen vor, auf den sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zu einigen hatten.

Einige Unternehmen versuchten, der Mitbestimmung durch Bildung von Obergesellschaften zu entfliehen. Sie bildeten Konzerne, in denen der Montanbereich nur einen Teil ausmachte, um so nicht unter das Gesetz der Montanmitbestimmung zu fallen. Dies wurde bald durch ein Ergänzungsgesetz unterbunden.

Das Betriebsverfassungsgesetz von 1952 ordnete außerdem an, daß branchenübergreifend in Gesellschaften mit beschränkter Haftung ab 500 Beschäftigten und Aktiengesellschaften ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder von den Arbeitnehmern gewählt werden. In sozialen Belangen erlangten die Arbeitnehmervertreter Vetorechte. Dieses Gesetz wurde 1972 um Einspruchsrechte einzelner Arbeitnehmer erweitert. Zudem mußte die Arbeitnehmerschaft ab diesem Jahr über vorgesehene Betriebsänderungen informiert werden, wenn diese "wesentliche Nachteile" für die Beschäftigten mit sich bringen.

Im Jahre 1976 schließlich verabschiedete der Bundestag das Mitbestimmungsgesetz, das bis heute Bestand hat. Das alte Betriebsverfassungsgesetz wurde erst 2004 durch das neue "Drittelbeteiligungsgesetz" ersetzt (Erläuterungen siehe oben). (H.H.)


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